Die italienische Ministerpräsidentin gibt sich trotz einer bitteren Niederlage vor Gericht unbeeindruckt. Sie will an der Prüfung von Asylanträgen ausserhalb der EU festhalten und attackiert die Justiz.
Der erste Testlauf für das italienische Asylbewerberzentrum auf albanischem Boden ist gescheitert. Nach 72 Stunden wurden die zwölf Migranten, die ein italienisches Kriegsschiff am Mittwoch nach Albanien gebracht hat, wieder nach Italien zurückgeholt. Ein Gericht in Rom hatte untersagt, die Asylverfahren der Migranten aus Bangladesh und Ägypten in dem extraterritorialen Lager durchzuführen.
Trotz der herben Schlappe will Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni aber an dem Modell festhalten. Auf einer Sondersitzung soll das Kabinett am Montag eine Lösung suchen.
Das rasche Aus für Melonis Asyl-Experiment rief ein breites Echo hervor – in Italien und in den europäischen Nachbarländern. Die für Einwanderungsfragen zuständige Kammer des römischen Gerichts hatte am Freitag angeordnet, dass alle Insassen des neuen Zentrum im nordalbanischen Gjader unverzüglich nach Italien zu bringen sind.
Innovative Migrationspolitik
Die Richter verwiesen auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 4. Oktober 2024. Demnach kann ein EU-Mitglied das Herkunftsland der Migranten nur dann als sicher einstufen, wenn die Bedingungen dafür im ganzen Land und für alle Bevölkerungsgruppen erfüllt sind. Die EU beurteilt die Länder Bangladesh und Ägypten, anders als Italien, aber als «nicht sicher». Deshalb müssten die Migranten in Italien ein geordnetes Asylverfahren erhalten, entschied das Gericht.
Die italienischen Behörden hatten den zwölf Männern in Gjader zuvor in einem Schnellverfahren in Rekordzeit das Asyl verweigert. Die Vorsitzende Richterin Luciana Sangiovanni sagte der Turiner Tageszeitung «La Stampa» am Samstag, dass das Gericht gar nicht anders hätte entscheiden können. «Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs ist nicht nur für uns Richter bindend, sondern auch für die Behörden», sagte sie.
Dabei trumpft Meloni in Europa gerade mit ihrer innovativen Migrationspolitik auf. Wenige Stunden vor dem Gerichtsentscheid hatten die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Länder auf ihrem Gipfeltreffen in Brüssel von der Kommission ein neues Gesetz verlangt, um die Abschiebung der abgelehnten Asylbewerber beschleunigen zu können. Melonis Modell, die Asylverfahren in Drittländer auszulagern und so den Migranten von vornherein den Zugang nach Europa zu verwehren, gilt inzwischen vielen ihrer Kollegen als Vorbild.
Wer entscheidet über Sicherheit eines Landes?
Nach dem Fehlstart ihres Albanien-Projekts ging Meloni sofort in die Offensive. «Die Italiener wollen von mir, dass ich die illegale Einwanderung stoppe», sagte die Regierungschefin wütend. Es sei nicht an der Justiz, darüber zu entscheiden, welche Länder sicher sind. Dies sei vielmehr die Aufgabe der Regierung. «Es ist sehr schwierig, den Erwartungen der Nation gerecht zu werden, wenn ein Teil der Institutionen sich dagegen stellt», griff Meloni die Justiz an.
Innenminister Matteo Piantedosi kündigte an, dass die Regierung gegen den Richterspruch in Berufung gehen werde – notfalls bis in die höchste Instanz. Allerdings war die Entscheidung des römischen Gerichts voraussehbar gewesen. Der Grundsatz eines Urteilsspruchs des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg muss von allen Mitgliedstaaten übernommen und angewendet werden. «Darum hat die angekündigte Berufung der Regierung nur sehr geringe Erfolgsaussichten», sagte Luca Masera, Professor für Rechtswissenschaften an der Universität Brescia. Auch gebe es kaum Chancen, die Asyl-Prüfung ausserhalb der EU mit einem Gesetzesdekret rechtssicher zu machen.
Nach Ansicht des Experten für Migrationsrecht ist die Albanien-Lösung damit gescheitert. Das Zentrum in Gjader steht jetzt nach nur drei Tagen wieder leer. Es war am vergangenen Mittwoch mit fünf Monaten Verspätung eröffnet worden. Der Bau hat den italienischen Staat 65 Millionen Euro gekostet. Die ersten zwölf ausgewählten Migranten waren mit insgesamt 85 Bootsflüchtlingen von der italienischen Küstenwache bei Lampedusa aus dem Mittelmeer gerettet worden.
Am Samstag trafen sie nun aus Albanien in der süditalienischen Hafenstadt Bari ein und wurden in ein Aufnahmelager in der Nähe gebracht. Dort haben die Migranten zwei Wochen Zeit, Einspruch gegen die Ablehnung ihres Asylantrags einzulegen. Solange die Verfahren laufen, werden die Männer in Italien bleiben. Genau das wollte Meloni verhindern und hatte darum ihr kostspieliges Abkommen mit Albanien geschlossen. Die jährlichen Kosten werden von der römischen Regierung auf 120 Millionen Euro geschätzt. Geplant war, dass in Gjader zügig über die Asylanträge entschieden wird und die Migranten bei Ablehnung direkt in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden.
Bis zu 36 000 Menschen sollten im Jahr durch das albanische Lager transferiert werden. Das Gericht in Rom hat sich nicht gegen das Verfahren an sich ausgesprochen. Doch schliesst man alle Herkunftsländer aus, die als nicht sicher eingestuft werden, bleiben nur wenige Nationalitäten übrig, deren Asylanträge in Albanien bearbeitet werden können.