1991 gewann der Schweizer in Saalbach Gold, jetzt sorgt Franz Heinzer dafür, dass immer neue Talente an die Spitze gelangen. Doch er hadert damit, dass sein Sport so gefährlich geworden ist.
Als Schweizer auf österreichischem Boden einen grossen Titel in der Abfahrt zu gewinnen – das gelang in der Geschichte des modernen Skisports nur einem: Franz Heinzer, 1991 in Saalbach. Dass er den Gastgebern damals in die Suppe spuckte, scheint diese nicht gross geärgert zu haben. «Ich genoss grosse Sympathien in Österreich», sagt er. Das gilt heute auch für Marco Odermatt. Er könnte am selben Berg wie einst Heinzer den Österreichern vor dem Glück stehen.
Der 62-jährige Heinzer ist heute Abfahrtstrainer im Schweizer Europacup-Team. Wenn er mit diesem in Saalbach trainiere, profitiere er immer noch von grossen Privilegien auf der Piste, sagt er. Gab es sie denn gar nie, die grosse Rivalität zwischen Österreichern und Schweizern? «Wir Athleten hatten es gut miteinander», sagt Heinzer.
Die Rivalität sei vor allem unter Fans und in den Medien ein Thema gewesen. Und man habe unter Fahrern schon hin und wieder gestichelt oder einen Witz erzählt. An einen erinnert sich Heinzer: «Warum fahren die Österreicher durchsichtige Ski? Damit sie sehen, wo sie die Zeit verlieren.» Den könnte man 2025 wieder bringen, denn die österreichischen Männer haben in diesem Winter im Weltcup noch keinen einzigen Sieg gefeiert, die Schweizer deren elf.
Es genügt nicht, den Schönheitspreis zu gewinnen
Heinzer wurde an die Eröffnungsfeier in Saalbach eingeladen, doch er sagte ab, sein Beruf hat Vorrang. Er weilt diese Woche in Crans-Montana für Trainings auf der WM-Piste von 2027. Rund dreissig Athleten hat er aufgeboten, es werden noch Fahrer aus dem Weltcup dazustossen, wenn nächste Woche drei Rennen der zweithöchsten Stufe ausgetragen werden.
Crans-Montana spielt auch in der Biografie von Heinzer als Athlet eine Rolle. Die WM hier im Jahr 1987 waren Schweizer Festspiele, die Einheimischen gewannen 8 von 10 Titeln und insgesamt 14 Medaillen. Heinzer belegte in der Abfahrt den 4. Rang – hinter drei Teamkollegen. Es war das dritte Mal in Serie, dass er die WM-Abfahrt als Vierter beendete. 1989 schaffte er nicht einmal die Qualifikation.
Heinzer war ein Stilist und eleganter Flieger. Das führte nach all den vierten Rängen auch zu Kritik: Es genüge nicht, den Schönheitspreis zu gewinnen. Heinzer lernte dabei etwas, das er heute bei den Jungen anwendet: «Als Kind fährst du viele hundert Kilometer und eignest dir dabei einen Stil an. Du kannst später nicht aus deiner Haut schlüpfen, sondern musst mit deinen eigenen Fähigkeiten zum Erfolg finden.»
Der Fahrer blieb sich treu, arbeitete noch härter und erlebte schliesslich eine späte Blüte: 1991 wurde er Weltmeister, von 1991 bis 1993 gewann er stets die Disziplinenwertung in der Abfahrt. Fast während seiner ganzen Karriere kam die stärkste Konkurrenz aus dem eigenen Team: Pirmin Zurbriggen, Peter Müller, Karl Alpiger, Daniel Mahrer . . . Fast jeder Schweizer war ein Siegfahrer.
Heute sei es wieder ähnlich: Marco Odermatt, Justin Murisier und Alexis Monney haben in diesem Winter Abfahrten gewonnen, Franjo von Allmen einen Super-G, und auch der im vergangenen Herbst an Krebs erkrankte Niels Hintermann ist ein Siegfahrer. In so einer Situation treibe man sich gegenseitig an, sagt Heinzer. «Wenn einer siegt, weisst du genau: Ich hatte die gleiche Vorbereitung, ich habe die gleichen Möglichkeiten – warum soll das nicht auch mir gelingen?»
Es wird viel von der Harmonie geredet, die derzeit im Schweizer Team herrscht. Das sei zu seiner Zeit nicht viel anders gewesen, auch wenn viel über die Rivalität zwischen Zurbriggen und Müller geschrieben worden sei. Geändert habe sich, wie Junge heute ins Team integriert würden. Er selbst sei anfangs sehr zurückhaltend gewesen. «Die Arrivierten waren meine Vorbilder, ich war ihr Fan. Und plötzlich konnte ich mit ihnen mitfahren.» Er musste schauen, ob da überhaupt einer bereit war, ihm ein wenig zu helfen.
Heute würden die Jungen sofort akzeptiert. Beat Feuz diskutierte mit Marco Odermatt die Linienwahl, als dieser neu bei der Abfahrt war, heute sieht man Odermatt mit von Allmen oder Murisier mit Monney auf der Piste diskutieren. Es gebe einen roten Faden, der sich durch alle Stufen ziehe, sagt Heinzer. «Auch die Trainer kommunizieren miteinander, man redet über Stärken und Schwächen der Athleten.»
Heinzer wurde von Karl Frehsner trainiert, den man wegen seiner harten Hand den eisernen Karl nannte. Unter dessen Fuchtel sei es nicht immer einfach gewesen, sagt Heinzer. Frehsner verlangte zusätzliche Trainingsläufe, setzte kurzfristig noch irgendwo ein Camp an. «Aber auf dem bequemen Weg kommst du nicht zum Erfolg.»
Der Österreicher sei aber auch ein ausgezeichneter Coach gewesen. Als Heinzer mit 18 Jahren erstmals nach Kitzbühel kam, fuhr er im Training in den dritten Rang. Vor dem Rennen sagte Frehsner zu ihm: «Heinzer, du fährst heute ein vernünftiges Rennen, ich will dich im Ziel sehen.» Er hatte gespürt: Wenn der Bursche noch mehr Gas gibt, fliegt er ab.
Ganz ähnlich musste Heinzer später von Allmen coachen. «Das ist ein Typ, den du nicht zu sehr pushen musst, weil er das selbst schon macht.» Wer so viel Potenzial habe wie der 23-Jährige, müsse bloss das umsetzen, was er könne. «Dann geht es Schritt für Schritt vorwärts.» Die Fahrer müssten zwar ihre Grenzen kennenlernen, aber möglichst nicht verunfallen. Das ist ein schmaler Grat.
Solche Dinge hat Heinzer von Frehsner gelernt, und Frehsner war es auch, der ihn schliesslich zum Trainer machte. Er bot ihm 2002 einen Job als Assistenztrainer an, sagte aber auch: «Wenn du das willst, musst du wie jeder andere die Skilehrerausbildung absolvieren und die Trainerlizenz erwerben.» Der Österreicher sei als Vorgesetzter genauso fordernd gewesen wie früher als Trainer. «Ein entspanntes Verhältnis haben wir erst, seit er nicht mehr mein Chef ist.»
Das Schweizer Talentbecken ist riesig
Heinzer kennt dank zehn Jahren als Weltcup-Fahrer und nach mehr als zwanzig Jahren als Trainer die Abfahrt wie nur wenige. Was hat sich verändert? Er erlebte, wie die Ski tailliert und kürzer wurden, beim Material sieht er die grössten Fortschritte bei der Torsions-Steifigkeit der Ski, den Platten unter der Bindung und den härteren Materialien, die beim Bau von Skischuhen verwendet werden. All das mache das Material extrem aggressiv. Und die Sportler seien Kraftbolzen, die dieses Material kompromisslos nutzten.
Zu seiner Zeit sei man auf den ruppigen Pisten immer leicht gerutscht, was Energie vernichtet habe. Heute werden Kurven auf der Kante durchgezogen. Die Fahrer werden dadurch kaum langsamer, und die Kräfte, die entstehen, können kaum noch aufgefangen werden. Heinzer schlägt deshalb vor, dass man mehr Wellen in die Pisten baut, damit die Fahrer immer wieder die ideale Position verlassen. Das sei die einzige Möglichkeit, sie zu verlangsamen.
Schon heute werden viele Kurven in die Abfahrten gesetzt, was sie technisch sehr anspruchsvoll macht. Heinzer trainiert deshalb mit den jungen Athleten viel Riesenslalom. An 44 Tagen waren sie letzten Sommer und Herbst auf Schnee, 20 Tage waren dem Riesenslalom gewidmet, der Rest teilte sich auf Super-G und Abfahrt auf. «Der Riesenslalom zwingt dich dazu, technisch gut Ski zu fahren», sagt Heinzer. Wenn seine Athleten zwei Wochen lang nur auf langen Ski unterwegs seien, hätten sie danach fast sicher ein technisches Manko.
Für die Technik gibt es bei Swiss Ski ein Leitbild, das von den Teenagern bis hinauf in den Weltcup gilt. Heinzer führt Speed-Camps mit U-18- und U-21-Athleten durch; er sieht früh, wer besondere Anlagen hat, technisch gut Ski fährt. Scouting und gezielte Förderung auf dem gesamten Athletenweg sind wohl ein Teil des Geheimnisses hinter den jüngsten Erfolgen von Swiss Ski.
Das Talentbecken ist riesig, wie die Tatsache zeigt, dass mehr als dreissig junge Speed-Fahrer vor dem Europacup in Crans-Montana zusammengezogen werden. Für die einzelnen Athleten bringt das einen ständigen Konkurrenzkampf mit sich. Der Ski-Weltverband vergibt im Weltcup pro Nation und Disziplin maximal acht Startplätze. Swiss Ski hat derzeit acht Athleten in den ersten dreissig der Startliste.
Will ein Fahrer aus dem Europacup aufsteigen, muss er sich am Ende des Winters in den Top 3 klassieren, was ihm für einen Winter einen Fixplatz im Weltcup garantiert. Auch da ist die Luft dünn: Hinter einem Österreicher, der wegen einer Verletzung keine weiteren Rennen bestreiten wird, belegen derzeit in der Abfahrtswertung des Europacups drei Schweizer die Ränge 2, 3 und 4. Heinzers Arbeit trägt auch in diesem Winter Früchte.
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