Das französische Startup bringt mit «Le Chat» eine künstliche Intelligenz auf den Markt, die auf Europa zugeschnitten ist. Doch nun kooperiert es mit Microsoft – und manche werfen ihm vor, vom rechten Weg abgekommen zu sein.
Mistral AI hat die charmanteste Konkurrenz zu Chat-GPT gebaut: Sie heisst «Le Chat» und, wenn man die Farbeinstellungen auf «weiss auf schwarz» umstellt, «Le Chat Noir».
Aber nicht nur wegen solcher verspielten Details ist das französische Startup dahinter beliebt, sondern vor allem wegen der David-gegen-Goliath-Geschichte, die sich darüber erzählen lässt.
Noch im April 2023 war Mistral AI nicht viel mehr als eine Absichtserklärung: Eine Handvoll motivierter junger Franzosen wollten eine europäische Konkurrenz zu der künstlichen Intelligenz (KI) der amerikanischen Big-Tech-Firmen aufbauen – und dabei auf Open Source setzen, ihre Technologie also im Internet kostenlos zur Verfügung stellen.
Mistral stiess auf grosse Resonanz und konnte fast eine halbe Milliarde Euro an Investitionen einsammeln. Damit und mit 34 Angestellten schaffte es das Startup, in weniger als zwölf Monaten Open AI, Google und Co. Konkurrenz zu machen.
Diese Woche veröffentlichte das Startup ein neues KI-Sprachmodell, das mit den Besten der Branche, also GPT 4 und Googles Gemini, mithalten kann.
Doch der Erfolg begeistert nicht alle der ursprünglichen Fans. Denn zugleich wurde bekannt, dass Mistral nun stärker mit Microsoft zusammenarbeiten werde und weniger Technologie offen teilen. Manche finden daher, das Startup verrate seine ursprüngliche Mission.
Mit Erfahrung und einem guten Schlachtplan zum Erfolg
Doch wie konnte Mistral AI überhaupt so schnell so gut werden? Ein Teil der Antwort ist das Vorwissen seiner Gründer: Der 31-jährige CEO Arthur Mensch arbeitete drei Jahre lang für Googles Deep Mind. Guillaume Lample und Thimothée Lacroix haben für den Facebook-Konzern Meta geforscht und zum Teil dessen Sprach-KI mitentwickelt. Auf dieser Erfahrung konnten sie bei der Entwicklung ihres Modells aufbauen.
Anders als Open AI, das viele Projekte verfolgte und Chat-GPT anfangs fast nebenbei veröffentlichte, verfolgte Mistral AI sehr gezielt einen Plan, sagt der KI-Experte Yannic Kilcher: «Sie wussten, was möglich ist – und wie viel Geld sie dafür brauchen würden. Und sie haben sehr kompetente Leute, die ein paar Tricks zum Trainieren von Modellen mitbrachten.»
Erfolg durch besser kuratierte Daten
Was genau diese Tricks sind, weiss keiner. Doch in der Branche wurde Mistral bald dafür bekannt, mit viel kleineren KI-Modellen als die Konkurrenz sehr gute Leistungen zu erzielen. Die Gründer haben angedeutet, dass sie auf gezielteres Training mit besser kuratierten Daten setzen, um das zu erreichen.
Bei diesen ersten Modellen setzte Mistral kompromisslos auf Open Source. Es stellte seine KI-Modelle fast ohne Einschränkungen zum Download bereit. So wurde es in der KI-Community sehr schnell bekannt und beliebt.
Ebenso rasch wurde Mistral ein Liebling bei europäischen Politikern. Einer der Mitgründer ist Cédric O, der bis 2022 Staatssekretär für Digitales in Macrons Regierung war. Entsprechend geschickt kommunizierte das Startup. Es inszenierte sich als grossen Hoffnungsträger für KI in der EU – und lobbyierte erfolgreich dafür, dass die KI-Gesetzgebung der EU ihm keine zu grossen Steine in den Weg lege.
Kooperation mit Microsoft erinnert etwas an Open AI
Mistral argumentierte dabei unter anderem, zu harte Gesetzgebung in der EU würde es in die Zusammenarbeit mit den amerikanischen Konzernen zwingen. Umso mehr ärgern sich Kritiker darüber, dass Mistral nun doch einen Deal mit Microsoft eingegangen ist.
Microsoft gab bekannt, rund 14 Millionen Franken in Mistral zu investieren. Ausserdem wird es dessen Vertriebspartner – man kann Mistrals KI von nun an auch auf der Microsoft-Cloud Azure einkaufen. Drittens wollen Microsoft und Mistral in Zukunft in der Forschung zusammenarbeiten.
Mistral ist also weit davon entfernt, aufgekauft zu werden. Doch in der Branche ist man aufgerüttelt. «Es erinnert eben ein bisschen daran, wie sich Microsoft Stück für Stück bei Open AI eingekauft hat – und immer mehr Kontrolle übernommen», kommentiert Kilcher.
Auch Open AI war mit idealistischen Plänen und einem offenen Ansatz gestartet, hat sich aber nach und nach kommerzialisiert und in eine Art KI-Abteilung von Microsoft umgewandelt. Die Kündigung und Wiedereinstellung des CEO Sam Altman im November war der dramatische Höhepunkt dieser Entwicklung.
Noch ist es allerdings zu früh, zu sagen, ob auch Mistral seine Unabhängigkeit aufgibt. Drei Viertel der Firma sind noch in europäischem Besitz.
Die Vertriebskooperation mit Microsoft ist für das Startup attraktiv, weil es für Firmenkunden die Hürden senkt, seine KI auszuprobieren. Denn viele Grossfirmen sind bereits Kunden von Microsofts Cloud-Sparte. Es braucht also weder Datentransfers noch komplizierte Verträge, um Mistral auszuprobieren.
Open-Source-Ansatz in Teilen aufgegeben
An die Geschichte von Open AI erinnert auch, dass Mistral mit einem offenen Ansatz gestartet ist, jetzt aber umschwenkt und neue Modelle nicht mehr kostenlos zur Verfügung stellt.
Gegenüber «Le Monde» verteidigt sich der CEO Arthur Mensch vor Kritikern: Es sei von Anfang an der Business-Plan gewesen, mit Premiummodellen Geld zu verdienen. Die kostenlosen Modelle seien ein Instrument, um schnell bekannt zu werden und Nachfrage zu erzeugen, doch die Kosten für deren Entwicklung müssten irgendwann gedeckt werden.
Tatsächlich wäre es naiv, zu glauben, dass Investoren so viel Geld in die Entwicklung einer gänzlich kostenlosen KI gesteckt hätten. Man kann Mistral höchstens vorwerfen, sich in der Öffentlichkeit sehr stark mit seinem offenen Ansatz inszeniert zu haben.
Wenn das Startup von nun an eine Premiumstrategie verfolgt, bei der man für Höchstleistung zahlt, aber weiterhin die zweitbesten Modelle gratis verwenden kann, wäre das für die Open-Source-Gemeinschaft immer noch ein Erfolg.
Der grösste Gewinner ist Microsoft – und europäische Kunden
Für Kunden ist es insgesamt eine gute Nachricht, dass es mit Mistral einen neuen starken KI-Anbieter gibt. Denn mehr Wettbewerb wird zu mehr Qualität führen. Und Europäer können sich darüber freuen, dass unter den besten KI-Modellen jene von Mistral sind, die stärker mit europäischen Sprachen arbeiten und daher auch in Ton und Werten näher an der hiesigen Kultur liegen als die Sprach-KI aus den USA.
Der grösste Gewinner der Geschichte ist wohl Microsoft. Durch die Kooperation beherbergt seine Cloud nun zwei der erfolgreichsten KI-Modelle.