Die Währungshüter wollen mit Zinssenkungen die Erstarkung des Frankens bremsen. Was der Wirtschaft hilft, bedeutet neue Probleme für Sparer.
Die Zinswende ist in vollem Gang. Auch in der Schweiz dürfte nach drei Zinssenkungen in diesem Jahr noch lange nicht Schluss sein. Das legen die jüngsten Ausführungen von Antoine Martin nahe, dem neuen Vizepräsidenten der Schweizerischen Nationalbank (SNB). Er sprach vergangene Woche vor Finanzleuten in Zürich. «Angesichts der relativ niedrigen Inflation und einer Wirtschaft, die schneller wachsen könnte, spricht alles für einen niedrigeren Leitzins», sagte er.
Auch Anfang Oktober war der neue SNB-Präsident Martin Schlegel bei seinem ersten Auftritt in Bellinzona offenherzig: Sogar Negativzinsen seien wieder eine Massnahme, die nicht ausgeschlossen werden könne, sagte er bei einem Vortrag bei der Tessiner Kantonalbank. Diese Ansagen waren unmissverständlich. Der Leitzins steht zurzeit bei 1, Anfang Jahr betrug er noch 1,75 Prozent.
Erstarkung des Frankens bremsen
Die Ankündigung weiterer Zinssenkungen sei in erster Linie eine Warnung an den Devisenmarkt, dass die SNB eine weitere Aufwertung des Frankens nicht tolerieren werde, sagt Thomas Stucki, Anlagechef der St. Galler Kantonalbank. Das wichtigste Ziel der SNB ist die Preisstabilität, allerdings muss sie auch der konjunkturellen Entwicklung Rechnung tragen. Eine zu starke Heimwährung und zu hohe Input-Preise sind Gift für die wichtige Exportwirtschaft.
Die Erstarkung des Frankens hat bereits vergangenes Jahr begonnen und schreitet trotz ersten Zinssenkungen sehr schnell voran. «Dem will die SNB entgegenwirken», sagt Giorgio Saraco, Teilhaber beim Vermögensverwalter Belvédère Asset Management. Die Voraussetzungen dafür sind da: Marktbeobachter sind sich einig, dass die Inflation in der Schweiz tendenziell weiter sinken dürfte. Hinzu kommt die Wachstumsabschwächung in der Euro-Zone, aber auch die lahmende chinesische Wirtschaft wirkt deflationär, was Druck auf den Franken ausübt.
Saraco glaubt deshalb, dass für die Schweiz zwei weitere Zinsschritte praktisch gesetzt seien. Damit könnte der Leitzins im kommenden Jahr auf 0,5 Prozent absinken. Die SNB kann aber nicht im luftleeren Raum agieren. Die Schweizer Währungshüter seien auch vom Vorgehen der Europäischen Zentralbank (EZB) abhängig, und die Europäer dürften die Zinsen noch aggressiver zurückfahren, sagt er.
Tatsächlich hat die EZB am Donnerstag wie erwartet eine weitere, dritte Zinssenkung für Einlagen auf 3,25 Prozent angeordnet und damit das Tempo des Zinsrückgangs erhöht. Gemäss der EZB-Präsidentin Christine Lagarde trüben sich die Konjunkturerwartungen weiter ein. Aber auch Anzeichen für eine Verlangsamung des Arbeitsmarktes in ganz Europa dürften den Teuerungsdruck in den kommenden Monaten mindern.
Weitere Zinssenkungen bereits eingepreist
«Die SNB geht von einem ausserordentlich starken Rückgang der Inflation aus», stellt Samy Chaar, Chefökonom Schweiz bei der Privatbank LODH, fest. Zudem glaubten die Währungshüter, dass die Teuerung in den kommenden 12 Monaten tief bleiben werde. Derweil gehe der Markt von noch gewagteren Annahmen aus als die SNB, nämlich davon, dass die Zinsen Mitte nächsten Jahres sogar unter 0,5 Prozent rutschten.
Im Juni 2025 könnte es also noch zu einem zusätzlichen, dritten Zinsschritt um 0,25 Basispunkte kommen. Ob die Absenkung tatsächlich so schnell vollzogen wird, ist umstritten. Chaar etwa geht nur von einem einzigen Zinsschritt im Dezember aus.
Ob es eine, zwei oder gar drei weitere Zinssenkungen geben wird, weiss niemand, nicht einmal die Währungshüter, die immer auch auf Basis aktueller Wirtschaftsdaten entscheiden müssen. Weitere Zinssenkungen sind aber bereits eingepreist. Chaar: «Es käme für den Markt als eine Überraschung, wenn die SNB von ihren Ansagen abweichen würde.»
Sparkonti und Bonds bringen nicht viel
Doch was bedeutet der erwartete Zinsrückgang für Sparende? Unmittelbar wird das vor allem im Immobilienmarkt bemerkbar. zehnjährige Hypotheken werden wieder für knapp 2 Prozent zu haben sein, glaubt der Ökonom Chaar. «Das belebt den Markt und reduziert gleichzeitig die Finanzierungsrisiken bei einem erhöhten Zinsniveau», sagt er.
Wobei primär Saron-Hypotheken direkt vom Leitzins abhängen. Dennoch dürften Hypotheken, aber auch Kredite grundsätzlich günstiger werden. Die Leute können aber auch mehr sparen. Das dürfte die Nachfrage nach Immobilien anheizen, zumal es hier im Gegensatz zu Deutschland oder Skandinavien bisher keine Preiskorrektur gegeben habe, so glaubt Saraco.
Aber auch mit mehr Geld auf dem Sparkonto dürfte es künftig deutlich weniger Zins geben. Der durchschnittliche Zinssatz auf Sparkonten liegt gemäss Vergleichsdienst Moneyland bei mageren 0,6 Prozent – und dürfte weiter sinken. Seit dem Sommer setzen die Schweizer Banken wieder ihre Sparzinsen herab, in Erwartung tieferer Leitzinsen. Nach Abzug von Inflation und Gebühren verliert man auf dem Sparkonto also netto wieder Geld.
Aber auch Obligationen sind keine Alternative, sie werden wegen rückläufiger Renditen noch weniger attraktiv. Bei sinkendem Zinsniveau steigt zwar ihr Preis, doch ihre Renditen werden automatisch geringer. So können US-Obligationen, die noch Zinsen von über 4 Prozent abwerfen, in einem Portfolio in Dollar sinnvoll sein. Für Schweizer Sparer, die schwergewichtig in Franken anlegen, bringen zehnjährige Eidgenossen mit einer Rendite von 0,38 Prozent hingegen nicht viel. Deshalb brauche es Alternativen, zum Beispiel Einnahmen aus Mietliegenschaften, sagt Chaar.
Mehr Geld zum Investieren
Nutzlos sind Anleihen allerdings nicht. Für den Vermögensverwalter Saraco sind Schweizer Obligationen auch mit sehr tiefen Renditen wegen ihres Rufs als sicherer Hafen durchaus attraktiv. Denn sie helfen, die Schwankungen in einem Portfolio abzufedern. Weniger für Hypotheken oder Kredite zahlen zu müssen, bedeutet auch, dass mehr Geld übrig bleibt, um zu investieren. Und da Sparkonten und Obligationen kaum mehr etwas abwerfen werden, dürften Aktien mehr nachgefragt werden.
Wobei der Vermögensverwalter weniger auf Blue-Chip-Aktien setzen würde als auf kleinere Titel aus dem SPI, die bei rückläufigen Zinsen eher profitieren. Kleinere Konzerne sind tendenziell höher verschuldet und profitieren, wenn sich das Finanzierungsumfeld verbessert, weil sich ihre Kredite verbilligen.
Dennoch befinden sie sich in einem Dilemma, denn im Gegenzug leiden sie unter der Verteuerung ihrer Waren wegen des starken Frankens. Dass die SNB deswegen aber wieder auf Negativzinsen zurückgreifen wird, wie ab 2015 während acht Jahren, ist unwahrscheinlich. «Negativzinsen wären ein Extremszenario im Falle eines Schocks», so glaubt Giorgio Saraco. Zuerst würde die SNB auf andere Massnahmen wie Devisenkäufe zurückgreifen, um den Franken zu schwächen.
Aber auch ein merklich schwächerer Franken ist in den Augen des Anlageexperten derzeit ein unwahrscheinliches Szenario. Er glaubt, dass sich der Kurs in absehbarer Zukunft zum Dollar und zum Euro seitwärts bewegen wird. Für Anleger lohnt sich eine Erhöhung der Fremdwährungsbestände kaum. «In den letzten Jahren hat man mit Engagements in Fremdwährungen nur verloren», sagt er.