Der Mäzen Klaus-Michael Kühne will den Neubau eines Opernhauses in Sichtweite der Elbphilharmonie finanzieren. In Hamburg rätselt man immer noch: Wo ist der Haken?
Die Nachrichten passten nicht zur allgemeinen Lage der Kultur in Deutschland. Während vielerorts der Rotstift wegen knapper Kassen angesetzt wird, besonders einschneidend in der Hauptstadt Berlin, sendet Hamburg seit einiger Zeit entgegengesetzte Signale. Zuerst verkündete der Senat des Stadtstaats eine Aufstockung des Kulturetats um gut 11 Prozent auf dann über 900 Millionen Euro für die Jahre 2025 und 2026 – die solide Haushaltslage macht es möglich. Noch spektakulärer klang allerdings das, was man am 7. Februar an der Elbe verkündete: Hamburg soll ein neues Opernhaus bekommen.
Die Stadt hatte sich an diesem Tag nach dreijährigen Verhandlungen mit der Schweizer Stiftung des Milliardärs Klaus-Michael Kühne auf die Errichtung eines Neubaus für die Hamburgische Staatsoper verständigt. Neben dem Musiktheater soll darin künftig auch das von John Neumeier zu Weltruhm geführte Hamburg Ballett seine neue Heimstatt finden. Wenn das Projekt gelingt – und alle Beteiligten geben sich derzeit trotz hanseatischem Understatement auffallend zuversichtlich –, wäre das der erste Opernhaus-Neubau dieser Grössenordnung in Deutschland nach 1945.
Zugleich zeichnet sich damit die höchste private Einzelspende ab, die bis anhin im deutschen Kultursektor geleistet worden ist. Denn der Mäzen Klaus-Michael Kühne, Mehrheitseigner des international operierenden Logistikkonzerns Kühne + Nagel mit Hauptsitz in Schindellegi (SZ), will den Bau komplett finanzieren. Die Stadt verpflichtet sich lediglich dazu, den Baugrund zur Verfügung zu stellen und zu erschliessen.
Bitte kein zweites «Elphi»-Debakel
Das Gebäude soll auf einer exponierten Landzunge, dem Baakenhöft, am Ufer der Elbe in der Hafencity errichtet werden. Für den Hochwasserschutz, an diesem Standort unvermeidlich, und für die Gründung der Fundamente will die Stadt einen gedeckelten Betrag von bis zu 147,5 Millionen Euro bereitstellen; er wäre nach Aussage der Verantwortlichen aber ohnehin für die Erschliessung dieses städtebaulichen Filet-Grundstücks im neuen Stadtquartier angefallen. Sämtliche Kosten für die Errichtung des eigentlichen Opernhauses will hingegen die Kühne-Stiftung tragen. Nach der Fertigstellung – voraussichtlich Anfang der 2030er Jahre – soll der Bau ins Eigentum der Stadt übergehen.
Für viele klang das zu schön, um wahr zu sein. Der Argwohn erscheint verständlich, zumal man sich in Hamburg schmerzhaft an das Finanzdebakel bei der Elbphilharmonie erinnert, die künftig in Sichtweite des neuen Opernhauses liegen wird. Aus den für die «Elphi» ursprünglich veranschlagten 77 Millionen Euro Investitionskosten für die öffentliche Hand ist am Ende wegen Bauverzögerungen und Planungsfehlern gut das Zehnfache geworden. An der Elbe reagierte man daher anfangs äusserst verhalten, als Klaus-Michael Kühne, 1937 in Hamburg geboren, vor drei Jahren erstmals mit dem Ansinnen an seine Vaterstadt herantrat, ihr ein neues Opernhaus zu «schenken».
Kühne untermauerte dies seinerzeit mit der Aussicht auf eine Spende von 330 Millionen Euro. Vermutlich diente das aber bloss als eine Art Lockangebot, um die Dimensionen seines mäzenatischen Engagements zu umreissen. Die Stadt wiederum hat offensichtlich aus den Fehlern bei der Elbphilharmonie gelernt. Gemäss den Verträgen wird das finanzielle Risiko nun ausschliesslich aufseiten der Kühne-Stiftung liegen, und sie haftet auch für einen allfälligen Rückbau, sollte das Projekt scheitern. Eine Dreieckskonstruktion wie die zwischen dem Basler Architekturbüro Herzog & de Meuron, städtischen Stellen und dem ausführenden Baukonzern, die im Fall der Elbphilharmonie zu Kompetenzwirrwarr geführt hatte, soll somit ausgeschlossen sein.
Ohne «Schmerzgrenze»
Bei der Präsentation des Projekts im Februar spielte zudem die ursprünglich von Kühne genannte Summe keine nennenswerte Rolle mehr. Aus kaufmännischen Erwägungen – unter anderem wegen der kommenden Ausschreibungen – wollten die Verantwortlichen der Kühne-Stiftung und der im Bedarfsfall aushelfenden Kühne Holding zwar keine konkrete «Schmerzgrenze» benennen. Es entstand aber der Eindruck, dass der Stifter das Projekt wenn nicht um jeden Preis, so doch gegebenenfalls auch für eine deutlich höhere Summe finanzieren würde.
Dies dürfte Fachleute beruhigen, die zu Recht darauf hinweisen, dass ein Opernhaus-Neubau dieser Dimensionen unter heutigen Bedingungen kaum für 330 Millionen Euro zu realisieren ist. Die 2005 eröffnete Oper in Kopenhagen – ebenfalls das Geschenk eines Stifters – hat zwar nach damaligem Geldwert exakt diese Summe gekostet. Das Opernhaus in Oslo, 2008 eingeweiht, schlug aber bereits mit umgerechnet 550 Millionen Euro zu Buche; es hat 1350 Plätze und damit 300 Sitze und einen Rang weniger als Hamburgs heutige Staatsoper. 2023 schätzte eine Expertenkommission den Finanzbedarf für den aus Arbeits- und Brandschutzgründen überfälligen Neubau der Frankfurter «Doppelanlage» (Oper und Schauspielhaus) auf bis zu 1,3 Milliarden Euro. Ähnliche Summen stehen inzwischen bei der aus dem Ruder gelaufenen Sanierung der Oper Köln sowie bei der Renovation des Württembergischen Staatstheaters Stuttgart im Raum.
Die leidige Erfahrung, dass die Sanierungskosten bei derart komplexen Theatergebäuden leicht ausufern können, bemühte Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda denn auch als zentrales Argument für einen Neubau an anderem Standort. Zugleich liessen sich so die Aufwendungen für die nötige Modernisierung der bisherigen Staatsoper senken. Das denkmalgeschützte Haus am historischen Gänsemarkt soll zwar «für kulturelle Zwecke» weitergenutzt werden, wie es vage heisst. Gemeint ist damit aber in jedem Fall: nicht mehr für einen technisch anspruchsvollen Musiktheaterbetrieb. Die immerhin denkbare Option eines zweiten Opernhauses wie in München, von jeher Hamburgs innerdeutsche Konkurrenz, wurde damit verworfen.
Ein Eismeer in Oslo
Der geplante Verzicht auf den Standort in der Innenstadt stösst in der Bevölkerung bislang auf ein geteiltes Echo. Man kann ihn auch unter historischen Gesichtspunkten kritisieren: Immerhin war die Oper am Gänsemarkt 1678 das erste privatwirtschaftlich geführte Opernhaus Deutschlands. Hier brachte Händel seine ersten Opern heraus, an Nachfolgebauten wirkten unter anderem Lessing («Hamburgische Dramaturgie») und Mahler.
Geschichtliche Sensibilität scheint ebenso beim neuen Standort geboten: Vom umgebenden Areal des Baakenhafens wurden deutsche Soldaten zur Niederschlagung der Aufstände von Herero und Nama in die damalige Kolonie Deutsch-Südwestafrika verschifft. Ein Dokumentationszentrum ist seit längerem in Planung.
Die Geschichte beschwört man im Zusammenhang mit Kühnes Projekt lieber in anderer Weise, indem man dessen Engagement in die hanseatische Stifter-Tradition einreiht. Ihr hat die Stadt nicht zuletzt die neobarocke Laeiszhalle zu verdanken, die heute als zweites Konzerthaus neben der Elbphilharmonie weiterbetrieben wird.
Die «Elphi», deren anhaltender Erfolg Hamburgs Selbstverständnis als Kulturstadt entscheidend beflügelt hat, wirft eine naheliegende Frage auf: Soll man für das Kühne-Projekt ein weiteres Mal an Herzog & de Meuron herantreten? Oder gerade nicht? Die Kühne-Stiftung will nun zunächst einen Wettbewerb unter «fünf weltweit führenden» Architekturbüros ausloben. Der besondere Standort in der Hafencity lenkt den Blick dabei abermals nach Oslo.
Die dort vom norwegisch-amerikanischen Büro Snøhetta errichtete «Operaen» bildet, rein zufällig, Caspar David Friedrichs berühmtes «Eismeer» nach, ein Prunkstück der Hamburger Kunsthalle. Auch die Lage ähnelt derjenigen an der Elbe. Vor allem aber gilt das gleichsam auf dem Oslofjord schwebende Musiktheater als bislang gelungenster Opernneubau des 21. Jahrhunderts. Weniger wäre für Hamburg zu wenig.