Deutschlands zweitgrösste Stadt ist in den vergangenen 40 Jahren um knapp 500 000 Personen gewachsen – und wächst weiter. Bald auf einen neuen Meilenstein. Doch Wohnraum fehlt schon jetzt.
Hamburg, die zweitgrösste Stadt Deutschlands, wird immer grösser. Warum, das hat die wohl bekannteste Band Hamburgs schon vor mehr als 20 Jahren gerappt: «Der Grund, warum hier Menschen gern leben, weil die Leute erst fühlen, dann denken, dann reden.» Das texteten die Beginner in ihrem «City Blues», der Hamburg eine weitere Hymne gab und den «Meine Perle»-Schlager den Fussballfans überliess. Was die zunehmende Grösse bedeutet, hat das Statistikamt Nord nun beantwortet: laut seiner jüngst veröffentlichten Bevölkerungsprognose überschreitet Hamburg im Jahr 2030 erstmals die Grenze von zwei Millionen Einwohnern.
Das mag auf den ersten Blick nur eine Zahl und logische Konsequenz für eine Stadt sein, deren Melderegister zuletzt 1 954 243 Einwohner zählte. Es stellt aber schon einen Meilenstein in der Bevölkerungsentwicklung dar für eine Stadt, deren Einwohnerzahl im Jahr 1986 noch bei knapp 500 000 Personen weniger lag. Wie man mit dieser Entwicklung umgehen will, hätte man am liebsten die Person gefragt, die damit umgehen muss – doch Karen Pein, die Senatorin für Stadtentwicklung von der SPD, lehnt eine entsprechende Anfrage ab.
«Praktisch stellt es uns vor grosse Herausforderungen»
Dabei drängt sich doch gerade diese Frage auf: Ist es eine gute oder eine schlechte Nachricht, wenn eine Stadt immer grösser und grösser wird?
Anke Frieling, die stadtentwicklungspolitische Sprecherin der oppositionellen CDU-Fraktion, beantwortet das so: «Diese Nachricht hat zwei Seiten», sagt Frieling, «dass Hamburg so beliebt ist und dass Menschen hierher ziehen wollen, ist positiv». Einerseits. Weil es zeigt, dass Hamburg ein attraktiver Standort ist, der Fachkräfte anzieht, was in Zeiten von Fachkräftemangel wirklich gut sei. «Aber praktisch stellt es uns vor grosse Herausforderungen», schränkt Frieling ein. Eine Stadt könne Zuzug nicht verhindern, selbst, wenn sie es wollte.
Hamburg probiert es mit viel Regen und noch mehr Wind, könnte man einwerfen. Trotz Shietwetter soll sich das bereits seit Jahren zu beobachtende Bevölkerungswachstum voraussichtlich in den kommenden 15 Jahren fortsetzen, teilte das Statistikamt aber weiter mit. Zuletzt war nur Berlin schneller gewachsen als Hamburg, das allein im Jahr 2022 für 40 000 neue Menschen zur Heimat geworden ist. Dabei spielte der Krieg in der Ukraine eine beträchtliche Rolle, «das Wachstum ist statistisch fast ausnahmslos auf den Zuzug von Menschen von ausserhalb der EU zurückzuführen», schrieb das «Hamburger Abendblatt». Nach Überschreiten der 2-Millionen-Marke werde die Bevölkerungszahl bis 2040 auf 2,024 Millionen weiter wachsen, hiess es nun vom Statistikamt. Zwar würden mehr Menschen sterben als geboren, dafür aber mehr Menschen in die Stadt ziehen als weg. Und: Die Zahl der Kleinkinder unter sechs Jahren nehme ab, die Zahl der über 65-Jährigen um rund 20 Prozent zu.
Die Herausforderungen, die sich dadurch stellen, zielen vor allem auf den wichtigsten Faktor ab: Wohnraum. Anke Frieling sagt: «Wir haben einfach nicht genügend Wohnungen». Schon jetzt nicht. Und was man bis 2030 an weiterem Wohnraum braucht, müsse man eigentlich heute zu bauen beginnen. «Stattdessen erleben wir den totalen Einbruch an Baugenehmigungen und -vorhaben.»
Die Zahl der Baugenehmigungen hat sich im vergangenen Jahr fast halbiert. 10 000 sollen jedes Jahr gebaut werden, bis 2023 gelang das auch über mehre Jahre hinweg. Dann waren es plötzlich nur noch 5 400. Explodierte Zinsen und Baukosten schreckten die potenziellen Investoren ab.
Jakob Rademacher ist einer der Menschen, der Hamburger Wohnraum anbietet. Er verwaltet mehr als 180 Wohnungen in der ganzen Stadt und sagt: «Ich bekomme für eine Wohnung, die absolut nichts Besonderes darstellt, inzwischen in der ersten halben Stunde nachdem ich sie inseriert habe, mehr als 300 Anfragen.» Wenn überhaupt mal eines seiner Objekte frei wird. «Die Fluktuation würde ich als gering beschreiben.» Nur wer unbedingt muss, zieht aus seiner Wohnung aus. Die Folge ist ein knapper Markt und ein schwerer für Geringverdiener, sagt Rademacher. Wer über ein kleines Budget verfügt, findet kaum etwas.
Seit vergangenem Dezember ist es die Aufgabe der Senatorin Karen Pein, diese Entwicklung abzumildern. Dem NDR sagte sie vergangene Woche: Das Wohnungsbau-Problem werde sich «noch nicht in diesem Jahr so sehr niederschlagen, sondern tatsächlich erst in den kommenden ein, zwei Jahren, weil der Wohnungsmarkt ja träge ist.»
Drei Notmassnahmen geplant
Aber, was dann, in ein, zwei Jahren, wenn sich das Wohnungsbau-Problem niederschlägt? Anke Frieling, Peins Gegenpart von der CDU, sagt: «Wir müssten eigentlich heute anfangen zu bauen, doch das passiert gerade nicht.»
Um dem entgegenzuwirken, hat Senatorin Pein drei Notmassnahmen formuliert, die sie der «Tagesschau» erläuterte. Erstens: Verringerte Bauvorschriften – «Müssen wir wirklich jedes Objekt in einer bestimmten Qualität bauen? Oder ist es nicht auch mit weniger Dämmung, mit geringeren Wandstärken okay?», fragte Pein. Zweitens: Effizientere Planung mit einer optimierten Zusammenarbeit von Architekten und Bauunternehmen. Drittens: schnellere Genehmigungen. Kleine Häuser mit ein bis drei Wohneinheiten sollen laut Peins Vorstellungen keiner Baugenehmigungen mehr bedürfen.
Bleiben die weiteren Herausforderungen. Mehr Menschen bedeuten mehr Verkehr, Hamburg braucht mit zunehmender Grösse weitere Strassen, Radwege und den öffentlichen Nahverkehr. Und gleichzeitig mehr Grün- und Freiflächen. Ausserdem müssen soziale und Bildungsangebote ausgebaut werden, Kita-Plätze, Spiel- ukd Sportflächen und Alterseinrichtungen geschaffen werden. Anke Frieling bezeichnet diese Herausforderungen als «Wohnfolgeeinrichtungen». Und an denen fehle es schon jetzt, mit weniger als zwei Millionen Einwohnern. Neben fühlen, denken und reden muss man eben auch: machen.