Im Tessin boomt der Bahnverkehr. Doch es kommt auch zu Verspätungen und Sperrungen – und im Januar müssen die Gotthard-Personenzüge wieder über die alte Bergstrecke fahren.
Es war eine Geduldsprobe für die Tagestouristen und Arbeitspendler: Ein Jahr lang blieb der Gotthard-Basistunnel nach einem schweren Güterzugunfall Mitte August 2023 für Personenzüge meist gesperrt. Die Zugreisenden mussten die alte Bergstrecke benutzen, und die Fahrt von Zürich nach Lugano dauerte statt der üblichen zwei wieder drei Stunden.
Nun kehrt das Szenario des gesperrten Gotthardtunnels zurück. Zum Glück nur für kurze Zeit: Die SBB leiten vom 13. bis zum 24. Januar die Eurocity- und Intercity-Züge wieder auf die Panoramastrecke um. Einzig die zwei täglichen Direktzüge der internationalen Verbindung Mailand–Zürich–Frankfurt rollen weiter durch den Basistunnel. Dasselbe gilt für die Intercity-Verbindung von 5 Uhr 30 ab Chiasso nach Norden sowie für die letzte Fahrt um 23 Uhr 05 Uhr ab Zürich Richtung Süden. Der Güterverkehr erfährt wie das letzte Mal mehr Schonung, denn es wird nur ein Teil davon auf andere Strecken verlegt.
Dringende Unterhaltsarbeiten
Der Grund für die erneute Sperrung des Gotthard-Basistunnels sind grössere Unterhaltsarbeiten. Normalerweise bleibt an jedem Wochenende jeweils eine der beiden Basistunnel-Röhren für zwei Nächte gesperrt, damit notwendige Reparaturen durchgeführt werden können. Nun haben laut der SBB-Sprecherin Sabrina Schellenberg mehrere wichtige Systeme im Tunnel das Ende ihrer Lebensdauer erreicht. Um sie zu ersetzen, reichen die üblichen achtstündigen Arbeitseinsätze pro Nacht nicht aus. Daher haben die SBB die Sperrung während zweier Wochen im Januar und im August angeordnet.
Dringenden Ersatz braucht vor allem der Tunnelfunk. Er ging schon vor der Eröffnung des neuen Gotthard-Bahntunnels Ende 2016 in Betrieb. Dieses Funksystem ermöglicht das Benutzen der Handys während der rasanten Fahrt durch die beiden Röhren. Die ersten Arbeiten für den Ersatz des Funks fanden laut Schellenberg schon während der einjährigen Schliessung des Basistunnels statt. Ebenso ein Teil der weiteren notwendigen Erneuerungsarbeiten, die in den Jahren 2026 und 2027 weitergehen werden.
Aber muss eine zweiwöchige Sperrung des Gotthard-Basistunnels auch im August erfolgen? Dann sind sehr viele Touristen unterwegs. Die SBB-Sprecherin beruhigt: Im August verkehren tendenziell weniger Güterzüge auf der Nord-Süd-Achse, also werden die Personenzüge wie üblich durch den Basistunnel rollen.
Während der Bauarbeiten im Januar habe man zuerst gar keine Passagierzüge durch die beiden Röhren lassen wollen, sagt der Tessiner SP-Nationalrat Bruno Storni, Mitglied der parlamentarischen Verkehrskommission. Deshalb sei er mit einer Interpellation an den Bundesrat gelangt, der dann einigen wenigen Personenzügen die Durchfahrt zugestanden habe.
Storni stört sich daran, dass die SBB im Januar wieder den langsamen Güterzügen den Vortritt lassen. Generell stünden diesen täglich 260 Trassen zur Verfügung. Jedoch würden im Schnitt etwas weniger als die Hälfte tatsächlich genutzt. Das erscheint Storni wirtschaftlich unsinnig: Weil der Tagestourismus nicht sehr wertschöpfend ist, braucht der Südkanton mehr Personen, die Übernachtungen buchen. Aber das erfordert zu jeder Zeit ein angemessenes Angebot an schnellen Personenzügen.
Die Gotthard-Basisröhre ist mit 57 Kilometern der längste Hightech-Bahntunnel der Welt. Von Ende 2016 bis Ende 2019 nahm laut den SBB die Zahl der Bahnreisenden auf der Nord-Süd-Achse um 28 Prozent zu. Während der Pandemie schrumpfte die Zahl der Passagiere um 2 Prozent, stieg danach aber im Jahr 2022 massiv an, um 48 Prozent.
Probleme in der Lombardei
Der zweite Neat-Basistunnel im Tessin, jener am Ceneri, ist ebenfalls eine Erfolgsstory. Dank ihm brauchen die Tilo-Regionalzüge von Locarno nach Lugano statt einer Stunde nur noch die Hälfte der Zeit. Und die Tilo-Kompositionen, die von Bellinzona nach Lugano fahren, sind mit 19 Minuten ebenfalls merklich schneller als früher. Das gilt auch für die Intercity- und Eurocity-Züge, die dieselbe Strecke in 14 Minuten bewältigen.
Seit der Eröffnung des Ceneri-Basistunnels Ende 2020 sind die Tessiner Passagierzahlen explodiert. Heuer haben laut Schätzungen 24 Millionen Personen die Tilo-Züge benutzt, das entspricht im Vergleich zu 2019 einer Zunahme von 56 Prozent. Wegen dieser Entwicklung erlebe man einen Rückgang des Strassenverkehrs, sagt der Experte Storni.
Die Strassen im Tessin sind zu den Stosszeiten oft überlastet. Dazu trägt auch deutlich die hohe Zahl von Grenzgängern bei, die mit dem Auto pendeln. Da aber die Tilo-Regionalzüge grenzüberschreitend bis nach Como, Mailand und via Varese bis zum Flughafen Mailand-Malpensa fahren, scheinen laut Storni immer mehr «frontalieri» auf die Bahn umzusteigen.
Allerdings hat auch der Tilo-Zugsverkehr seine Tücken. Von diesen betroffen ist zudem die Eurocity-Verbindung zwischen Zürich und Mailand. Es kommt immer wieder zu Verspätungen, die mit einem «Ereignis in Italien» begründet werden. Gemäss Storni erweist sich vor allem die Tilo- und EC-Strecke zwischen Chiasso und Mailand als Flaschenhals und ist Ursache vieler Verspätungen. Das lombardische Bahnnetz sei in einem inakzeptablen Zustand, bemängeln auch italienische Pendlervereinigungen. Man konzentriere sich auf die prestigeträchtigen Hochgeschwindigkeitsstrecken zwischen den Grossstädten und vernachlässige den Rest.
Der krasseste Vorfall ereignete sich Ende November. Ein Tilo-Zug mit Locarno als Ziel blieb nur wenige Augenblicke nach der Ausfahrt aus dem Mailänder Hauptbahnhof wegen einer technischen Störung stehen. Die Passagiere mussten mehr als fünf Stunden im Zug ausharren, ohne Elektrizität und ohne Zugang zu den Toiletten. Nur wenige Tage zuvor war ein Tilo-Zug morgens im Ceneri-Tunnel stecken geblieben. Der Grund war eine technische Störung an der Tunnelanlage. Erst nach über zwei Stunden konnten die Reisenden evakuiert werden.
Trotz diesen Vorfällen scheint dank dem Ceneri-Tunnel die Vision von der «Città Ticino», der «Stadt Tessin», verwirklicht. Oder wenigstens ein Stück weit: Die schnellen Verbindungen lassen die drei Agglomerationen Lugano, Locarno und Bellinzona schon etwas zusammenrücken.