Ein Berufungsgericht hat ein Urteil gegen Weinstein aufgehoben. Opfer und Aktivistinnen fürchten, dass dies verändert, wie sexuelle Übergriffe vor Gericht verhandelt werden.
Vor vier Jahren wurde Harvey Weinstein, einst einer der einflussreichsten Filmproduzenten Hollywoods, das erste Mal wegen sexueller Nötigung und Vergewaltigung verurteilt. 23 Jahre Gefängnisstrafe erhielt er von einem Gericht in New York.
Der Prozess gegen Weinstein war eine Zäsur im Kampf gegen sexuellen Missbrauch. Es machte #MeToo zu einer weltweiten Bewegung. Wenn der grosse Harvey Weinstein wegen Missbrauchs verurteilt werden konnte, dann würde das auch für andere gelten, war die Hoffnung unzähliger Menschen.
Am Donnerstagvormittag hat das Berufungsgericht in New York dieses Urteil aufgehoben. Das Gericht entschied mit 4:3 Richterstimmen, der damalige Richter habe einen Verfahrensfehler gemacht. Er habe zugelassen, dass Frauen gegen Weinstein aussagten, ohne selbst Klägerinnen zu sein.
Eine der Richterinnen des Berufungsgerichts sagte, die Jury sei dadurch voreingenommen gewesen. Der Angeklagte sei in einem «sehr nachteiligen Licht» dargestellt worden. Aussagen über frühere schlechte Taten Weinsteins hätten vor Gericht nicht zugelassen werden dürfen. Ziel der Staatsanwälte war es, mit den Zeuginnen ein Verhaltensmuster Weinsteins beweisen zu können.
«Wie ein Schlag in die Magengrube»
Die Anwälte Weinsteins feierten am Donnerstag das Urteil des Berufungsgerichts. Der Anwalt Arthur Aidala sagte der «New York Times», er sei «sehr dankbar». Durch den Entscheid seien die grundlegendsten Prinzipien, die ein Angeklagter in einem Prozess haben soll, aufrechterhalten werden. Sein Team habe von Anfang an gesagt, dass Weinstein keinen fairen Prozess bekommen habe. Nun habe Weinstein die Chance, seine Geschichte von Anfang an zu erzählen.
Bei Aktivistinnen der #MeToo-Bewegung und unter den Opfern löste der Entscheid Unmut, Empörung, Sorge aus.
Die Aktivistin Sara Ziff verglich das Urteil in der «New York Times» mit einem «Schlag in die Magengrube» für alle Opfer sexueller Gewalt. Ziff hatte sich mit Erfolg dafür eingesetzt, dass mit dem «Adult Survivors Act» die Verjährungsfrist für New Yorker Zivilklagen nach Sexualstraftaten für ein Jahr ausgesetzt worden war.
Die Anwältin Lindsay Goldbrum, die mehrere Klägerinnen gegen Weinstein vertritt, bezeichnete den Entscheid laut ABC News als «Rückschritt für die Rechtsstaatlichkeit».
Auch einige der über 80 Opfer, die im New Yorker Prozess gegen Weinstein ausgesagt hatten, meldeten sich nach dem Entscheid am Donnerstag. Die Schauspielerin Katherine Kendall sagte, sie fühle sich von der Justiz im Stich gelassen. Weil «Opfer sexueller Übergriffe, die sich gegen mächtige Männer wehren, nur selten Gerechtigkeit erfahren».
Jemanden wegen sexuellen Missbrauchs zur Rechenschaft zu ziehen, sei sehr schwierig, schrieb Madeline Sigas, eine der drei Richterinnen am Berufungsgericht, die das Urteil aufrechterhalten wollten. Die Argumentation in dem Fall zeige einen «Mangel an Kenntnis über die Dynamik sexueller Gewalt» und führe dazu, dass sich «Schuldige aus der Verantwortung ziehen können». Überhaupt beobachte sie gerade einen beunruhigenden Trend zur Aufhebung von Schuldsprüchen in Fällen sexueller Gewalt.
Was geschieht mit #MeToo?
In vielen Medienberichten wurde der Entscheid auch als grober Rückschlag für die #MeToo-Bewegung gedeutet, die Bewegung gar für tot erklärt. Die Gründerin der Bewegung, Tarana Burke, aber gab sich kämpferisch. Auf einer Pressekonferenz in New York sagte sie, die #MeToo-Bewegung habe langfristige, überlegte Ziele, um die Strafverfolgung bei Sexualdelikten zu verbessern. Mit Rückschlägen müsse man rechnen.
Burke sagte: «Das Schlimme an den Überlebenden sexueller Übergriffe ist, dass es so viele von uns gibt. Aber das Gute an den Überlebenden ist, dass es so viele von uns gibt.»
Harvey Weinstein ist derweil noch immer im Gefängnis. Im Jahr 2023 wurde er in einem Prozess in Los Angeles ein zweites Mal wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt und erhielt eine Haftstrafe von 16 Jahren. Dagegen will er nun ebenfalls Berufung einlegen.