Bei der Debatte gegen Donald Trump musste sich Kamala Harris beweisen: Die Vizepräsidentin ist für viele Amerikaner noch ein unbeschriebenes Blatt. Sie gab sich kämpferisch und geizte nicht mit Spott.
Der Druck auf Harris war hoch, und sie hielt ihm stand. Ihre Devise: Offensive ist die beste Verteidigung. Auf kritische Fragen zu ihrem eigenen Leistungsausweis reagierte sie in der Debatte immer mit gezielten Attacken auf Trumps wunde Punkte. Mit ironischem Unterton empfahl sie den Zuschauern, doch einmal eine Trump-Rally zu besuchen. «Ihr werdet sehen, er spricht über fiktive Figuren wie Hannibal Lecter. Er wird über Windräder reden, die Krebs verursachen. Und ihr werdet sehen, dass viele Leute die Veranstaltung vorzeitig verlassen, weil sie gelangweilt sind.»
Will Kamala Harris ins Weisse Haus einziehen, durfte sie sich am Dienstag keine grossen Patzer leisten. Denn gemäss Umfragen richteten die Amerikaner ihre Aufmerksamkeit bei der ersten Fernsehdebatte vor allem auf die Vizepräsidentin. Was sie von Donald Trump zu erwarten haben, wissen die Bürger. Harris, die von den Demokraten ohne langen Vorwahlkampf zur Kandidatin gekürt wurde, ist unbekannter. Als Frau mit dunkler Hautfarbe muss sie zudem eine besondere Überzeugungsarbeit leisten, um bestehende Vorurteile und Vorbehalte zu überwinden.
Trump muss sich verteidigen
Trump reagierte sichtlich genervt auf ihre Angriffe. Und wie fast immer während der Debatte kam er am Ende seiner Antwort auf die Gefahr der vielen Migranten zu sprechen, die in den vergangenen vier Jahren über die Südgrenze ins Land geströmt sind. Er erzählte dabei eine bisher unbestätigte Geschichte, wonach haitianische Zuwanderer in der Stadt Springfield in Ohio die Haustiere der Einwohner stehlen und verzehren würden. «Sie essen die Hunde. Die Leute, die rein kamen, essen die Katzen.»
Auch beim Recht auf Abtreibung und beim Sturm auf das Capitol musste sich Trump verteidigen. Erneut wollte der ehemalige Präsident nicht eingestehen, dass er die Wahl gegen Joe Biden vor vier Jahren verloren hatte. «Trump wurde von 81 Millionen Leuten gefeuert», sagte Harris in Anspielung an die Stimmenzahl für Biden. «Er hat grosse Mühe, das zu verarbeiten.» Viele ausländische Staatschefs würden deshalb über Trump lachen, fügte Harris an. «Vielleicht verfügt der Kandidat zu meiner Rechten nicht über das Temperament und die Fähigkeit, sich durch die Fakten nicht verwirren zu lassen.» Sie will damit wohl sagen, dass Trump keinen Sinn für die Realität habe.
Mit dem Sturm auf das Capitol am 6. Januar habe er nichts zu tun gehabt, gelobte Trump. Er habe nur eine Rede gehalten. Die Vizepräsidentin erinnerte den ehemaligen Präsidenten daran, dass dieser einen «gewalttätigen Mob» aufgehetzt habe. Bereits zuvor in der Debatte nannte sie die Geschehnisse «den schlimmsten Angriff auf die amerikanische Demokratie seit dem Bürgerkrieg.» Wie in anderen Momenten der Debatte, wandte sich Harris dann an die Amerikaner zu Hause an den Bildschirmen: «Für alle, die zuschauen und sich an den 6. Januar erinnern, wir müssen nicht zurückgehen. Lasst uns nicht zurückgehen. Es ist an der Zeit, ein neues Kapitel aufzuschlagen. Wenn das für euch zu weit ging, gibt es einen Platz in unserer Kampagne für euch, um für das Land und unsere Demokratie einzustehen.»
Trump versuchte Harris immer wieder für die Fehler der Biden-Regierung verantwortlich zu machen: Für die hohe Inflation, die rekordhohen Migrationszahlen oder den chaotischen Rückzug aus Afghanistan. Harris jedoch wollte nicht zurückblicken und sich rechtfertigen. Sie versuchte in die Zukunft zu schauen und ihr kürzlich veröffentlichtes Wahlprogramm mit vielen Steuergeschenken für den Mittelstand zu skizzieren. Immer wieder sagte sie: «Ich habe einen Plan.»
Harris: «Ich will eine Präsidentin für alle sein»
In ihrem Schlusswort versprach sie dem Publikum, eine Präsidentin für alle Amerikaner zu sein. Auch früher als Staatsanwältin habe sie nur einen Klienten gehabt: «das Volk». Als Staatsanwältin habe sie ein Opfer oder einen Zeugen niemals danach gefragt, ob sie Republikaner oder Demokraten seien. «Ich fragte sie nur: ‹Geht es ihnen gut?›» So wolle sie auch als Präsidentin sein: «Jemand, der sich um euch kümmert und nicht zuerst an sich denkt.» Sie wolle ihren Fokus darauf legen, gemeinsam an langfristigen Lösungen zu arbeiten. Zuvor in der Debatte meinte Harris bereits: «Wir wollen keinen Anführer, der die Amerikaner ständig dazu bringen will, mit dem Finger aufeinander zu zeigen.»
Trump bezeichnete Harris seinerseits als die «schlechteste Vizepräsidentin der Geschichte». Sie verspreche den Wählern nun viele schöne Dinge. Aber es stelle sich die Frage, warum sie diese nicht in den vergangenen vier Jahren im Weissen Haus umgesetzt habe. Seine stärksten Momente hatte Trump bei aussenpolitischen Themen. Zwar konnte auch er nicht erklären, wie er die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten lösen will. Aber Harris war nun in der Defensive. Sie und Biden seien einfach zu schwach gewesen, meinte Trump. Dies habe zu den Kriegen geführt. Aber Harris reagierte auch hier mit einem Gegenangriff. Trump würde die Ukraine aufgeben, bloss um Putin einen Gefallen zu tun, suggerierte die Vizepräsidentin. Er glaube vielleicht an eine Freundschaft mit dem Kremlchef, aber der russische Diktator würde ihn «zum Mittagessen verspeisen».
Insgesamt ging Harris als Punktesiegerin aus dieser Debatte hervor. Gemäss einer ersten CNN-Umfrage sahen 63 Prozent der Zuschauer die Vizepräsidentin an Siegerin, nur 37 Prozent sahen Trump im Vorteil. Offensichtlich gefiel der Auftritt auch der Sängerin Taylor Swift. Sie habe die Debatte verfolgt, schrieb der Weltstar kurz danach auf Instagram: «Ich stimme für Kamala Harris.»
Ob Harris dieser Etappensieg bei der Wahl im November helfen wird, muss sich aber noch zeigen. Hillary Clinton gewann 2016 alle Debatten gegen Trump und verlor die Wahl dann trotzdem. Zudem liegen die Kandidaten dieses Jahr gemäss den Umfragen noch enger zusammen als vor acht Jahren und vor vier Jahren. In den sieben wichtigen Swing States liefern sich Trump und Harris ein Kopf-an-Kopf-Rennen.