Milan Fashion Week
Vielmehr setzen die meisten Designer der Mailänder Modewoche für Herbst/Winter 2024/25 auf eine behutsame Weiterentwicklung bestehender Markencodes. Fünf Kollektionen, die dennoch mit eigenständiger Handschrift überzeugen.
Die Mode-Designer, die bis gestern in der norditalienischen Modekapitale ihre neuen Kollektionen präsentierten, scheinen sich in vielen Dingen einig zu sein: Keine grossen Experimente, dafür ein Fokus auf bereits eingeschlagenen Ästhetiken. Fast jede Kollektion schien dabei einen Fokus auf die stereotypischen Klassiker der Wintergarderobe zu setzen: Mäntel und Stiefel, dazu Handschuhe und Hüte. Die Silhouetten spielen mit grossen Volumen; die Schultern fallen oft kastig aus oder die Ärmel sind skulptural geformt.
Sichtlich robuste Wollstoffe wie Loden zählen zu den bevorzugten Textilien, in den Klassikerfarben Bordeaux, Beige und Schwarz. Als Akzentfarbe gibt es nebst Leuchtrot immer wieder auch Ockertöne. Als weitere Akzente sind vor allem wehende Fransen beliebt, gelegentlich auch Federn.
It-Piece der Saison ist klar der hohe Stiefel, gerne bis zum Knie, noch lieber aber bis zu den Oberschenkeln, als Overknee- oder «Cuissard»-Boot. Quasi ein kleiner Gegentrend zur jüngsten «No Pant»-Welle?
Auch bemerkenswert ist, dass die meisten Kollektionen fast schon konservativ ausfallen. Man setzt auf klassisch gestaltete Investment-Pieces. Der bedeckte Quiet-Luxury-Trend hält bei Marken wie Fendi, Brioni, Tod’s oder Loro Piana an.
Bei einigen Marken wird er mit exzentrischen Drehs ausgebaut: das wird zwar nicht gerade auf den protzigen «Mob Wife»-Look hin gedreht, eher Richtung «Sciura Chic»; der italienische Begriff «Sciura» bezeichnet eine wohlhabende Mailänderin im reifen Alter, die sich gerne chic anzieht und keinen Deut darum schert, was andere von ihrem Look halten.
Diese fünf Kollektionen der Mailänder Modewoche für Herbst/Winter 2024/25 überzeugen dennoch mit eigenständiger Handschrift:
1. Bally: Feingefühl für Stimmungen und Begehrenswertes
Simone Bellotti heisst der aktuelle Bally-Kreativdirektor, der im September ein vielversprechendes Debüt hinlegte und nun eindrücklich nachdoppelt. Seine Vision für die Schweizer Luxusmarke basiert auf einer Mischung aus einer fast karg wirkenden Garderobe und begehrlichen Schuhen und Taschen, die an Archivstücken angelehnt sind oder das Flair und die Qualität vergangener Epochen ausstrahlen.
Bellotti, war einst bei Dolce & Gabbana und Bottega Veneta unter Tomas Maier tätig. Zuletzt war er 16 Jahre lang bei Gucci Designer. Vor allem die sieben Jahre unter Alessandro Michele scheinen Bellotti geprägt zu haben: Was er als neuer Kreativdirektor für Bally vorschlägt, basiert auf einer ähnlichen «Alchemie» aus historischen Elementen, einem scharfen Auge für eigenwillige Kombinationen von Inspirationen und Storytelling sowie angesagten Trends.
Bellottis Schuhe und Taschen strahlen die Eigentümlichkeit eines wertigen Erbstückes aus, für heutige und zukünftige Geschmäcker «feingetunt». Dazu lässt er auch dekorative Inspirationen aus der Schweiz miteinfliessen: Da trifft Appenzeller und Engadiner Folklore auf Karlheinz Weinbergers Portraits der Halbstarken in Leder und Nieten aus den 1960er und 1970er Jahren, dazu klare, uniformenhafte Silhouetten – diese Mischung könnte nach hinten losgehen, stimmt und überzeugt aber dank Bellottis Feingefühl für Stimmungen und Begehrenswertes.
2. Prada: Spiel mit Kontrasten
Miuccia Prada hatte schon immer einen Händchen dafür, bis anhin als schrullig oder gar hässlich verschriene Stilcodes in coole, stets eigenwillige Trendmode umzuwandeln. Auch mit Co-Kreativdirektor Raf Simons an der Seite gelingt ihr dies immer wieder. Die jüngste Kollektion wirkt auf den ersten Blick eher weniger radikal als jene der vorhergehenden Saisons, offenbart aber auf den zweiten Blick ihre Qualitäten.
Mit Elementen aus vergangenen Stilepochen wirkt diese Kollektion erstaunlich nostalgisch und romantisch. Da sind diese zarten, gerade geschnittenen Kleider, verziert mit Schleifen, Kunstpelzbesätzen oder floralen Stickerei-Intarsien, die an Bett- oder Tischwäsche erinnern. Weite, voluminöse Röcke aus dicker Wolle haben eigenwillige Kanten und Schnittlinien. Einige Jacken, Mäntel und Röcke weisen ein Doppelleben auf: Züchtig und bedeckt auf der Vorderseite, zart und sinnlich auf der Rückseite.
Das Spiel mit Kontrasten zieht sich meisterhaft durch die ganze Kollektion weiter: Viktorianisch anmutende Jacken aus derbem Leder erinnern an den Steam-Punk-Look von Emma Stone als Bella Baxter in «Poor Things». Cocktail- und Abendkleider sind aus festem, wetterdichtem «Re-Nylon». Dazu gibt es exzentrische Federhüte in Form von Offiziershüten und cyberartige Cateye-Brillen.
3. Ferragamo: edler, moderner Luxus
Das Florentiner Modeunternehmen feierte einst seine ersten Erfolge als Schuh-Unternehmen für Hollywoodstars. Mit dem jungen, noch unter dreissigjährigen Kreativchef Maximilian Davis erhält das Luxuslabel auch ein modisches Profil mit Kleidern und Handtaschen. Seine Hit-Tasche ist die «Hug»-Bag, die seitlich von zwei Riemen und den ikonischen «Gancini»-Schnallen quasi umarmt wird.
Wie eine Umarmung wirken auch die breiten, tief sitzenden Gürtel, die sich in seiner jüngsten Kollektion auf Jacken und Mäntel aus lodenartiger Wolle, Leder sowie zart-transparenten Gazekleidern um die Hüften winden. Inspiriert von den 1920er Jahren ist nicht nur diese Silhouette, sondern auch der Einsatz von mondänen, gestreiften Federbesätzen an Kleidern, Schuhen und Clutchtaschen. Mit klaren, aber sinnlichen Schnitten vermittelt Davis so einen edlen, modernen Luxus.
4. Gucci: eine tragbare, pragmatische Version vom Gucci-Glamour
Sabato de Sarno präsentierte im vergangenen September seine Debütkollektion als neuer Kreativdirektor für Gucci, die mit einer glatteren Interpretation des Gucci-Glamours eine Abkehr von der barock-verdrehten Ästhetik von Vorgänger Alessandro Michele darstellte. Nach der Männerkollektion im Januar hätte man sich eine sichtbare Weiterentwicklung erhofft, wurde diesbezüglich aber enttäuscht. De Sarno hat es laut Kollektionsnotizen nämlich gar nicht eilig. Dort hält er fest, dass er quasi auf der Suche nach einer Lücke ist, die gefüllt werden will. Er scheint sich also noch nicht richtig festlegen wollen.
Das ist per se nichts Negatives und die Mode, die De Sarno über den Laufsteg schickt, ist stilistisch zwar weniger greifbar wie die so prägnanten Entwürfe seiner Vorgänger, ist aber eine äusserst tragbare, pragmatische Version jenes Glamours, den man von der ikonischen GG-Marke erwartet.
Fast schon bockig – angesichts des hohen Erwartungsdrucks, dem er als neuer «Kreativ-Heiland» ausgesetzt ist, – hält er in den Kollektionsnotizen fest: «Meine Träume, wie auch meine Mode, stehen immer im Dialog mit der Realität. Denn ich bin nicht auf der Suche nach einer anderen Welt, sondern nach Möglichkeiten, in dieser Welt zu leben.»
5. Arthur Arbesser: farbige Kreationen mit grafischen Mustern
Arthur Arbesser, das ist der in Mailand lebende Wiener, der sich sieben Jahre lang seine Sporen bei Giorgio Armani abverdient hatte und 2013 mit der Gründung des eigenen Labels zu einem Liebling der Mailänder Modenachwuchses avancierte. Kurz war er Kreativleiter bei Iceberg und dann Fay, entwarf eine Kollektion für Max Mara und ist mittlerweile Creative Council der Wittmann Möbelwerkstätten. Das kommt nicht von ungefähr, zeichnet er sich doch durch eine prägnante Handschrift mit farbigen Kreationen mit grafischen Mustern aus, die oft auch an Künstlerinterieurs erinnern und die Eigensinnigkeit Wiener Kulturkreise atmet.
Die jüngste Kollektion ist von seiner jüngsten Muse Monika Kaesser inspiriert und auch an ihr fotografiert. Das Resultat ist eigenwillig – und typisch Arbesser: Er spielt mit einem Photoprint mit Gläsermotiven, einem grafischen Kartoffeldruck, einer Aquarelladaption eines klassischen Schachbrettmusters und eines abstrakten, expressiven Gemäldes.
Für die Präsentation wurden die Looks in wildem Mustermix mit Kopfbedeckungen oder auch ruhigeren Kombinationen aus unifarbigen Steppjacken zu weit ausgestellten Röcken mit Tüllunterrock präsentiert. Stimmig waren zudem die Lookbook-Bilder an einem Model mit klassischer Föhnfrisur und an der schönen, souveränen Muse Kaesser als Wiener Version einer Arbesser-«Sciura» präsentiert. Nicht nur Modekritikerin Suzy Menkes, die im sich für den Besuch in Arbessers mit heiteren Design- und Kunstwerken bestückte Studio in passend bunt gemustertem Mantel kleidete, war sichtlich erfreut.