Seit Jahresanfang hat die Schweizer Währung auf breiter Front deutlich korrigiert. Was sind die Gründe – und wie geht es weiter?
Es ist ein ungewohntes Bild: Unter den wichtigen Währungen zählt der Franken heuer zu den schwächsten weltweit. So hat sich der Euro seit Jahresbeginn von 92.90 auf 96.20 Rappen aufgewertet, der Dollar hat sich von 84.10 auf 88.20 Rappen verteuert. Aber auch weniger prominente Valuten wie der peruanische Sol, der Zloty (Polen) und – trotz Krieg im Gazastreifen – sogar der israelische Schekel sind zum Franken erstarkt.
Von 31 Währungen haben nur gerade deren vier zum Franken an Wert eingebüsst. Der von der Deutschen Bank ermittelte handelsgewichtete Franken – er weist seinen Aussenwert gegenüber den Währungen der wichtigsten Handelspartner der Schweiz aus – ist 2024 rund 3,5% gefallen.
Diese breite Schwäche des Frankens markiert eine klare Kehrtwende nach der fulminanten Entwicklung im letzten Jahr, als er handelsgewichtet um mehr als 7% erstarkte. Was sind die Gründe dafür, und ist das womöglich der Beginn einer nachhaltigen Abwärtsbewegung?
Positive Marktstimmung
Der Franken ist bekanntlich ein begehrter sicherer Hafen, sprich: Immer dann, wenn die Weltwirtschaft stockt und/oder wenn die Nervosität an den Märkten erhöht ist, suchen Anleger Zuflucht in hiesigen Vermögenswerten. Der Franken kann deshalb als antizyklische Währung bezeichnet werden.
Seit einigen Monaten lässt sich an den Börsen allerdings eine ausgeprägte Risikobereitschaft beobachten, Sicherheit ist nicht gefragt. Zuerst sorgte die Erwartung von Leitzinssenkungen für Rückenwind an den Aktienmärkten, dann die Hoffnung auf eine weiche Landung der Weltwirtschaft und schliesslich die Verheissungen der künstlichen Intelligenz.
Bezeichnenderweise ist das Risk Barometer von The Market zum Jahresbeginn erstmals seit 2018 wieder in die Euphoriezone vorgestossen. Seither hat es sich zwar wieder abgeschwächt, notiert aber immer noch über dem langjährigen Mittelwert. Auch der als «Angstbarometer» bekannte Vix – er misst die von den Marktteilnehmern erwarteten Ausschläge für den US-Leitindex S&P 500 – notiert auf einem äusserst niedrigen Stand und signalisiert Sorglosigkeit.
In einem solchen Umfeld werden Fluchtwährungen wie der Franken typischerweise verschmäht. Hält die gute Laune an den Märkten an, dürfte der Franken deshalb weiterhin zur Schwäche neigen.
Inflation, Inflation, Inflation
Ein wichtiger Grund für den strukturell harten Franken ist der Inflationsvorteil der Schweiz. Wie Thomas Stucki, CIO der St. Galler Kantonalbank, in einem Marktkommentar schreibt, war die Inflation in der Schweiz in den vergangenen dreissig Jahren im Durchschnitt 1,9 Prozentpunkte (Pp) niedriger als in den USA. Der Dollar hat in dieser Zeit zum Franken pro Jahr 2% an Wert eingebüsst. In der Eurozone war die Teuerung um rund 1,4 Pp höher, der Euro verlor zum Franken 1,8% pro Jahr.
Doch die Unterschiede in der Inflation waren in den vergangenen Jahren deutlich stärker ausgeprägt. Mit den Stimulusmassnahmen in der Pandemie, den weltweiten Lieferkettenschwierigkeiten und dem Krieg in der Ukraine schoss die Konsumentenpreisinflation in den USA 2022 auf ein Höchst von 9,1%, in der Eurozone erreichte sie sogar 10,6%. Mit einer maximalen Inflation von 3,5% kam die Schweiz vergleichsweise glimpflich davon.
Weil aber die Inputkosten – die Löhne und die Vorleistungen – von Unternehmen in der Eurozone oder in den USA stärker stiegen als hierzulande, wurde der Franken nominal stärker. Dadurch wurde der kräftigere Preisdruck im Ausland ausgeglichen.
Schon bald Zinssenkungen?
Zuletzt aber hat sich der Vorsprung der Schweiz verringert, die Teuerungsraten in der Eurozone und auch in den USA sind substanziell zurückgekommen, was den Aufwärtsdruck auf den (nominalen) Wechselkurs verringert hat. Die kräftigen Zinserhöhungen im Ausland haben zudem dazu geführt, dass die Differenz zwischen den Leitzinsen der Schweiz und des Auslands so hoch ist wie seit Jahren nicht mehr, was ausländische Valuten begünstigt.
Noch ist unklar, ob die Inflation vollends besiegt ist, aber der Trend stimmt zuversichtlich. So zuversichtlich, dass der Vorsitzende der US-Notenbank, Jerome Powell, in seiner Rede vor dem Kongress in der vergangenen Woche deutliche Signale gesendet hat, dass das Fed mit grosser Wahrscheinlichkeit bereits an der Juni-Sitzung die Leitzinsen senken wird.
Die Aussagen von Christine Lagarde, der Vorsitzenden der Europäischen Zentralbank, am Donnerstag vor einer Woche lassen ebenfalls erwarten, dass die EZB im Juni erstmals in diesem Zyklus die Leitzinsen senken wird.
Allerdings sind die Zinssenkungshoffnungen am Markt in den vergangenen Monaten nach unten angepasst worden. Noch zum Jahreswechsel erwartete der Konsens sechs Zinssenkungen à je 25 Basispunkte (Bp) durch das Fed, derzeit sind es noch drei bis vier Schritte. Dadurch wurde der Franken relativ gesehen weniger attraktiv, da sich die Erwartungen in Bezug auf die Schweizerische Nationalbank (SNB) kaum verändert haben.
Und wer weiss, ob die Schweiz bei den Zinssenkungen nicht vorprescht? Die SNB hat sich diesbezüglich zwar noch nicht auf die Äste hinausgelassen, allerdings verfügt sie gemäss Karsten Junius, Chefökonom bei der Bank J. Safra Sarasin, durchaus über Spielraum, die Geldpolitik zu lockern, wie er am Mittwoch auf The Market geschrieben hat. Denn die Gesamtinflation ist im Februar auf bloss noch 1,2% und die Kernrate auf 1,1% gefallen – die SNB ist zurück im Zielkorridor.
Prescht die SNB vor?
Zwar ist die Inflation bei inländischen Gütern und Dienstleistungen mit rund 2% höher, allerdings machen die Mietkosten den Hauptharst aus. Und ihr Einfluss sollte schon im kommenden Jahr wieder abnehmen. Zudem wachse die hiesige Wirtschaft unter Potenzial, die Investitionen fielen, und die Kapazitätsauslastung sei unterdurchschnittlich, meint Junius. Die starke Frankenaufwertung des Vorjahres macht sich erst jetzt bei den Unternehmen bemerkbar, während die Konjunktur in Europa stagniert und China immer stärker in die Deflation zu schlittern scheint.
Kurzum: «Die SNB wird ihre Inflationsprognosen deutlich nach unten korrigieren müssen. Zinssenkungen sind nur noch eine Frage der Zeit», folgert Junius. Er plädiert für eine Zinssenkung von derzeit 1,75 auf 1,5% bereits an der nächsten geldpolitischen Lagebeurteilung am Donnerstag, dem 21. März.
Schützenhilfe erhält er von Jan Amrit Poser, Mitgründer der Radicant Bank: «Ich denke, die Daten werden bald zeigen, dass sich grosse Teile Europas in einer Rezession befinden. Die Zinsen müssen bald gesenkt werden», war seine Antwort auf Junius’ Vorschlag.
Franken dürfte sich weiter abschwächen
Währungsstratege Kit Juckes von Société Générale erwartet ebenfalls einen schwächeren Franken. «Nur in einer der G-10-Volkswirtschaften, der Schweiz, sind die Renditen auf einjährige Staatsanleihen derzeit niedriger als zu Beginn des Jahres, und das lässt den Franken für uns verwundbar und ausnahmsweise als bessere Short-Position als den Euro erscheinen», schreibt er in einem Marktkommentar.
Juckes zufolge preist der Markt eine Wahrscheinlichkeit von 30% für eine Zinssenkung am 21. März ein. Aber auch wenn die Zinsen erst im Juni gesenkt werden sollten, könne der Euro zum Franken weiter zulegen. Allerdings traut der Stratege dem Dollar eine substanziellere Aufwertung zu.
Auch Christian Schulz, Ökonom in Diensten von Citigroup, erwartet bereits einen Zinsschritt und eine andauernde Frankenschwäche. Dank dem unerwartet kräftigen Rückgang der Inflation im Januar könne die SNB den Kampf gegen die Frankenaufwertung von offensichtlichen Deviseninterventionen auf Zinssenkungen ausweiten. «Wir erwarten nun, dass die SNB den Leitzins auf der März-Sitzung um 50 Bp auf 1,25% senken wird.» Darauf sollen drei weitere Zinssenkungen um jeweils 25 Bp im Juni, im September und im Dezember folgen, sodass der endgültige Zins zum Jahresende bei 0,5% liegen werde.
Ob die Nationalbank tatsächlich derart aggressive Zinsschritte vornehmen wird, ist zwar keineswegs sicher. Aber das Umfeld spricht dafür, dass sich die Frankenschwäche fortsetzt.
Schweizerische Nationalbank hat Devisen verkauft
Eine weitere Abschwächung wird durch die Pause bei den Devisenverkäufen der SNB begünstigt. In den vergangenen zwei Jahren hat diese kräftig Fremdwährungen verkauft, was den Franken stärkte und den positiven Nebeneffekt hatte, dass dadurch der Preisanstieg bei importierten Gütern gedämpft wurde. So haben die Devisenreserven der Nationalbank von rund 970 Mrd. Fr. per Ende 2021 auf derzeit 680 Mrd. Fr. abgenommen.
Nun aber scheint der Inflationsgipfel überwunden zu sein, weshalb die SNB keine weitere Aufwertung des Frankens zulassen muss. Wie Jürg Lutz vom Schweizer Vermögensverwalter PK Assets, der auf die Anlage von Pensionskassengeldern spezialisiert ist, bemerkt, verkauft die SNB keine Fremdwährungen mehr, was für einen schwächeren Franken spreche.
Auch Portfoliomanagerin Martina Honegger-Romahn von Allianz Global Investors meint, das Ende des Bilanzabbaus sei einer der Gründe für die jüngste Abschwächung des Frankens. Noch scheint die SNB allerdings keine Devisenkäufe im grossen Stil durchzuführen, um die Währung aktiv zu schwächen.
Leichte Überbewertung des Frankens
Nach der deutlichen Aufwertung des realen Frankenkurses in den Jahren 2022 und 2023 ist die Bewertung spürbar nach oben geklettert. Der von der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich ermittelte reale effektive Wechselkurs berücksichtigt die unterschiedlichen Inflationsraten und ist ein Barometer für die Veränderung der Wettbewerbsfähigkeit eines Landes. Der jüngste Anstieg zeigt, dass die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz zuletzt abgenommen hat und der Franken tendenziell überbewertet ist. Vor diesem Hintergrund wäre eine etwas längere Phase der Abschwächung durchaus wünschenswert.
An der Tatsache, dass der Franken langfristig zur Stärke neigt, dürfte sich indes wenig ändern. Im Vergleich zu Fed und EZB geniesst die Preisstabilität bei der SNB einen höheren Stellenwert, und die politische Stabilität ist ein weiterer Pluspunkt, der den Franken für Anleger rund um den Globus attraktiv macht.
Auch wenn einiges auf eine Phase der Frankenschwäche hindeutet, wird die Währung ihren säkularen Aufwärtstrend früher oder später wieder aufnehmen.