Economiesuisse, Arbeitgeberverband und Gewerbeverband verlieren seit Jahren an Macht. Hinter verschlossenen Türen wird derzeit um grundlegende Reformen gerungen – in angespannter Atmosphäre.
Die SVP will nicht mehr mit dem Wirtschaftsdachverband Economiesuisse reden. Vergangene Woche hat Economiesuisse die 10-Millionen-Schweiz-Initiative der SVP als «eine Gefahr für die Schweiz» bezeichnet. Daraufhin beschloss die Parteispitze kurzerhand, den Austausch mit Economiesuisse zu beenden. Der Eklat bringt nun allerdings die SVP-Nationalrätin und EMS-Chefin Magdalena Martullo-Blocher unter Beschuss. Ihre Besetzung als Vorstandsmitglied bei Economiesuisse sei zu überdenken, monieren Kritiker im Verband.
Der Grabenkämpfe sind symptomatisch für die derzeitige Verfassung der Wirtschaftsverbände: Einst hat es ihre Geschlossenheit möglich gemacht, jederzeit Abstimmungen zu gewinnen. Doch heute gelingt es den Verbänden nicht mehr, die auseinanderdriftenden Interessen auf eine Linie zu bringen. Die Folge: Economiesuisse, der Schweizerische Arbeitgeberverband (SAV) und der Gewerbeverband (SGV) dringen mit ihren Argumenten nicht mehr bis zu den Stimmbürgern durch. Von Entfremdung ist die Rede, auch von fehlender Kampagnenfähigkeit.
Stimmbürger folgen Empfehlungen der Wirtschaft nicht
«Wir müssen uns eingestehen, dass die Gegenseite heute viel besser organisiert ist als wir», sagt Fabio Regazzi, der Präsident des Gewerbeverbands. Schönreden will er die Situation nicht länger. Die Wirtschaftsverbände stünden unter Zugzwang. «Machen wir weiter wie bisher, werden die nächsten Niederlagen an der Urne folgen.»
Der Tessiner Mitte-Politiker stellt in der Bevölkerung einen Gesinnungswandel fest. «Früher wurde kaum infrage gestellt, was von den Wirtschaftsverbänden gefordert wurde: Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger folgten unseren Empfehlungen.» Heute sei das nicht mehr der Fall. Das zwinge die Verbände, ihre Strategien in der Kommunikation und der Kampagnenführung grundlegend zu überdenken. «Das Ziel ist, dass wir mit vereinten Kräften mehr Schlagkraft erzielen.»
Noch ist man weit davon entfernt. Im vergangenen Jahr haben sich die Niederlagen der Wirtschaftsverbände gehäuft. Jene bei der Abstimmung über die 13. AHV-Rente war gar historisch: Noch nie war eine linke Initiative, die einen Ausbau des Sozialstaates fordert, vom Stimmvolk angenommen worden. Economiesuisse beschloss in der Folge, das Kampagnenbudget zu verdoppeln.
Allein, bereits ein paar Monate später folgte die nächste Abfuhr: Zwei Drittel der Stimmenden versenkten die Reform der beruflichen Vorsorge. Wieder Jubel bei den Gewerkschaften – und Katzenjammer bei den Wirtschaftsverbänden. Mit einer Millionenkampagne hatten sie versucht, den Absturz der Vorlage zu verhindern – am Schluss übertraf das Ausmass der Niederlage die schlimmsten Befürchtungen.
Besser wurde es nicht. Bei der Vorlage für den Autobahnausbau übernahm der Gewerbeverband die Führung im Abstimmungskampf – und verspielte mit einer schwachen Kampagne den sicher geglaubten Sieg. Reizte der Gewerbeverband unter dem Haudegen Hans-Ulrich Bigler mit polemischen Kampagnen früher die Grenzen aus, trat er nun unter dem neuen Führungsduo Fabio Regazzi und Urs Furrer ungewohnt zahm auf (Slogan: «Zusammen vorwärtskommen»). Die neue Kommunikationsstrategie führte zum nächsten Waterloo.
Spannungen in der Wirtschaft nehmen zu
Der Politbeobachter Michael Hermann hat den Machtverlust der Verbände im vergangenen Jahrzehnt genau verfolgt. Er führt ihn darauf zurück, dass die Spannungen innerhalb der Wirtschaft stetig zugenommen hätten. «Es gibt ein enormes Spektrum von divergierenden Interessen, die sich kaum mehr bündeln lassen.» Während sich Teile der Wirtschaft in Richtung Nachhaltigkeit, Diversität und Europa bewegten, setzten andere stark auf Abgrenzung. «Sich in dieser Gemengelage als die Stimme der Wirtschaft zu positionieren, ist kaum mehr möglich», so Hermann.
Gut zeigen lässt sich dies laut dem Zürcher Politologen in der Europapolitik: In Gruppen wie Kompass Europa oder Autonomiesuisse haben sich finanzkräftige Unternehmer und Wirtschaftspersönlichkeiten formiert, die einem Ausbau der Beziehungen zur EU kritisch gegenüberstehen – und damit die Haltung der Wirtschaftsverbände frontal angreifen. «Auch wenn diese Gruppen institutionell nicht abgestützt sind, werden sie von den Medien als gewichtige Stimmen der Wirtschaft behandelt», sagt Hermann. Das mache es für die grossen Dachverbände schwierig, die Deutungsmacht zu behalten.
Eine gegenläufige Entwicklung fand derweil auf der Gegenseite statt: Noch vor zwanzig Jahren wurden Gewerkschafter als Fossile belächelt – die Arbeiterschaft hatte für die Linke stark an Bedeutung verloren. Der Gewerkschaftsbund hat diese Ausdünnung jedoch genutzt, um seine Kräfte zu konzentrieren. «Trotz einer vergleichsweise kleinen Mitgliederbasis treten Gewerkschafter wie Pierre-Yves Maillard heute sehr dominant auf.» Abweichende Stimmen sind im Lager der Arbeitnehmer kaum auszumachen.
Kommt hinzu, dass sich auch der politische Zeitgeist mit dem anhaltenden wirtschaftlichen Erfolg der Schweiz zum Nachteil der Wirtschaftsverbände verändert hat. «Es hat sich in der Bevölkerung eine gewisse Selbstzufriedenheit und Saturiertheit breitgemacht», betont Hermann. Gestiegen ist zudem das Misstrauen gegenüber der wirtschaftliche Elite. Wenn sich die Credit-Suisse-Manager kurz vor dem Untergang der Bank noch Millionenboni auszahlen liessen, weshalb sollte sich nicht auch die Bevölkerung ein Stück vom Kuchen sichern?
Mehr Schlagkraft mit vereinten Kräften
Economiesuisse, Arbeitgeberverband und Gewerbeverband haben in den vergangenen Wochen mehrere Spitzentreffen durchgeführt, um zu erörtern, wie sie sich aus dieser misslichen Lage befreien können. Wohin der Weg führen soll, ist für die Beteiligten klar: «Wir müssen viel intensiver und enger zusammenarbeiten», sagt Regazzi: Das Ziel sei, mit vereinten Kräften mehr Schlagkraft im Abstimmungskampf zu erzielen. Spannungsfrei scheinen die Gespräche allerdings nicht zu laufen: So befürchten Vertreter anderer Verbände, Economiesuisse wolle die Reformen nutzen, um fortan in Eigenregie über die Kampagnenarbeit zu bestimmen.
Eine alternative Idee, die seit Jahren im Raum steht, ist die Schaffung einer separaten, verbandsübergreifenden Kampagnenorganisation. Eine solche Organisation gab es bereits einmal, in Form der Gesellschaft zur Förderung der schweizerischen Wirtschaft, kurz Wirtschaftsförderung (WF). Die 1943 gegründete WF war über ein halbes Jahrhundert lang das Sprachrohr der Wirtschaft. Im Auftrag des Schweizerischen Handels- und Industrievereins – auch «Vorort» genannt – und des SAV führte sie Abstimmungskampagnen durch.
Doch vor 25 Jahren wurden die Karten neu gemischt, es kam zur grossen Reorganisation. Der «Vorort» nannte sich ab 2000 neu Economiesuisse und fusionierte mit der WF zu einem Superverband. Damit war nun Economiesuisse zuständig für die Kampagnenarbeit. Ursprünglich war geplant, dass auch der Arbeitgeberverband mit Economiesuisse und WF zusammenspannt. Der SAV zog sich aber vom Fusionsprojekt zurück und blieb eigenständig.
Die Gründung einer separaten Kampagnenorganisation käme einer Wiederbelebung der WF gleich. Ein ehemals hochrangiger Vertreter eines Wirtschaftsverbands, der die Fusion im Jahr 2000 als kapitalen Fehler bezeichnet, findet Gefallen am Gedanken. Denn Campaigning vertrage sich schlecht mit traditioneller Verbandsarbeit. Kampagnen seien ein schmutziges Geschäft, bei dem man rhetorisch hart zuschlagen müsse. In der Verbandsarbeit hingegen gelte es eine feine Klinge zu führen.
Doch die Auslagerung der Kampagnenarbeit stösst auf Widerstand. Etwa beim SAV, der das Campaigning bei Economiesuisse belassen will. «Dies ist seit der Fusion von ‹Vorort› und WF so geregelt und funktioniert», sagt der SAV-Direktor Roland Müller. Wenn die interne Kampagnenorganisation durch andere Arbeiten stark ausgelastet sei, könne man bei Bedarf ja externe Agenturen beiziehen.
Auch Economiesuisse reagiert ablehnend. Die Direktorin Monika Rühl sagt, die Schaffung einer eigenständigen Kampagnenorganisation sei in den vergangenen Jahren zwar geprüft, aber klar verworfen worden. Man taue nicht wieder die frühere WF auf. «Eine Aufspaltung in eine Organisation, die die Interessen im politischen Prozess vertritt, und eine Organisation, die Kampagnen führt, wäre nicht zielführend.» Die zwei Aufgaben müssten Hand in Hand gehen, zeigt sich Rühl überzeugt.
Auch Economiesuisse ist sich allerdings bewusst: Weiter wie bisher ist keine Option. Es drängen sich Reformen auf. Nach dem Ja zur 13. AHV-Rente wurde eine neue Strategie aufgegleist. Zur Stärkung des Rückhalts in der Bevölkerung setzt man auf ein Netzwerk sogenannter Botschafter, die sich in öffentlichen Debatten engagieren und der Wirtschaft ein Gesicht geben sollen. Zudem sollen langfristige Kampagnen «für ein permanentes Grundrauschen zum liberalen Erfolgsmodell Schweiz» sorgen.
Fusion der Verbände vorerst keine Option
Ob das reicht, wird sich zeigen. Eine mögliche Reform bestünde in einer konsequenten Vereinigung der Wirtschaftsverbände, was vor 25 Jahren ja nur halbherzig umgesetzt wurde. Weil Economiesuisse und der SAV bei Abstimmungen fast immer gleicher Meinung sind, liegt die Frage nahe, ob der SAV die 2000 abgesagte Fusion nun vollziehen sollte. Warum zwei parallele Strukturen, wenn man zusammen mehr Macht hätte? Den Hauptsitz an der Zürcher Hegibachstrasse teilt man sich ohnehin schon.
Zwar betonen diverse Verbandsvertreter hinter vorgehaltener Hand, dass ein solcher Zusammenschluss früher oder später wohl kommen werde. Offiziell tönt es derzeit aber noch ganz anders. «Getrennt marschieren und vereint schlagen» sei die beste Option für den Wirtschaftsstandort, sagt Rühl.
Auch Roland Müller vom Arbeitgeberverband geht auf Distanz. Er sagt: «Grösser ist nicht gleichbedeutend mit besser.» Die einzelnen Organisationen hätten unterschiedliche Rollen: Economiesuisse sei ein wirtschaftspolitischer Verband, der SAV hingegen Sozialpartner mit einem Schwerpunkt auf den Themen Arbeitsmarkt, Sozialpolitik und Bildung.
Der Politbeobachter Hermann sieht das anders. «Es ist richtig, dass Arbeitgeber und Economiesuisse zusammengehen. Ihre Positionen sind meist deckungsgleich, die gegenwärtige Trennung wirkt gegen aussen künstlich.» Eine Fusion würde den Einfluss der Wirtschaft erhöhen, ist er überzeugt.
Auch wenn die Idee einer Fusion bei den Wirtschaftsverbänden ebenso auf Ablehnung stösst wie der Plan einer separaten Kampagnenorganisation: Die Verbände müssen ihre Arbeitsteilung radikal überdenken, sonst sind weitere Niederlagen programmiert. Entsprechend gross ist die Erwartung, dass die laufenden Spitzentreffen zu wirksamen Reformen führen. Sonst laufen den Verbänden nicht nur die Abstimmenden, sondern bald auch die Mitgliedsfirmen davon.