Gregor Kobel erlebt mit Borussia Dortmund bis anhin eine durchzogene Saison. Nun bietet sich ihm die Chance, Werbung in eigener Sache zu machen – auch im Hinblick auf einen Wechsel.
Es gibt eine Kategorie, in der der Schweizer Nationalgoalie Gregor Kobel Weltspitze ist: bei den vom Online-Portal «Transfermarkt» kalkulierten Ablösesummen. Kein anderer Goalie in Europa wird gegenwärtig so teuer eingeschätzt wie Gregor Kobel – 40 Millionen Euro sind für den Torhüter von Borussia Dortmund als realistischer Wert aufgeführt.
Nur David Raya vom FC Arsenal ist genauso teuer, Gianluigi Donnarumma von Paris Saint-Germain wird mit 5 Millionen Euro weniger taxiert. Wer den blossen Wert nimmt, der sieht schnell: Gregor Kobel ist ein Mann für einen Spitzenklub, vielleicht für einen Verein von der Güteklasse des FC Barcelona, auf den der BVB am Mittwochabend im Viertelfinal in der Champions League trifft (ab 21 Uhr).
Für Gregor Kobel, 27, ist dieses Spiel wie gemacht. Er kann sich präsentieren auf internationaler Bühne, auf allerhöchstem Niveau. Mit einer hervorragenden Leistung kann er sich zudem empfehlen. Denn Kobel, so erzählt man sich nicht nur in Dortmund, spielt mit dem Gedanken, den BVB nach vier Jahren zu verlassen.
Die Gründe liegen auf der Hand: Der Goalie hat den Anspruch, in der Champions League zu spielen – dass Dortmund diesen über die Saison hinaus erfüllen wird, ist äusserst fraglich. Fünf Punkte fehlen den Dortmundern auf Platz vier, bei noch sechs ausstehenden Spielen. Am Samstag wartet in der Bundesliga zudem Bayern München, der klare Tabellenführer.
Die Münchner sind Dortmund längst enteilt, 27 Punkte liegt der BVB hinter ihnen zurück. Viel mehr gibt es über die Dortmunder Saison nicht zu sagen. Nur in der Champions League erfüllt der Klub die Erwartungen. Auch die Leistungen des Goalies Kobel sind durchzogen. Er ist keineswegs der Spieler, als der er einst gefeiert wurde: eine Säule des Teams, ein Garant für Sicherheit.
Früher wurde Kobel fast alles zugetraut
Es gab einmal eine Zeit, in der Gregor Kobel nahezu alles zugetraut wurde. Manche hielten ihn gar für einen der besten Torhüter der Welt. In München, wo langfristig nach einem Nachfolger für die Überfigur Manuel Neuer gesucht wird, wurden die Leistungen des Schweizer Torhüters aufmerksam registriert.
Der Unterschied zu seinem Vorgänger in Dortmund, Roman Bürki, einem anderen Schweizer, war evident. Kobels Präsenz war und ist unübersehbar. Beging Bürki dagegen einen Fehler, dann war dies während mehrerer Tage ein Gesprächsthema.
Bei Kobel war das anders. Seine seltenen Fehlgriffe wurden kaum thematisiert, selbst jener aus dem April 2023 nicht, als Kobel im Spitzenspiel gegen Bayern München aus dem Tor eilte und über den Ball trat. Sein Lapsus stand am Anfang einer deutlichen Niederlage. Doch damals fanden sich schnell Verteidiger für den Goalie.
Der Saisonfinal verlief dann unglücklich: Borussia Dortmund benötigte vor eigenem Publikum gegen Mainz 05 einen Sieg zur Meisterschaft – am Ende stand es 2:2. Kobel beging keinen schweren Fehler. Doch eines der beiden Gegentore hätte ein Torhüter mit seinem Anspruch in dieser Situation halten können. Den Rückschlag verwand er allerdings; sein Anteil war gross, als der BVB im Jahr danach in den Final der Champions League einzog. Den Final verloren die Dortmunder dann aber – einen Titel hat Kobel in seiner Karriere bisher noch nicht gewonnen.
Im Nationalteam verläuft der Start in seine Ära holprig
Nun erlebt Kobel mit Dortmund eine schwierige Saison. Das Fachmagazin «Kicker», das ihn zuvor mehrfach als besten Torhüter ausgezeichnet hatte, bewertete ihn im Winter nur noch als Nummer fünf der Bundesliga. In Deutschland ist Kobel Teil eines Ensembles, das auf der Suche nach sich selbst ist. Und wenn er zwischendurch in die Schweiz reist, um für die Nationalmannschaft zu spielen, dann ist das dort ganz ähnlich.
Seit Yann Sommers Rücktritt ist der Zürcher die Nummer eins im Schweizer Tor; in den Jahren davor war er hinter Sommer ein Ersatzgoalie gewesen, der kein Hehl daraus machte, dass er mit dieser Rolle nicht zufrieden war. Jetzt hat er, was er immer wollte, aber der Start in die Kobel-Ära verläuft holprig.
Nur ein einziges Spiel haben die Schweizer Fussballer für sich entschieden, seit sie im vergangenen Sommer an der EM in Deutschland bis in den Viertelfinal kamen und dort erst im Penaltyschiessen an England scheiterten. Dieses Spiel gewannen sie an einem kalten Märzabend in St. Gallen gegen Luxemburg 3:1. Im Tor stand dabei nicht Gregor Kobel. Sondern Yvon Mvogo, der Ersatzgoalie.
Kobel dagegen wartet immer noch auf seinen ersten Sieg, seit er der neue Stammgoalie ist. Sechs sieglose Spiele hat er jetzt schon erlebt. Drei Mal verloren die Schweizer dabei, drei Mal spielten sie unentschieden, und hinten im Tor kassierte Kobel zwölf Treffer. Seine Zwischenbilanz liest sich nicht schön, wobei es nicht so war, dass der Goalie besonders schlecht ausgesehen hätte. Nur war es auch nicht so, dass er besonders glänzte.
Kobel ist Teil eines Nationalteams, das sich im Umbruch befindet, weil mit Yann Sommer, Xherdan Shaqiri und Fabian Schär drei langjährige Leistungsträger des Teams zurückgetreten sind. Der Nationaltrainer Murat Yakin ist daran, die Equipe im Hinblick auf den Herbst, wenn die WM-Qualifikation ansteht, neu zu formieren. Offenkundig fällt ihm das schwer. Das zeigte der schlechte Herbst, der im Abstieg aus der Nations League endete.
Im vergangenen Sommer, nach der EM, war die Gemengelage pikant, weil wochenlang nicht klar war, wer künftig das Schweizer Tor hüten wird. Hier der 35-jährige Sommer, der langjährige Stammgoalie, an den sich das Land gewöhnt hatte. Dort der neun Jahre jüngere Kobel, der ehrgeizige Herausforderer, über den der einstige Nationalgoalie Jörg Stiel damals sagte, dass er sich auf Dauer nicht auf die Bank setzen werde. Und dass die Gefahr bestehe, dass Kobel der Nationalmannschaft «irgendwann verlorengeht».
Der Stabwechsel ging dann nicht ohne Nebengeräusche vonstatten. Sommer machte erst Platz, als Medien schon berichtet hatten, dass Kobel vom Trainerteam als neue Nummer eins vorgesehen sei. An einer Pressekonferenz sagte Sommer, dass er sich schon länger zum Rücktritt aus der Nationalmannschaft entschlossen habe. Aber warum hatte er das dann nicht früher und proaktiv kommuniziert?
Sommer ist weg, aber irgendwie ist er immer noch ein bisschen da, er schwebt über Kobel, neben ihm. Auch in der Champions League, in der Sommer mit Inter Mailand ebenfalls im Viertelfinal steht. Und wenn sie beide weiterkommen, Kobel mit Dortmund, Sommer mit Inter, dann gäbe es ein Wiedersehen, im Halbfinal der Champions League.