Über den Zinsentscheid der US-Notenbank wurde an den Märkten bis zuletzt heftig spekuliert. Auch innerhalb des geldpolitischen Entscheidungsgremiums gingen die Meinungen bis zum Schluss auseinander, was sonst nur sehr selten vorkommt.
Der Entscheid ist gefallen. Das Federal Reserve senkt das Zielband für den Leitzins um 50 Basispunkte (Bp) auf 4,75 bis 5%. Nachdem die US-Notenbank die Finanzmärkte seit Monaten auf die erste Lockerung der Geldpolitik in diesem Zyklus eingestimmt hatte, ist der Zinsschritt nicht unerwartet. Ungewöhnlich ist aber, wie er zustande gekommen ist.
Normalerweise ist ein bis zwei Wochen im Vorfeld eines Fed-Entscheids klar, ob und in welchem Umfang sich die Geldpolitik ändert. Dieses Mal war es anders. In den letzten Tagen sind die Erwartungen mehrfach hin und her geschwankt. Galt zunächst ein Schritt von 25 Bp als weitgehend sicher, drehten die Erwartungen an den Terminmärkten Ende letzte Woche abrupt zu 50 Bp. Unmittelbar vor dem Entscheid am Mittwoch standen die Chancen dann praktisch wieder 50:50.
Ungewöhnlich war ebenso ein anderer Sachverhalt. In der Regel stimmt die Einschätzung der Futures-Händler mehr oder weniger mit den Prognosen der Grossbanken überein. Doch dieses Mal liessen sich die Ökonomen der Wallstreethäuser so gut wie kaum von den Schwankungen an den Terminmärkten beeinflussen. Mit Ausnahme von JPMorgan waren sie praktisch einhellig der Meinung, dass es zu einem Schritt von bloss 25 Bp kommen würde.
Eine seltene Gegenstimme
Weshalb also diese Unsicherheit? Sie dürfte damit zusammenhängen, dass unter den jeweils zwölf stimmberechtigten Mitgliedern im Fed-Offenmarktausschuss ein Konsens angestrebt wird. Offenbar gab es im Umfeld der Sitzung jedoch starke Meinungsverschiedenheiten. Darauf deutet auch das Statement zur Zinssenkung hin, gemäss dem Fed-Gouverneurin Michelle Bowman für einen Schritt von bloss 25 Basispunkten votiert hat – die erste Gegenstimme bei einem Fed-Entscheid seit mehr als zwei Jahren.
Noch auffälliger: Mit Bowman hat erstmals seit dem Herbst 2005 ein Mitglied aus dem sieben Personen umfassenden Kreis der Fed-Gouverneure gegen einen Fed-Beschluss gestimmt. Dieser votiert bei jedem Zinsentscheid und steht sonst geschlossen hinter dem Chairman. Das Gleiche gilt für den Vorsteher der einflussreichen Distriktnotenbank New York. Vereinzelte Abweichungen gibt es in der jüngeren Geschichte des Fed nur bei den Präsidenten der regionalen Fed-Distrikte, von denen abwechslungsweise jeweils vier in einem Jahr über die Geldpolitik mitbestimmen.
Nicht immer ging es im Eccles Building, wo das Federal Reserve in Washington seinen Sitz hat, allerdings so harmonisch zu. Wie die folgende Grafik zeigt, waren geldpolitische Beschlüsse im Vorsitz der US-Notenbank bis in die Neunzigerjahre oft wesentlich heftiger umstritten. Im Lauf des Jahres 1980 zum Beispiel, als Fed-Chef Paul Volcker die Zinsen zur Ausmerzung der Inflation radikal anhob, kam es zu insgesamt 25 Gegenstimmen, wobei er auch im Gouverneursrat auf dezidierten Widerstand stiess.
Powell sucht Harmonie
Wie aus der Grafik weiter hervorgeht, hat die Anzahl Gegenstimmen bei Fed-Beschlüssen dann in der Ära von Alan Greenspan kontinuierlich abgenommen. In der Zeit von Ben Bernanke und Janet Yellen gab es dann nur noch von regionalen Fed-Präsidenten Widerspruch, der sich nach dem Antritt von Powell im Februar 2018 ebenfalls reduziert hat. In den Jahren 2018, 2021 und 2023 wurde sogar jeder Fed-Entscheid ohne ein Gegenvotum gefällt.
Der Grund für dieses «Einheitsdenken» hat möglicherweise damit zu tun, dass es dem derzeitigen Fed-Chef noch mehr als seinen Vorgängern um die Signalwirkung geht. «Manche spekulieren, dass Powell bei den Abstimmungen im Fed-Gremium aus Gründen der Glaubwürdigkeit stets eine geschlossene Front bilden will», hält der Marktstratege Jim Bianco dazu fest. «Meinungsverschiedenheiten schaffen Zweifel und Unsicherheit.»
Powell spielte die Gegenstimme von Bowman während der Pressekonferenz am Mittwoch zwar herunter. Das Gremium habe den Zinsentscheid vom Mittwoch im Rahmen einer «exzellenten Diskussion» gefällt, sagte er. Dass die Harmonie im Fed ausgerechnet beim Auftakt zu einem neuen Lockerungszyklus gestört worden ist, hätte er aber sicherlich gerne vermieden.