Streitende Spieler, murrende Fans und ein angezählter Coach: YB ist seit Jahren die klare Nummer eins in der Schweiz, doch die Unruhe im Klub und im Umfeld nimmt zu.
Wer sich in Bern mit YB-Fans unterhält, gerät ins Staunen. Die Young Boys sind Meister, sie sind Cup-Sieger, sie haben die Champions League erreicht und europäisch überwintert, sie führen in der Super League mit sieben Punkten Vorsprung, stehen im Cup-Viertelfinal. Sie haben 22 700 Dauerkarten abgesetzt, verkaufen Halbjahr für Halbjahr Spieler für zweistellige Millionenbeträge ins Ausland. Sie sind: so gut, so gross, so erfolgreich wie nie in der 125-jährigen Vereinsgeschichte.
Die Young Boys sind sportlich und wirtschaftlich der nationalen Konkurrenz entrückt.
Seine Zukunft ist offen
Raphael Wicky
Obwohl der Trainer seit Sommer 2022 mit grossem Erfolg bei YB arbeitet, ist noch nicht klar, ob er seinen Vertrag verlängert. Sowohl die Young Boys als auch Wicky wollen die Entwicklung abwarten und in weiteren Gesprächen herausfinden, ob die Zusammenarbeit weitergehen soll. Eine Entscheidung ist in den nächsten Wochen zu erwarten.
Aber: Die Kundschaft ist nicht restlos zufrieden, glücklich ist sie schon gar nicht. 1:0-Siege wie zuletzt zweimal gegen Lausanne-Ouchy werden kritisch betrachtet. Es heisst, die Spielweise unter dem Trainer Raphael Wicky sei unattraktiv, es fehle an Fussballern, für die man gerne ins Stadion gehe, und es genüge eben nicht mehr, nur zu gewinnen. Selbst das Ausscheiden am Donnerstag in der Europa League beim portugiesischen Topklub Sporting Lissabon, in jeder Beziehung besser als YB, wird nicht einfach akzeptiert, sondern als Beleg genommen für eine fehlende Entwicklung.
Christoph Spycher, der Delegierte Sport im YB-Verwaltungsrat, sagt: «Es ist normal, dass die Ansprüche gestiegen sind.» Wanja Greuel, der CEO bei den Young Boys, sagt: «Wir sind auch ein Opfer des eigenen Erfolges.» Und Tom Berger, FDP-Stadtrat in Bern, sagt: «Ich hätte mir früher nie vorstellen können, dass ich einmal nicht alles toll finde, wenn YB auf Meisterkurs ist.»
Als sei konstantes Gewinnen ein Kinderspiel
Noch vor wenigen Jahren war die Sehnsucht nach einem YB-Titel in ganz Bern zu spüren, nach so vielen zweiten Plätzen und verlorenen Cup-Finals. Kuno Lauener, Sänger von Züri West, sagte einmal, Rang zwei sei auch «suuberi Büez». Sein Song «Irgendeinisch fingt ds Glück eim» war der Refrain für diese ewig lange titellose Zeit. Seit dem YB-Cup-Sieg 1987 waren bis 2018 neun Vereine Meister geworden und drei weitere Cup-Sieger, der FC Thun erreichte die Champions League.
Und YB war: der ewige Verlierer.
Melancholie, Romantik, Sehnsucht. Es ist nicht lange her. Jetzt ist YB eine gut geölte Maschine, das Geschäftsmodell wird nahezu perfekt umgesetzt. Talente kommen, werden entwickelt, gehen für Millionensummen ins Ausland, allein in den letzten acht Monaten verliessen vier Schweizer Nationalspieler den Klub: Fabian Rieder, Cédric Zesiger, Christian Fassnacht und Ulisses Garcia. Aber YB gewinnt einfach weiter, als sei es ein Kinderspiel, das Kader ständig zu erneuern.
Es gibt ein Datum, an dem sich das alte YB in das neue verwandelte, als «irgendeinisch» konkret wurde, als das Glück eine Heimat im Wankdorf fand. Es ist der 28. April 2018, und alle, die damals im Wankdorf waren, als YB gegen Luzern 2:1 siegte und die erste Meisterschaft seit 32 Jahren feierte, werden sich ein Leben lang an diesen Abend und an die Emotionen erinnern.
Scharfe Kritik von Vereinsheld Jean-Pierre Nsame
Mittlerweile hat YB fünf Meistertitel in sechs Jahren sowie zweimal das Double gewonnen und stand dreimal in der Champions League. Die Trainer wechseln, der Höhenflug bleibt. «Manchmal wäre es schön, wenn wir die Erfolge ein bisschen länger geniessen könnten», sagt der CEO Greuel.
YB ist längst nicht mehr der sympathische Verliererklub, YB ist der gefrässige Titelhamster. Die Abschiede von Vereinshelden wie Guillaume Hoarau und Miralem Sulejmani wurden professionell moderiert. Die Stimmung im Team ist nicht immer die beste, es gab Zwischenfälle, zuletzt am Donnerstag in Lissabon, als es auf dem Platz sogar Streit darüber gab, wer den Elfmeter schiessen darf – und sich Silvere Ganvoula entgegen den Vorgaben des Trainers durchsetzte.
Christoph Spycher ist die starke Figur im Unternehmen. Er sagt, man sei bei allen Entscheidungen einzig dem Klub verpflichtet: «Niemand ist grösser als YB.» Auch nicht Jean-Pierre Nsame, dessen Abgang vor ein paar Wochen zu Como nach längeren Unstimmigkeiten weiter für negative Schlagzeilen sorgt.
Erst am Freitag beschwerte sich Nsame erneut in Interviews heftig über YB, beklagte unter anderem einen «Mangel an Respekt» und meinte, er sei betrogen worden, weil die Young Boys einen Wechsel zu Servette blockiert hätten. «Wir waren immer transparent und ehrlich mit ihm», entgegnet Spycher.
Für Sentimentalitäten ist kein Platz mehr. Jean-Pierre Nsame war jener Stürmer, der am 28. April 2018 kurz vor Spielende gegen Luzern das Tor zum ersehnten Titelgewinn erzielte. Nsame war es, der Fans wie Tom Berger eine «Explosion der Gefühle» bescherte, die man als Anhänger maximal einmal im Leben erlebt. Berger – Jahrgang 1986, als YB zuvor letztmals Meister geworden war – erinnert sich an die Heimspiele um die Jahrtausendwende vor 2000 Zuschauern im alten, maroden Wankdorf oder daran, wie er als Schüler ein paar Franken Sackgeld gespendet hat, als die Young Boys mal wieder eine Geldsammelaktion starteten und mehrmals auf dem Sterbebett lagen.
Heute sind die Young Boys gesund und munter. Sie verkaufen den eigenen Junior Rieder für 15 Millionen Franken zu Rennes und ein paar Monate später den eigenen Junior Aurèle Amenda für fast die gleiche Summe zu Eintracht Frankfurt. Sie haben nach vielen Jahren mit enorm hohen Millionenverlusten über 60 Millionen Franken Eigenkapital.
Und eine Frage ist: Geht es überhaupt noch besser?
Wanja Greuel erwähnt die ungenügende Trainingssituation sowie die Frauenabteilung, die man fördern wolle. Und Christoph Spycher, wie Greuel seit 2016 in leitender Funktion, sagt: «An dem Tag, an dem wir nichts mehr verbessern wollen, müssen wir aufhören.» Tom Berger, als FDP-Stadtrat in der links-grünen Stadt ein Oppositionspolitiker, setzt sich für mehr Rasenplätze in Bern ein und stellt dabei oft erstaunt fest, dass YB mittlerweile von vielen auf Profifussball und Millionenbusiness reduziert werde. «Dabei tut der Klub viel für den Nachwuchs und für das Image Berns.»
Parallelen zum FC Basel in den Meisterjahren
Die Koordinaten haben sich verschoben. Für Fans wie Berger braucht es jetzt ein wunderschönes Tor von Meschack Elia in der Champions League gegen das weltbeste Team Manchester City, um Ekstase im Wankdorf zu erleben. Und der erfolgreiche Trainer Wicky wird auch von den Medien bemerkenswert kritisch beurteilt, weil die YB-Auftritte selten mitreissend sind.
Es ist wie damals beim FC Basel in den Meisterjahren, als Urs Fischer und Murat Yakin trotz Titelgewinnen gehen mussten. In Basel blähten die Verantwortlichen den personellen Apparat auf, sie überschätzten sich, was den damaligen Sportchef Marco Streller 2017 zur legendären Aussage verleitete, der Abstand zu YB sei im Moment sehr gross (was heute übrigens eine perfekte Beschreibung der Kräfteverhältnisse ist).
Christoph Spycher würde so etwas niemals sagen. Er verkörpert etwas Bodenständiges, Bescheidenes, Bernisches, vielleicht auch etwas Unspektakuläres, was ihn nicht stört. «Wir vergessen nie, woher wir kommen», sagt er. Gewachsen sind in Bern nicht nur die Ambitionen, sondern auch der Betrieb, aber alles im Rahmen, sagt Greuel. Als er vor acht Jahren als CEO angefangen habe, seien es 160 Vollzeitstellen mit rund 200 Personen gewesen. Mittlerweile sind es knapp 40 Stellen mehr mit etwa 330 Menschen, darunter falle der gesamte Gastrobereich im Wankdorf.
Überhaupt: das Stadion. Es gehört YB, noch ein Unterschied zum FCB. Und seit kurzem ist Spycher sogar Mitbesitzer des Klubs, das bindet ihn an die Young Boys – selbst wenn er in ein paar Jahren doch noch eine Herausforderung in der Bundesliga annehmen sollte. «Ich bin nicht getrieben vom Karrieredenken», sagt Spycher. «Mir ist es wichtig, jeden Tag mit Freude und Lust zur Arbeit zu gehen.» Seine schwierigste Aufgabe dürfte sein, die eigene Nachfolge angemessen vorzubereiten.
Vorerst planen die Young Boys mal wieder einen Umbruch im Kader. Im Winter kamen die jungen Spieler Jaouen Hadjam, Joel Mvuka und Anel Husic. Auch sie sollen in Ruhe reifen. Und doch hat man das Gefühl, nicht mehr jeder Transfer bei YB sei überzeugend. Die Erwartungen steigen überall.
Am Sonntag steht für die Young Boys der Spitzenkampf gegen den überraschenden Zweiten Servette an, am Donnerstag der Cup-Viertelfinal beim Challenge-League-Leader Sion. Vielleicht gewinnt der Klub in ein paar Monaten wieder das Double.
YB ist: der ewige Sieger.
Aber wie am 28. April 2018 wird es nie mehr sein.