Die Nagelbilder wurden in den 1950er Jahren zum Markenzeichen von Günther Uecker. Nun ist er 95-jährig verstorben.
Günther Uecker schuf dichte Strukturen aus Nägeln auf monochromen Leinwänden. Später schlug er die Nägel in Möbel und Musikinstrumente und machte diese zu dysfunktionalen Objekten mit hohem Wiedererkennungswert. Ausschlaggebend für seine Arbeitsweise war seine Kindheit in Wustrow.
Als kurz vor Kriegsende Soldaten der Sowjetarmee auf diese Ostseeinsel kamen, «gingen sie manchmal in Gruppen in Häuser, und es waren ja fast nur Frauen und Kinder da. Männer gab es keine, ich war mit vierzehn Jahren der Mann. Ich habe mir überlegt, wie ich meine Mutter und meine Schwestern schützen könnte.» Er habe in seinem Haus von innen Holzplatten vor alle Fenster und Türen genagelt.
«Man entkommt ihnen nicht, seinen Wurzeln und Prägungen, den Fängen seiner eigenen Geschichte», sagte er. Die Nagelbilder wurden in den 1950er Jahren zum Markenzeichen des deutschen Künstlers.
Spuren als Existenzbeweis
1961 schloss sich Günther Uecker der von Heinz Mack und Otto Piene gegründeten Gruppe Zero an. An der Veranstaltung «Edition, Exposition, Demonstration», organisiert von der Düsseldorfer Galerie Schmela, malte Uecker einen weissen Kreis auf den Boden einer Strasse, «um eine Leerstelle zu schaffen». Jede Spur, die hineingetreten wurde, diente als «Existenzbeweis» der Passanten.
Das Projekt «Weisse Zone Düsseldorf» fand im urbanen Raum statt; wenig später beschäftigte sich Uecker auch mit dem Naturraum, spritzte im Jahr 1965 die Stämme eines Waldstücks weiss. 1969 nahm er zusammen mit Robert Smithson und Dennis Oppenheim an einer frühen Land-Art-Ausstellung teil, die von der Cornell University in Ithaka im amerikanischen Gliedstaat New York ausgerichtet wurde. Im Museumsraum installierte er eine «Sandmühle»: Zwei Stangen, an denen Schnüre mit verknoteten Enden befestigt sind, kreisen um eine zentrale Achse, die Schnüre hinterlassen im Sand ihre Spuren und verändern seine Formation unaufhörlich.
Archaische Tätigkeiten wie das Pflügen eines Feldes, an das seine «Sandmühlen» erinnern, verband Uecker auch mit seiner Nagelkunst. So zog er in der Eifel unter dem Titel «Nagelfeldzug» (1969) auf einem Feld eine Furche, die er mit Nägeln bepflanzte. Ein Jahr zuvor hatte er in Baden-Baden mit einem überdimensionalen Nagel die Kunsthalle gestürmt und gemeinsam mit Gerhard Richter das Museum zu einem Ort erklärt, der zum Wohnen geeignet sei. Am Tag der Vernissage zur Ausstellung «Museen können bewohnbare Orte sein» konnten Besucher Nägel erwerben und damit verschiedene Objekte beschlagen.
Als einen anarchischen Akt der Befreiung vom Irrsinn der Welt lassen sich Ueckers Klangobjekte mit Titeln wie «Banging Door», «Krachmaschine» oder «Rhythmischer Hammer» verstehen, die unter dem Gesamttitel «Terrororchester» zusammengefasst werden. Auch die von ihm als «Felder» bezeichneten Nagelbilder, mit denen er das klassische Tafelbild ähnlich radikal zerstört hat, wie Lucio Fontana es tat mit seinen Schnitten in die Leinwände, betrachtet Uecker als eine Biografie in Bildern.
Mann in Latzhose zwischen Geburt und Tod
Der am 13. März 1930 in Wendorf geborene Bauernsohn war weit mehr als ein «Nagelkünstler», er war ein universaler Weltkünstler. In Düsseldorf, wohin er nach einer Lehre als Maler und Werbegestalter in der DDR 1955 zum Studium an der Kunstakademie kam, wurde ihm 2015 eine Retrospektive gewidmet. An der Akademie hatte Uecker selbst von 1974 bis 1995 eine Professur inne.
Wer bei seinen Aktionen nicht dabei war, bekommt durch Fotografien einen guten Eindruck: Ein in jungen Jahren schmaler, später fülliger Mann, fast immer in weisser Latzhose – der Künstler als Handwerker –, rammt im Jahr 1974 einen mannsgrossen Nagel in den libyschen Sand oder schiesst 1970 brennende Pfeile in Richtung des Meeres und schafft damit eine ephemere Lichtlinienskulptur.
Ausgangspunkt von Ueckers Werk war, wie er selbst formulierte, der «Mensch in seiner partikularen Anwesenheit zwischen Geburt und Tod». Am Dienstag ist Günther Uecker im Alter von 95 Jahren in Düsseldorf gestorben.