Der deutsche Künstler markierte mit seinen provokanten Werken einen Aufbruch in der Kunst. Die Retrospektive in Wien setzt leider nicht auf diese Radikalität, sondern wählt einen musealen Zugang zu Hans Haackes Schaffen.
In den neunziger Jahren galt Hans Haacke als Idol. Es war die Zeit, in der alle der Überzeugung waren, dass Kunst sich gesellschaftlich und politisch engagieren müsse. Nur wenige lösten das allerdings so weitreichend ein wie der 1936 in Köln geborene Künstler, der schon 1965 nach New York gezogen war. Er wolle «das Heilige» der Kunst zerstören, sagte Haacke einmal. Und gnadenlos legte er mit seinen Werken den Finger in Wunden.
1971 wurde eine geplante Schau im Guggenheim-Museum in New York nicht eröffnet. Haacke hatte für seine Ausstellung über Immobilienspekulation in New York recherchiert, es gab heftige Interventionen von Sponsoren des Museums. Zehn Jahre später, 1981, zeigte Haacke in einem Projekt die Verflechtungen von Kunst und Kapital anhand des Kölner Sammlers Peter Ludwig auf.
An Radikalität kaum zu übertreffen war sein Beitrag im Deutschen Pavillon der 45. Biennale in Venedig von 1993: Der deutsche Künstler ging brachial vor und zerbrach alle Bodenplatten. Man ging über ein Trümmerfeld, an der Wand stand gross «Germania» geschrieben, über dem Eingang war ein Objekt in Form einer riesigen D-Mark-Münze platziert. Den Blick in den Eingang verstellte eine rote Wand mit einem Foto von Hitlers Pavillonbesuch 1934.
So und vielleicht nur so könne Kunst tatsächlich gesellschaftliche Relevanz haben, glaubte man damals. Jetzt, dreissig Jahre später, zeigt das Belvedere 21 in Wien eine grosse Retrospektive zu Hans Haacke. Was ist von dessen Kunstrevolte geblieben?
Der Systemkritiker
In dem grossen, rundum verglasten Raum flattert gleich zu Beginn der Schau ein blaues Tuch über einem Ventilator in der Luft. «Blaues Segel» (1964–1965) ist charakteristisch für Haackes Frühwerk, in dem ihn der «bewusste Verzicht auf Komposition» interessierte, wie er einmal rückblickend erklärte. Und es ist symptomatisch für diese Retrospektive, die nicht auf Radikalität setzt, sondern einen musealen Zugang zum Künstler wählt.
So reihen sich frühe Reliefdrucke der sechziger Jahre dicht nebeneinander: Arbeiten mit reflektierenden Materialien, mit Plexiglas und Kondensationsprozessen. Wenige Schritte weiter vermischen sich all diese poetisch-experimentellen mit den späteren strengen, politischen Werken. Der Parcours durch sechs Jahrzehnte ist in einer groben Chronologie angeordnet und wirkt in dem grossen Raum mit seinen Stellwänden nahezu labyrinthisch.
Das mag sinnvoll sein, um die Bedeutung von unterschiedlichsten Systemen in Haackes Werk zu betonen, die anfangs noch auf physikalische und biologische Prozesse beschränkt waren. Oder auch auf ökologische Vorgänge, wie der kegelförmige Erdhaufen «Gras wächst» (1967–1969), der hinten mit Blick in den Park steht. «Die äussere Form hat keine Relevanz», so wird Haacke auf dem Schild daneben zitiert. Vom «Austausch von Kräften, von Energie und Information» ist hier die Rede.
Aber mit dieser Durchmischung von Haackes Werken verliert sich auch jene typische Schärfe seines Schaffens, die einst in der Kunst einen Aufbruch markierte. Kann hier überhaupt noch verstanden werden, wie bahnbrechend sein Fokus auf das Phänomen von Systemen war? Vielen galt Kunst damals noch im Sinn der Bohème als eine Angelegenheit ausserhalb der Gesellschaft. Haacke aber begann ab 1970 konsequent und eindrücklich Kunst als fixen Teil des sozialen Systems zu zeigen.
Geprägt durch politische Ereignisse wie den Mord an Martin Luther King, den Vietnamkrieg oder die Pariser 68er-Bewegung, ersetzte Haacke die Arbeit mit Wahrnehmungsreizen durch die Macht des Faktischen. Damit wurde sein Werk erst provokant, anklägerisch und brisant. So etwa, als er 1970 in der Ausstellung «Information» im New Yorker MoMA zwei transparente Boxen für eine Publikumsbefragung aufstellte: «Wäre die Tatsache, dass Gouverneur Rockefeller die Indochina-Politik von Präsident Nixon nicht verurteilt hat, ein Grund, dass Sie im November nicht für ihn gestimmt haben?», lautete die Frage des Künstlers.
Nur dank dem Rückhalt durch den Direktor wurde das Werk trotz Interventionen nicht entfernt. Jetzt stehen die Boxen wie Relikte aus einer fernen Zeit im Belvedere 21. Im Fall Haacke bedarf es einer gerade auch ausgesprochen zeitlichen Kontextualisierung, um seine Werke noch angemessen vermitteln zu können.
Allerdings ist seine Kritik an der Wertsteigerung von Kunst durch wechselnde Eigentümer heute kaum mehr aufsehenerregend, ja wirkt geradezu banal: Haacke hatte den Wertzuwachs eines Gemäldes in seinem – damals zensierten – «Manet-Projekt» von 1974 anhand von Édouard Manets «Spargel-Stillleben» nachgezeichnet.
Auch seine Appelle zur Aufarbeitung der – österreichischen – Nazi-Vergangenheit in «Das Recht auf Leben» (1979) können heute kaum noch aufrütteln. Solche Arbeiten sind nur mehr Zeugnisse eines künstlerischen Lebenswerks.
Bührle im Visier
Als unerwartet aktuell könnte Haackes «Hommage an Marcel Broodthaers» von 1982 gelten, wäre sie in der Wiener Schau nur prominenter platziert: Die vergrösserte Aufnahme einer Massendemonstration in Bonn gegen amerikanische Mittelstreckenraketen ist über einen roten Teppich mit dem – von Haacke selbst gemalten – Porträt von Ronald Reagan verbunden, der hochnäsig auf die Demonstranten hinabblickt.
Auch in New York hatte es solche Aktionen gegen Atomwaffen gegeben. Durch die Proteste wurde der Verzicht auf nukleare Raketen in Europa vereinbart. Heute, vierzig Jahre später, ist die Situation genau umgekehrt, Europa ist wieder für Aufrüstung und einen nuklearen Schutzschirm.
Von ungebrochener Aktualität ist seine altarähnliche Installation «Buhrlesque» (1985) über den Schweizer Waffenproduzenten Emil Bührle. Lakonisch erklärt der letzte Satz der Wandtafel, dass Bührle «prominenter Stifter des Kunsthauses Zürich» sei. Die Schlussfolgerung, das gilt für sämtliche Werke von Haacke, müssen die Besucher selber ziehen.
Solch kritische Hinweise auf die Verflechtungen von Kunst und Leben verlieren sich in dem Labyrinth zwischen Kondensationssystemen und überraschend netten Arrangements wie seinem «Broken R.M. . .»: Man sieht eine Schneeschaufel à la Duchamp mit zerbrochenem Stiel an der Wand, hinter dem Stiel das Schild «Art & Agent a tout les étages», darunter liegt eine vergoldete Schaufel. Dieses Werk wirkt in der Wiener Retrospektive kaum mehr wie eine Kritik an der Vereinnahmung der Kunst durch das Kapital.
Selbst Haackes 2014 für den vierten, leeren Sockel auf dem Londoner Trafalgar Square entstandenes bronzenes Pferdeskelett mit einer Geschenkschleife mit aufgedruckten Börsendaten verliert im Skulpturengarten des Belvedere 21 als adrettes Kunstobjekt seine kritische Schärfe.
Hans Haacke, der noch heute als Pionier der Institutionskritik gilt, ist musealisiert. Er ist zum Altmeister geworden. Daran ändert auch seine «Besucher*innenbefragung Belvedere 21» mit vierzehn digitalen Fragen (2025) nichts. Darin fragt er nach Wahl- und Konsumverhalten und spricht am Ende sogar das heikle Thema des Gaza-Kriegs an, wobei er verharmlosend von «Nahostkonflikt» spricht.
«Hans Haacke», Belvedere 21, Wien, bis 9. Juni.