Litauen liegt exponiert zwischen Kaliningrad und Weissrussland und ist geopolitisch wichtig für die Nato und die EU. Am Sonntag hat das Land einen neuen Präsidenten gewählt.
Die litauischen Präsidentschaftswahlen drehten sich vor allem um ein Thema: Verteidigung. Seit Russland in der Ukraine einen blutigen Krieg führt, befürchten die Balten, als Nächste ins Visier zu geraten. Welcher Kandidat, welche Kandidatin ist also in der Lage, Litauen in der gegenwärtigen Bedrohungslage zu führen?
75 Prozent der Wählerinnen und Wähler sehen den 60-jährigen konservativen Amtsinhaber Gitanas Nauseda als den richtigen Mann für diese Aufgabe. In der Stichwahl konnte sich Nauseda deutlich gegen die amtierende Ministerpräsidentin Ingrida Simonyte durchsetzen.
Litauen ist ein kleines Land mit 2,8 Millionen Einwohnern. Durch seine exponierte Lage – eingeklemmt zwischen Weissrussland und der russischen Exklave Kaliningrad – ist es jedoch von grosser geopolitischer Bedeutung. Litauens Aussengrenzen sind auch die Aussengrenzen von EU und Nato. Die Verteidigung des baltischen Landes ist also auch deren zentrales Anliegen.
Als Präsident und Oberbefehlshaber der Armee wird Gitanas Nauseda die Aussen- und Sicherheitspolitik Litauens weiterhin wesentlich mitbestimmen. Wer ist dieser Mann?
Vergangenheit als Kommunist
Offiziell betritt Nauseda die politische Bühne in Litauen 2019 als unabhängiger Präsidentschaftskandidat. Tatsächlich reicht seine politische Vergangenheit jedoch weiter zurück.
Es ist das Jahr 1988. Litauen ist Teil der Sowjetunion, doch in der Bevölkerung brodelt es. Im Juni wird mit Sajudis die erste Partei gegründet, die sich für die Unabhängigkeit Litauens einsetzt. Tausende Menschen gehen auf die Strasse, um gegen die sowjetische Okkupation zu protestieren.
Etwa zur gleichen Zeit tritt ein junger Mann der Kommunistischen Partei der Sowjetunion bei. Jener Partei also, die Litauen während der Besetzung regiert und deren Führer Josef Stalin in den 1940er Jahren 50 000 Menschen aus Litauen, Lettland und Estland in sibirische Arbeitslager deportieren liess. Viele kehrten nie mehr zurück.
Der junge Mann ist Gitanas Nauseda. Als seine Vergangenheit im April 2023 publik wird, ist Nauseda Präsident des inzwischen unabhängigen Litauen. Dass er einst Kommunist war, sorgt im Land für Entrüstung. Nauseda ist keineswegs ein Einzelfall: Vier der fünf Präsidenten der 1990 gegründeten Republik Litauen haben eine kommunistische Vergangenheit. Doch die Tatsache, dass Nauseda seine Mitgliedschaft bei den Wahlen 2019 verheimlicht hat, kommt nicht gut an.
Heute bezeichnet Nauseda den Parteibeitritt als «Jugendfehler». Er habe sich dadurch bessere Karrierechancen in der Wissenschaft erhofft. Zu jenem Zeitpunkt konnte Nauseda nicht wissen, dass die Sowjetunion zwei Jahre später zerfallen würde. In der Wissenschaft schaffte er es 2009 zum Assistenzprofessor an der Hochschule für Betriebswissenschaften in Vilnius.
«Ich war ein ehrgeiziger und sturer junger Mann», sagte er im April 2023 gegenüber der Nachrichtenagentur BNS. Seine Mutter habe ihn davor gewarnt, der Kommunistischen Partei beizutreten, doch er habe ihre Sorge ignoriert. In der Partei habe er sich nie aktiv engagiert, und er habe später versucht, seinen Fehler durch seine Arbeit als Ökonom und sein Engagement für Litauen wiedergutzumachen.
Kritiker von Putin und Lukaschenko
Am Sonntag hat sich gezeigt, dass die Litauerinnen und Litauer Nauseda seine Jugendsünde verziehen haben. Das dürfte nicht zuletzt daran liegen, dass er sich in den letzten Jahren gegenüber Russland und Weissrussland klar positioniert hat.
Nauseda ist ein entschiedener Kritiker Putins und Lukaschenkos und hat angekündigt, die Verteidigungsausgaben auf 3 Prozent des Bruttoinlandproduktes zu erhöhen. Die Nato hat ihren Mitgliedstaaten das Ziel von 2 Prozent auferlegt. Den Kampf der Ukraine sieht Nauseda als Kampf Europas. Gemessen am Bruttoinlandprodukt hat Litauen die Ukraine mit 1,5 Prozent bisher am drittmeisten unterstützt.
Die erste Amtszeit Nausedas drehte sich weitgehend um die Verteidigungspolitik. Dass die Balten den autokratisch regierten Nachbarländern nicht naiv begegnen, hat gute Gründe. Nauseda wirkt aber mit seinen scharfen Aussagen zuweilen alarmistisch. Als im letzten Sommer Wagner-Truppen in Weissrussland gesichtet wurden, warnte er davor, dass sie Litauen infiltrieren könnten, und wollte die Grenze komplett schliessen. Und als es Mitte Mai in Medienberichten hiess, der Kreml wolle die Grenzen in der Ostsee neu ziehen, twitterte er aufgeregt von einer Eskalation. Noch ist unklar, ob und wie der Kreml die Pläne umzusetzen gedenkt.
Während Nauseda den Autokraten in der Nachbarschaft mit berechtigtem Misstrauen begegnet, ist er bezüglich Chinas weniger kritisch. Als es die Regierung von Simonyte Taiwan erlaubte, eine Repräsentanz unter dem eigenen Namen zu eröffnen, statt wie üblich unter jenem der Hauptstadt Taipeh, bezeichnete Nauseda das als Fehler. Seine Wahl bedeutet für die Aussen- und Verteidigungspolitik des Landes aber vor allem Kontinuität.