Torbjörn Pedersen träumte von Abenteuern à la Indiana Jones. Auf seiner 3512-tägigen Weltumrundung entdeckte er, was ein erfülltes Leben bedeutet.
Er suchte ein Abenteuer sondergleichen. Neun Jahre und neun Monate später hatte es Torbjörn Pedersen geschafft. In einer ununterbrochenen Reise hatte der gebürtige Däne jedes Land der Erde besucht, ohne je ein Flugzeug bestiegen zu haben.
Als Kind hatte Pedersen oft das Gefühl, im falschen Zeitalter zu leben. Die grossen Abenteuer waren vollbracht. Trotzdem, wenn er durch die Wälder seiner Kindheit schweifte und die Äste für seine nächste Waldhütte zusammentrug, träumte er davon, der nächste Indiana Jones zu werden. Das Reisefieber war ihm in die Wiege gelegt worden. Als 7-Jähriger hatte er bereits in Kanada, den USA und Dänemark gewohnt.
Nach einem Betriebswirtschaftsstudium betätigte er sich als Uno-Peacekeeper in Ostafrika. Danach bereiste er als Schifffahrtslogistiker von Grönland bis Florida fast die ganze Welt. Aber der Traum, als verwegener Abenteurer in die Geschichte einzugehen, verlangte nach mehr. Der Mount Everest war bestiegen, die Tiefen der Ozeane wurden erschlossen, und auch am Südpol hatten sich Forschende eingerichtet. Was gab es noch zu entdecken?
Vor etwas mehr als zehn Jahren – er hatte sich gerade frisch verliebt und sich in einer neuen Wohnung eingerichtet – kam ihm der Einfall: Noch niemand hatte flugzeuglos alle Länder besucht. Also zog er als 34-Jähriger los und kehrte mit 44 Jahren heim. Was er dabei über das Leben lernte, darüber räsoniert er nach seiner erfolgreichen Reise und zum Abschluss des Jahres.
Wie man eine Situation richtig einschätzt
Torbjörn Pedersen: «Immer wieder höre ich, die Welt sei durch die Globalisierung zusammengeschrumpft und eigentlich recht klein. Das sehe ich nach meiner zehnjährigen Reise anders. Die Welt ist sehr, sehr gross. Nur die Verbindungen sind schneller geworden. Von Zürich nach New York fliegt man in weniger als zehn Stunden. Die Distanz ist dabei kaum wahrnehmbar. Reist man auf dem Boden, sieht es anders aus. Das habe ich am eigenen Leib erfahren, als ich in Afrika tagelang im Bus sass – gute Strassen, 70, 80 Kilometer in der Stunde, alles geradeaus, und die Fahrt dauerte trotzdem ewig. Da dämmerte es mir: Die Welt ist rund, aber die Mercator-Landkarte ist flach. Wenn man die Erde auf diese Weise auslegt, werden gewisse Flächen zusammengepresst. Sie sehen kleiner aus, als sie in Wirklichkeit sind. Etwa Paraguay. Auf der Karte sieht es aus, als wäre das Land nur halb so gross wie Deutschland. Dabei verhält es sich umgekehrt. Paraguay ist doppelt so gross. Ob eine Distanz, ein Land, eine Situation: Was immer wir beurteilen, es ist eine Frage der Perspektive.»
Was zu Vertrauen führt
«Ohne die Unterstützung von Tausenden von Leuten hätte ich nie rund um die Welt reisen können. Sie alle mussten mir vertrauen – und ich ihnen. Interessanterweise gibt es aber Unterschiede, wie es zum Vertrauen kommt: Ich traue ihnen, bis ich einen Grund dafür habe, ihnen nicht mehr zu trauen. Während der Reise lernte ich, dass sich ganz viele Menschen in anderen Ländern anders verhalten. Sie vertrauen niemandem, bis sie wissen, dass sie es tun können.»
Woran man merkt, dass es Liebe ist
«2012, kurz vor meiner Abreise, hatte ich das Riesenglück, eine wunderbare Frau kennenzulernen. Ein Jahr später wurde eine feste Beziehung daraus. Wir nahmen an, dass ich in vier Jahren von meiner Reise zurück sein würde. Das erwies sich bald als unrealistisch. Zumal ich als Ambassador für das internationale Rote Kreuz unterwegs war. Und ich aufgrund der Pandemie während zweier Jahre in Hongkong festsass. Meine Frau Le besuchte mich, wann immer es möglich war. 27 Mal insgesamt. Wir verbrachten über die zehn Jahre hinweg ein gutes Jahr beisammen. Was ich während der Pausen dazwischen gemerkt habe: Die Abwesenheit eines wirklich geliebten Menschen lässt das Herz höherschlagen.»
Wie man angstfreier lebt
«Die Reise hat mich von Ängsten befreit. Trotzdem gibt es Dinge, die ich nicht mehr machen würde. In Kongo etwa sass ich zwei Tage lang auf dem Dach eines Lastwagens. Ständig musste ich fürchten hinunterzufallen. Zudem war die Gegend bekannt für ihre Banditen. Es gab massenweise Kontrollpunkte, wo man nie sicher sein konnte, was passieren würde.
Und dann fuhr ich auf mindestens drei alten Kähnen, die heute auf dem Meeresgrund ruhen. Als ich sie bestieg, war mir klar: Das ist lebensgefährlich. Mit ihnen mitzufahren, war russisches Roulette!
Andererseits habe ich meine Angst vor Spinnen, die nicht giftig sind, verloren. Gestern hatten wir ein Riesenbiest im Haus. In Dänemark gibt es keine gefährlichen Spinnen, das weiss man. Ich beförderte sie von Hand aus dem Fenster.
Ich habe gelernt, Situationen besser zu lesen. Im Zweifelsfall helfen mir zwei einfache Fragen: Warnt mich ein mulmiges Gefühl vor etwas, das möglicherweise zum Tod führt? Dann lasse ich es bleiben. Oder warnt mich ein mulmiges Gefühl vor etwas, das mir einfach unangenehm ist? Dann kann ich auf das Wagnis einsteigen, wenn ich das dann tatsächlich auch will.»
Was es für den Erfolg braucht
«Kurz bevor ich alle Länder rund um den Globus bereist hatte, fühlte ich mich so wie beim Bauen eines Kartenhauses. Die ersten Lagen sind einfach. Aber je höher das Haus wird, desto heikler wird die Sache. Eine dumme Bewegung, und all die Mühen und bisherigen Leistungen waren umsonst. So war es auch mit diesem Projekt.
Das drittletzte Land war Tuvalu im Südwesten des Pazifischen Ozeans. Tuvalu ist winzig, winzige Bevölkerung und winzige Wirtschaft. Der Staat verfügt über vier Schiffe. Eines davon war nach Fidschi entsandt worden, um Studenten abzuholen. Auf halbem Weg ging der Motor kaputt. So ging meine Fahrt von Fidschi nach Tuvalu einen Tag länger, und zurück in Tuvalu, war der Motor wieder kaputt. Beim zweiten Boot funktionierte der Motor nicht, und das dritte hatte ein Leck. So flog Tuvalu die Studenten per Flugzeug zurück. Ich aber wollte partout nicht in ein Flugzeug steigen. Ein Flug hätte all meine Anstrengungen von fast zehn Jahren zunichtegemacht. Nur: Allein meinetwegen wollte Tuvalu verständlicherweise nicht auch sein viertes und letztes Schiff riskieren.
Alle drei Wochen kam ein Containerschiff, das von Tuvalu zu den Fidschiinseln fuhr. Nur weigerte sich die amerikanische Firma, mich mitzunehmen. Denn noch immer grassierte die Corona-Pandemie. Der Kapitän wollte nicht meinetwegen riskieren, dass sein Schiff tagelang in Quarantäne liegen müsste. Nach zwei Monaten durfte ich endlich mit einem kleinen Schlepper nach Fidschi fahren. Und alles war auf einmal ganz einfach.
Von den Fidschiinseln ging es über Singapur und Malaysia nach Sri Lanka und zu den Malediven. Dort hatte sich eine Reederei freundlicherweise bereit erklärt, mich nach Dänemark zurückzubringen. Alle Schwierigkeiten, die kurz vor Ende der Reise für so viel Stress gesorgt hatten, waren mit einem Schlag beseitigt. Was man benötigt, um Erfolg zu haben, ist demnach eine ruhige Hand. Bis zum Schluss.»