Der Walliser Modedesigner Kévin Germanier, Head of Costumes des Eurovision Song Contest, hat sich mit seinen glitzernden Gebilden aus rezyklierten Materialien einen Platz auf so einigen Bühnen erarbeitet. Nun kehrt er auf eine heimische zurück.
Kévin Germanier, machen Sie gerade viele Hosenanzüge?
Was meinen Sie damit?
Solche tragen doch Hazel Brugger und Sandra Studer gern, die zusammen mit Michelle Hunziker den Eurovision Song Contest moderieren werden und für deren Kostüme Sie verantwortlich sind.
Das kann ich nicht beantworten. Nächste Frage, bitte.
Okay. Was taten Sie als Erstes, nachdem Sie als Head of Costumes des Eurovision Song Contest in Basel bestätigt wurden?
Ich rief meine Mutter an. Dann war ich glücklich. Ich bin sehr froh, dass Eurovision und alle Beteiligten das Risiko eingehen. Denn ich werde sie sicherlich herausfordern.
Wie?
Mit meiner Ästhetik und meinen Ideen. Obwohl ich glaube, dass wir alle Ähnliches im Sinn haben. Wir möchten, dass die Show dynamisch ist, innovativ. Und natürlich wird für die Kostüme alles rezykliert sein.
Sie arbeiten seit Jahren in Paris, davor haben Sie in London studiert. Wie ist es, wieder einmal in der Schweiz zu arbeiten?
Es ist einfach. Ich mag es, hier zu arbeiten. Aber unser Team war bis vor kurzem überall verteilt – in Schweden, in Paris, in Deutschland. Wir hatten jede Woche Sitzungen. Das war eine einzigartige Erfahrung für mich: In jeder Sitzung waren alle dabei. Dann konnte mir die Filmcrew sagen, ich solle doch einen bestimmten Stoff nicht nutzen, weil die Kamera ihn schlecht aufnehmen könne, und der Sound-Spezialist konnte anmerken, dass ein bestimmter Stoff in der Nähe des Mikrofons viel zu störend wäre. Normalerweise hat man nicht die Chance, direkt mit diesen Menschen zusammenzuarbeiten.
Sie haben letzten Sommer Kostüme für die Schlusszeremonie der Olympischen Spiele entworfen und sind erst kürzlich in einer Folge von «Germany’s Next Topmodel» erschienen. Ihre Kleidung macht sich offenbar gut auf Bühnen. Wo haben Sie gelernt, gross zu denken?
Wahrscheinlich im Studium an der Central Saint Martins. Dort drängte man uns, über den Tellerrand hinauszuschauen, sich herauszufordern und sich zu fragen: Was ist Kleidung? Was soll sie tun? Ich glaube, heute brauchen wir Phantasie mehr denn je. Es sind schwierige Zeiten. Ich werde nicht über Politik sprechen, denn es ist nicht mein Job. Mein Job als Designer ist es, die Menschen für eine Weile träumen lassen. Und wenn wir das mit Eurovision erreichen können – wenn wir ein bisschen Hoffnung geben können –, dann haben wir unser Ziel erreicht.
Aus einer Kunstschule wie der Central Saint Martins geht man mit einem gewissen Idealismus hervor. Was haben Sie seit Ihrem Abschluss 2017 gelernt?
Aufzuhören, sich mit anderen zu vergleichen. Sich nicht mehr um andere Menschen und ihre Meinungen zu scheren.
Sehen Sie sich als Modedesigner?
Ich bin Kreativdirektor.
Für den Eurovision Song Contest haben Sie für die Moderatorinnen und die Tänzer um die 200 Kostüme konzipiert. Wer stellt sie her?
Es sind drei Menschen aus meinem Team und etwa fünfzehn vom SRF oder mit Erfahrung beim Theater, beim Museum und im Tanz. Material fanden wir in Secondhand-Geschäften und im Fundus des SRF. Ausserdem startete ich auf Instagram einen Aufruf. Wir wollten das breite Spektrum an Künstlerinnen und Künstlern zeigen, die wir in der Schweiz haben. Etwa die Baslerin Eva Ott, die das letzte Plissee-Atelier der Schweiz führt. Sie ist brillant, und ihre Arbeit sollte gesehen werden.
Sehen Sie Ihre eigene Arbeit als besonders schweizerisch?
Ich bin Schweizer, ja. Ich repräsentiere die Schweiz. Für mich ist es ein wenig wie ein Job, die Schweiz zu bewerben. Denn wir sind manchmal etwas zu bescheiden. Es ist okay, anzugeben, solange man nicht arrogant ist. Ich bin stolz auf mein Land.
Was inspirierte die Kostüme? Gingen Sie zur Recherche zurück in die ESC-Archive?
Wir haben mehr als 16 Konzepte innerhalb der Show. Deswegen ist es schwierig, diese Frage zu beantworten. Natürlich haben wir Easter Eggs eingebaut, kleine Überraschungen, die man erst beim zweiten oder dritten Schauen der Show entdeckt. Denn wir wissen alle, dass die Fans des ESC Hardcore-Fans sind.
Wie war die Arbeit mit den drei Moderatorinnen Sandra Studer, Michelle Hunziker und Hazel Brugger?
Ziemlich reibungslos. Sie sind alle sehr professionell. Für mich war es wichtig, dass diese drei Frauen, die alle ihren eigenen Stil haben, zusammenpassen, ohne zu einem grossen Klecks zu verschmelzen.
Sie erwähnten eingangs, dass Sie herausfordern wollten. Taten Sie das auch bei den dreien?
Zu hundert Prozent. Ich fordere sie nun, eine Woche vor der Show, noch immer heraus. Aber nur, weil ich an sie glaube. Und nicht auf Biegen und Brechen. Ich bin ja nicht der, der vor der Kamera steht. Wenn jemand seine Arme oder Knie oder seinen Hals nicht mag, dann respektieren wir das. Ich möchte nicht, dass sich jemand nach dem ESC sieht und sich fragt, warum er oder sie das getragen hat. Mehr kann ich dazu nicht sagen.
Was ist die Funktion von Mode an einem Event wie dem Eurovision Song Contest?
Wir sind Geschichtenerzähler. Sie muss also zur Geschichte passen. Für mich gibt es ausserdem keine Zwischendinge. Die Mode darf nicht scheu sein. Wenn sie kitschig sein soll, soll sie kitschig sein. Wenn sie melancholisch sein soll, soll sie melancholisch sein.
Kommen Ihnen heute Dinge zugute, die Sie von Ihrer Arbeit für die Schlusszeremonie der Olympischen Spiele gelernt haben?
Ich habe viel gelernt von Olivier Bériot und Daphné Bürki, die dort für die Kostüme verantwortlich waren. Vor allem darüber, wie man mit Künstlerinnen und Künstlern umgeht. Man muss sicherstellen, dass sie sich gehört fühlen in diesem ganzen Prozess. Denn viele von ihnen sind sehr verletzlich. Ich könnte diesen Job nicht machen ohne die Erfahrung von den Olympischen Spielen. Es ist viel Druck.
Brauchen Sie diesen Druck?
Ich fühle ihn ehrlich gesagt gar nicht mehr. Am Ende des Tages heilen wir keinen Krebs. Wir entwerfen Kleider für eine Wahnsinnsshow. Wenn eine Socke babypink ist statt leuchtend pink, dann ist das okay.
An der Pariser Haute-Couture-Woche im Januar 2025 war Kévin Germanier erstmals als Gastdesigner eingeladen.
Ist es fair, zu sagen, dass Ihre Kleidung mit der Zeit weniger tragbar geworden ist?
Ich finde nicht. Die Menschen sehen nur das, was bei «Germany’s Next Topmodel» und den Olympischen Spielen gezeigt wird. Dabei haben wir mit Germanier ein profitables Unternehmen mit dem Verkauf von Taschen und Denim.
Was ist für Sie als Designer der nächste Schritt?
Im Juli zeigen wir zum zweiten Mal an der Haute-Couture-Woche in Paris.
Wann beginnen Sie, daran zu arbeiten?
Ich skizziere, während wir sprechen. Deswegen wollte ich telefonieren, statt einen Zoom-Call zu machen. (Lacht.)