Seoul hilft seiner Rüstungsindustrie mit Grossbestellungen und fördert das Exportgeschäft. Die Regierung hat sich ein ambitioniertes Ziel gesetzt.
Manch einer sagt es nur hinter vorgehaltener Hand. Sheen Seong Ho, Professor für internationale Beziehungen an der Seoul National University, spricht es aus: «Der Krieg in der Ukraine hat der südkoreanischen Rüstungsindustrie mächtig Schub verliehen.»
Der beste Beweis dafür ist Polen, das eine beeindruckende Bestellung aufgegeben hat: 1000 Kampfpanzer des Typs K2, 672 K9-Panzerhaubitzen, 288 Raketenwerfer des Typs K239 Chunmoo, 48 FA-50-Kampfjets. Gesamtauftragsvolumen: rund 15 Milliarden Dollar.
Das ist mit Abstand der grösste Auftrag für Südkoreas Waffenschmieden, doch diese sind auch sonst erfolgreich unterwegs. Australiens neue Generation von Schützenpanzern kommt aus südkoreanischer Produktion, 129 Stück hat Canberra bestellt. Die Panzerhaubitze K-9 ist ein eigentlicher Exportschlager: Indien, Norwegen, die Türkei und weitere Länder haben sie im Einsatz. Laut der Nachrichtenagentur Reuters hat der Hersteller Hanwha Aerospace bei Panzerhaubitzen einen globalen Marktanteil von 55 Prozent – mit der polnischen Lieferung soll er auf 68 Prozent steigen.
Politik und Industrie arbeiten eng zusammen
Wer sich ein Bild der südkoreanischen Rüstung machen wollte, reiste im Oktober an die Seoul Adex 2023. Nach einem Covid-bedingten Unterbruch fand Südkoreas wichtigste Rüstungsmesse zum ersten Mal seit vier Jahren wieder statt. Die riesigen Stände der südkoreanischen Produzenten dominierten die Ausstellungshallen, draussen am Flugfeld stand praktisch alles, was die Industrie gegenwärtig und in früheren Jahren produziert hat.
Die Black Eagles, das Akrobatik-Team der südkoreanischen Luftwaffe, zeichneten die Nationalflagge an den stahlblauen Himmel. Und Staatspräsident Yoon Suk Yeol jubilierte am Eröffnungstag: «Südkorea, das lange von internationaler Hilfe und Importen abhängig war, produziert und exportiert heute moderne Kampfjets.»
Der Aufstieg der südkoreanischen Rüstungsindustrie beruht auf langer Aufbauarbeit grosser Konzerne und der tatkräftigen Unterstützung durch die Politik. Nicht nur produziert das Land heute Waffen, die in Zeiten wachsender geopolitischer Spannungen gefragt sind. Es kann auch rasch liefern: Vier Monate nachdem Polen den Vertrag zum Kauf der Kampfpanzer und Panzerhaubitzen unterzeichnet hatte, erhielt es die ersten Exemplare geliefert.
Möglich ist das, weil Systeme, die von der südkoreanischen Armee schon früher bestellt und bereits in Produktion waren, nach Polen umgeleitet wurden. «In einem solchen Fall befiehlt das Verteidigungsministerium einfach der Armee, seine Bestellungen herzugeben», sagt Yun Sang Yong, Experte am Korea Defence Forum. So eng ist die Zusammenarbeit zwischen Politik, nationalen Streitkräften und Rüstungsindustrie in Korea.
Staatspräsident Yoon ist praktisch Chefverkäufer – beim polnischen Grossauftrag war er persönlich involviert. Bereits sein Vorgänger Moon Jae In hatte diese Rolle eingenommen, obwohl die beiden aus politischen Lagern kommen, die sich spinnefeind sind. Auch die diplomatischen Vertretungen des Landes helfen mit. Ein südkoreanischer Verteidigungsattaché sagt am Rande eines Sicherheitsforums in Seoul, dass es «selbstverständlich» zu seinen Aufgaben gehöre, in seinem Gastland Ausschau zu halten nach möglichen Geschäften für die südkoreanische Rüstungsindustrie.
Die Ansage von Präsident Yoon ist klar: Südkorea soll zum viertgrössten Waffenexporteur der Welt aufsteigen, hinter den USA, Russland und Frankreich. Laut Zahlen des Stockholm International Peace Research Institute (Sipri) lag Seoul für die Periode von 2018 bis 2022 auf dem neunten Platz. Da einzelne Aufträge zu grossen Ausschlägen führen, rechnet das Sipri mit Zeiträumen von fünf Jahren. So zeigt sich der eingangs erwähnte polnische Auftrag in den südkoreanischen Zahlen noch nicht, weil erst ein kleiner Teil davon ausgeführt wurde.
Südkoreas Stärke im Rüstungsbereich basiert auf einer breiten industriellen Basis. Südkorea ist nach China der zweitgrösste Schiffbauer der Welt. Samsung und LG Electronics gehören zu den global führenden Elektronikkonzernen; Autobauer wie Hyundai und Kia exportieren weltweit.
Diese Kompetenzen und Kapazitäten kommen auch der Rüstungsindustrie zugute. Grosse Konzerne sind sowohl zivil als auch militärisch tätig: So wird der K2-Panzer von Hyundai Rotem gebaut, einer Firma des Hyundai-Konzerns. Und Hanwha Aerospace, Südkoreas grösster Rüstungsproduzent, ist Teil der breit diversifizierten Hanwha-Gruppe.
Stetige Bedrohung durch Nordkorea
Dass Südkoreas Rüstungsindustrie heute über grosse Produktionskapazitäten verfügt, hat aber noch einen anderen Grund. In Europa reduzierten viele Länder nach Ende des Kalten Krieges ihre Streitkräfte massiv. Die Rüstungsaufträge schrumpften – und damit auch die Kapazitäten vieler Produzenten.
Eine solche Friedensdividende kannte Südkorea nie. In den bald 35 Jahren seit dem Fall der Berliner Mauer testete Nordkorea sechs Atombomben und feuerte zeitweise im Wochentakt Raketen ab. Im März 2010 versenkte das Kim-Regime die südkoreanische Korvette «Cheonan», 46 Seeleute starben. Acht Monate später kamen zwei Soldaten und zwei Zivilisten ums Leben, als Nordkorea die südkoreanische Insel Yeonpyeong mit Artillerie beschoss.
Auch wenn sich die Beziehungen zum Norden zeitweise etwas entspannten, betragen Seouls Ausgaben für das Militär seit 2000 ziemlich konstant 2,5 Prozent der Wirtschaftsleistung. Das Land hat 500 000 aktive Soldaten und rund 3 Millionen Reservisten. Südkoreas Landstreitkräfte verfügen über weit mehr als 2000 einsatzfähige Kampfpanzer – in Europa hat allein die Türkei eine vergleichbare Panzerstreitkraft.
Für die Rüstungsindustrie bedeutet dies eine regelmässige Nachfrage durch das eigene Militär. Da die Bestellungen gross und über lange Frist angelegt sind, lohnt es sich für die privaten Rüstungsfirmen, Fertigungsstrassen aufzubauen und zu erhalten. Laut einem Bericht von Reuters ist die Produktion stark automatisiert, was eine rasche Skalierung erlaubt.
Technologietransfer zuerst nach und jetzt von Südkorea
Dieses Produktions-Know-how ist nun Teil der Exportstrategie. Nur gerade 180 der von Polen bestellten 1000 K2-Panzer werden aus Südkorea importiert. Die restlichen Exemplare werden vor Ort in Lizenz hergestellt; die polnische Industrie profitiert von einem Technologietransfer.
Diese enge Zusammenarbeit mit einem EU-Mitglied mache den polnischen Auftrag speziell für Südkorea, sagt Uk Yang, Sicherheitsexperte am Asan Institute, einer Denkfabrik in Seoul. Früher hatten koreanische Firmen Produktionen in der Türkei und Ägypten aufgebaut, auch die Schützenpanzer für Australien werden künftig vor Ort gebaut.
Die südkoreanische Rüstungsindustrie setzte in ihren Anfängen ihrerseits auf Lizenzproduktion amerikanischer Waffensysteme. Später entwickelten die Südkoreaner diese Produkte dann weiter. Daraus ergibt sich eine grosse Kompatibilität der südkoreanischen Waffen mit denjenigen der USA und der Nato.
So produziert Südkorea grosse Mengen Artilleriegranaten mit dem 155-mm-Standard der Nato. Die Bestände vieler westlicher Länder sind wegen des Krieges in der Ukraine geschrumpft. Südkoreas Gesetze verbieten Waffenexporte in Kriegsgebiete. Hingegen hat Seoul seit dem russischen Angriff auf die Ukraine Geschosse an die USA verkauft, um deren Lager wieder zu füllen.
«Amerikanische Qualität zu einem asiatischen Preis»
«Käufer von südkoreanischen Waffensystemen erhalten amerikanische Qualität zu einem asiatischen Preis», fasst Yun Sang Yong zusammen, der früher für die Rüstungsindustrie im Exportgeschäft tätig war. Je nach Produkt sind die Südkoreaner aber auf amerikanische Zulieferer angewiesen. So wird der FA-50-Kampfjet von einem Triebwerk angetrieben, das unter Lizenz von General Electric in Südkorea zusammengebaut wird.
Yun sieht daher wenig Gefahr, dass Südkoreas Erfolg als Waffenexporteur zu politischen Verwerfungen mit Washington führen könnte, weil sich die dortige Industrie konkurrenziert sieht. Denn an jedem verkauften FA-50 verdienen amerikanische Firmen mit.
Die südkoreanischen FA-50 sind nicht ganz so vielseitig einsetzbar wie amerikanische F-35 oder die neuste Variante der F-16. Die kleineren südkoreanischen Jets gelten als «leichte Kampfjets», sie können weniger Munition und Treibstoff mit sich führen. Dafür sind sie deutlich günstiger und einfacher in Unterhalt und Betrieb. Kaufpreise für Kampfjets sind schwierig zu vergleichen, weil sie je nach Ausstattung und Verhandlungsverlauf stark variieren. Sicher ist, dass die südkoreanischen Jets deutlich billiger sind.
Der südkoreanische Kampfjet ist daher nicht unbedingt eine Konkurrenz für Hersteller wie Lockheed Martin. Es kann sogar im Sinne der amerikanischen Sicherheitspolitik sein, wenn kleinere Luftwaffen in Asien südkoreanische Jets kaufen. Die Philippinen, welche mit den USA ein Verteidigungsabkommen haben, setzen 12 FA-50 ein. Malaysia hat soeben 18 Stück bestellt. Indonesien und Thailand fliegen die T-50 – die unbewaffnete Trainingsversion des FA-50.
Kommt Südkorea unter chinesischen Druck?
All diese Länder fühlen sich von Pekings zunehmend aggressiverem Auftreten unter Druck gesetzt. Dies gilt ganz besonders für die Philippinen, welche sich mit China um zahlreiche Inseln und grosse Seegebiete im Südchinesischen Meer streiten. Die koreanischen F-50 erlauben diesen Ländern, ihren Luftraum besser zu überwachen – das militärische Gleichgewicht in der Region werden sie angesichts der chinesischen Übermacht allerdings nicht verändern.
Dennoch könnten Südkoreas Waffenexporte zu Komplikationen mit Peking führen. Was es heisst, den Zorn der chinesischen Machthaber auf sich zu ziehen, weiss Seoul bereits: 2016 installierte Südkorea gemeinsam mit den USA das Raketenabwehrsystem Thaad. Offiziell war dies zum Schutz gegen die nordkoreanische Bedrohung gedacht, doch China sah es als Schwächung seiner eigenen nuklearen Abschreckung gegen die USA. Südkoreanische Produkte wurden in China boykottiert. Die Exporte nach China, dem wichtigsten Handelspartner, brachen zusammen.
Die Angst vor einer erneuten Strafaktion Pekings scheint in Seoul allerdings nicht allzu gross zu sein. Die südkoreanische Politik betrachte Rüstungsexporte vorwiegend aus industriepolitischer Sicht, kaum aus dem geopolitischen Blickwinkel, sagen mehrere Experten. Südkoreas Wirtschaft durchlaufe derzeit eine schwierige Phase, sagt Professor Sheen, nicht zuletzt weil der Absatzmarkt China schwächle: «Die Rüstungsindustrie ist da eine positive Ausnahme.»