Die japanische Baseball-Lichtgestalt Shohei Ohtani bricht Rekorde am Laufmeter und hat sich jetzt schon unsterblich gemacht. Nun versucht der 700-Millionen-Mann, die Los Angeles Dodgers zum World-Series-Titel zu führen.
4,392 Millionen Dollar sind in den USA bei einer Auktion gerade für jenen Ball bezahlt worden, mit dem Shohei Ohtani vor ein paar Wochen in Miami seinen 50. Home-Run der Saison in die Zuschauerränge drosch. Rekord, klar, beides: die Summe und Ohtanis Saison.
Ohtani, 30, ist die Lichtgestalt, die den Baseballsport wachgeküsst hat. «America’s game» litt in den letzten Jahren unter stark rückläufigem Interesse, Baseball galt als sperriger, öder, irgendwie aus der Zeit gefallener Sport für die Ü-50-Generation. Der beste Spieler der letzten Dekade, Mike Trout, war ausserhalb des Baseball-Kosmos kaum jemandem ein Begriff.
Ohtani hingegen ist ein Megastar von globaler Strahlkraft. Er hat die Major League Baseball (MLB) praktisch im Alleingang wieder zu einem Faszinosum für die breite Masse gemacht. Obwohl er sich bis heute weigert, Interviews auf Englisch zu geben. Warum auch? Seine Taten sagen alles.
Im Dezember unterschrieb er bei den Los Angeles Dodgers den lukrativsten Vertrag der Sportgeschichte: 10 Jahre, 700 Millionen Dollar. Es ist eine Summe jenseits aller Relationen. Und doch absolut wirtschaftlich: Man kann sich die Teambesitzer im amerikanischen Sport allesamt als Versionen der Zeichentrickfigur Dagobert Duck vorstellen, die ihre Tage damit verbringen, sich in prall gefüllten Geldspeichern in ihren Dukaten zu suhlen. Das TV-Geld fliesst in Strömen, die Klubs sind wahre Gelddruckmaschinen. Und Ohtani ist die Lizenz zum Reibach. Alles, was mit ihm zu tun hat, verkauft sich mit der Leichtigkeit eines Ein-Dollar-Hotdogs.
Auch ein Wettskandal um einen engen Vertrauten konnte Ohtani nicht bremsen
Ohtanis Kontrakt ist so gestaffelt, dass der Japaner bis 2024 nur 2 Millionen pro Jahr erhält. Und dafür ab dann bis 2044 jeweils 68 Millionen. Es ist ein Taschenspielertrick der milliardenschweren Teambesitzer, um die Mannschaft in der Gegenwart kompetitiv zu halten. Bisher hat das gut funktioniert: Die Dodgers haben die World Series erreicht, den Play-off-Final, sie treffen dort ab der Nacht auf Samstag auf die New York Yankees. Es ist das Duell der beiden Küstenmetropolen; greller kann das Scheinwerferlicht nicht sein.
Ohtani spielt zwar schon seit sechs Jahren in den USA, aber beim notorisch erfolglosen und wenig beachteten Lokalrivalen Los Angeles Angels erreichte er die Play-offs nie. An ihm lag das nicht: «Sporting News» wählte Ohtanis Saison 2021 zur besten Spielzeit der Geschichte. Nicht im Baseball, sondern im Sport. Die Autoren gewichteten seine Darbietungen höher als alles je Dagewesene: die Rekorde von Michael Jordan, Lionel Messi, Steffi Graf und Tiger Woods. Denn Ohtani ist ein Einhorn: Er dominiert nicht nur als Schlagmann, sondern auch als Pitcher, als Werfer. So wie einst der 1948 verstorbene Lebemann Babe Ruth, vor Ohtani der grösste Star, den dieser Sport je produziert hat.
Der Wechsel zu den Dodgers, einem Team mit einer gigantischen Fanbasis und einem massiv grösseren Medienmarkt, katapultierte Ohtani in eine neue Sphäre. Und er die Dodgers im Umkehrschluss ebenfalls. Auch wenn der Start holprig war: Im Frühjahr dominierte ein Skandal die Schlagzeilen; Ohtanis Copain und Übersetzer Ippei Mizuhara stolperte über einen Wettskandal. Er verspielte innert kurzer Zeit mehr als 40 Millionen Dollar. Geld, das er offenbar von Ohtani gestohlen hatte. Es wurde darüber spekuliert, dass Ohtani selbst involviert sein könnte. Erhärten liess sich das nie, er kooperierte mit den Behörden. Mizuhara bekannte sich schuldig, ihm drohen bis zu 33 Jahre Haft.
Schon im Alter von 17 Jahren warf Ohtani den Ball mit fast 160 km/h
Ohtani haftet sonst das Image eines Saubermanns an. Er wuchs in Japan als Kind des Mittelstands auf, seine Mutter war ein Badminton-Ass, und der Vater spielte stundenlang mit ihm Baseball, sobald er seine Schicht als Fabrikarbeiter bei Mitsubishi beendet hatte. Er bestritt als Teenager zunächst kaum organisierte Turniere und sagte später darüber: «Ich glaubte, dass es bestimmt sehr viele Spieler gibt, die viel besser sind als ich.» Aber schon mit 17 warf er den Ball mit 159 Kilometern pro Stunde. Ab da raunten sich die amerikanischen Scouts seinen Namen zu.
Zu Beginn seiner Profikarriere bei den Hokkaido Nippon-Ham Fighters lebte er in einer Art Internat und teilte sich sein Zimmer mit Teamkollegen. Er verbrachte die Tage mit Training. Und zog sich dann zurück, um Bücher darüber zu lesen, wie man sich am besten ernährt und welche Übungen er zusätzlich absolvieren könnte. In diesen Jahren holte er sich die Grundlagen dafür, dass er heute aussieht wie ein japanischer Adonis. Eines seiner Geheimnisse scheint der Schlaf zu sein: Nach Möglichkeit sollen es täglich zehn Stunden sein. Die Ruhe gibt ihm die Kraft, um die Bälle nach Lust und Laune durch die Arenen zu hämmern.
In der Heimat war seine Popularität schon in jungen Jahren erdrückend, weil jeder, der ihn spielen sah, wusste: So einen wie ihn hat es noch nie gegeben. Fans belagerten den Teamkomplex, Journalisten verfolgten ihn auf Schritt und Tritt. 2016 sagte er, es sei einer der schönsten Momente des Jahres gewesen, als er mit den Teamkollegen von Hokkaido nach dem Titelgewinn in ein Flugzeug nach Hawaii gestiegen sei. «Ich konnte mich frei bewegen. In Japan geht das nicht, das mag ich nicht. Egal, wo ich bin: Jeder schaut mich an. Ich mag das nicht. In Hawaii war es anders», sagte Ohtani. Es heisst, er schätze Diskretion so sehr, dass selbst Teamkollegen und Trainer keine Ahnung gehabt hätten, dass er verheiratet sei.
Längst ist es mit der Ruhe auch auf amerikanischem Boden vorbei, der Kult um seine Person wird während der World Series seinen fiebrigen Höhepunkt erreichen. Ohtani scheint mit seiner Popularität ziemlich gut umgehen zu können. «Er ist wie ein Kind, das im Körper eines Riesen gefangen ist», sagte sein Dodgers-Teamkollege Kiké Hernández zu Fox. Und der Vizepräsident Lon Rosen sagte zu «Sports Illustrated»: «Er hat diese aussergewöhnliche Qualität, dass er so unfassbar talentiert ist und trotzdem alle finden: ‹Das ist ein Typ wie ich.› Er hat keine Allüren und gibt niemandem das Gefühl, dass er besser sei. Seine Bescheidenheit zeichnet ihn aus.»
Nun greift Ohtani mit den Dodgers nach dem Titel. Nicht nur auf dem Feld wird die Anspannung gross sein: Jeder auf den Rängen eingesammelte Ohtani-Home-Run-Ball ist ein Lottosechser, was Konfliktpotenzial birgt. Schon um das 4,392-Millionen-Objekt von Miami ist ein erbitterter Streit im Gang, ein Mann stellt sich auf den Standpunkt, dass er den Ball zuerst gefangen habe und er ihm widerrechtlich abgenommen worden sei. Der Fall wird bald die Justiz beschäftigen, und eigentlich ist es ja kein Wunder, dass man der Überfigur Ohtani auch im Gerichtssaal kaum entkommt.