Der FC Zürich will heimisches Schaffen pflegen, der FC Lugano will mehr sein als ein Milliardärsspielzeug: Beim Spitzenspiel im Letzigrund treffen am Sonntag Gegensätze aufeinander.
Man kann auf unterschiedliche Arten einen Fussballklub besitzen. Und als Klubbesitzer kann man auf verschiedene Arten daran teilhaben, wenn die Angestellten auf dem Platz ihren Pflichten als Lohnempfänger nachgehen. Eine Art pflegt zum Beispiel Ancillo Canepa, mit seiner Frau Besitzer des FC Zürich. Eine andere Art pflegt Joe Mansueto, Besitzer des FC Lugano.
Mansueto wird aller Voraussicht nach am Sonntagmorgen um 7 Uhr in Chicago einen Streamingdienst aufschalten, in einer Tasse mit akkurat temperiertem Wasser eine Portion Grüntee ziehen lassen und sich darauf freuen, seinem FC Lugano die Daumen zu drücken. In 7200 Kilometern Entfernung dürfte Canepa im Zürcher Letzigrund um 14 Uhr Lokalzeit aufgeregt auf der Tribüne seine Pfeife stopfen und dem Kampf um die Tabellenführung entgegenfiebern.
Hier der leidenschaftliche Canepa, seit über 18 Jahren FCZ-Präsident mit Haut und Haar, präsent an vielen Fronten im Tagesgeschäft, tief verwurzelt im Klub und in seiner Geschichte. Und dort der distanzierte Mansueto, der sich neben der MLS-Franchise Chicago Fire FC seit 2021 auch den FC Lugano als «Boutique-Klub» gönnt und aus weiter Ferne mit freundlichem Wohlwollen seine Statthalter vor Ort begleitet, wie sie in Lugano ein neues, kühl kalkuliertes Projekt voranbringen.
Defizite begleichen – «aus Freude am Fussball»
So steht der FC Lugano für die Entwicklung in den letzten Jahren, dass ausländische Geldgeber in der Schweiz Klubs kaufen und in ein Netzwerk mehrerer Vereine eingliedern. Es geht um Synergien, Geldflüsse, Kooperationen und anderes. Neben dem FC Lugano gehören momentan Yverdon, Lausanne und die Grasshoppers ausländischen Besitzern, die mehr oder weniger anonym im Hintergrund die Fäden ziehen.
Es ist ein Modell, das die Fussballklubs den Menschen vor Ort entfremde, heisst es. In Lugano sind das nur wenige Menschen, in Zürich interessieren sich fünf Mal mehr für den FCZ, und in Basel kam es fast zum Volksaufstand, als ruchbar wurde, dass der FCB-Besitzer Bernhard Burgener mit Engländern über einen Verkauf verhandelte.
Für Canepa mit seinem FCZ ist nur schon der Gedanke an einen Verkauf ins Ausland des Teufels. «Ausgeschlossen» sei es, dass er den FCZ jemals dorthin verkaufe, wiederholt der 71-Jährige bei jeder Gelegenheit. Sollte es doch einmal zu einer Übergabe kommen, werde nur «eine Zürcher oder Schweizer Lösung infrage kommen». So hat es Canepa seinem Vorgänger Sven Hotz versprochen, so hat er es gegenüber den Fans in der Südkurve versichert.
Wenn also am Sonntag der FC Lugano im Letzigrund gegen den FCZ antritt, ist das auch ein Match von zwei Mannschaften mit je 17 Punkten an der Tabellenspitze, bei dem ein neues und ein altes Besitzmodell auf dem Prüfstand stehen – heimisches Schaffen gegen internationales Netzwerk-Business sozusagen. Aber es gibt auch Gegebenheiten, die für beide Klubs ähnlich sind. Zum Beispiel das finanzielle Defizit.
Fast 20 Millionen Franken ist der Betrag, der laut Liga-Geschäftsbericht für 2023 im FC Lugano unter «sonstige Erträge» firmiert. 3,7 Millionen sind es für den FCZ. «Sonstige Erträge» ist der Bilanzposten, über den unter anderem Zuwendungen von Geldgebern verbucht werden können. Canepa und seine Frau dürften also für einen erklecklichen Teil der 3,7 Millionen geradestehen. Mansueto zahlte 18 der 20 Millionen. Das ist in beiden Fällen viel Geld. Der Unterschied: Canepa möchte als ehemaliger Wirtschaftsprüfer seit seinen Anfängen im FCZ die Rechnung ausgeglichen halten. Mansueto interessiert diese Frage nicht, er will als Multimilliardär Gutes tun, das ihm Freude macht.
«Unser Ziel ist es auf längere Sicht, dass sich der von Mansueto beglichene Fehlbetrag von rund 18 Millionen Franken mit Transfers, Europacup-Einnahmen und ab 2026 mit dem neuen Stadion auf einen einstelligen Millionenbetrag reduziert», sagt Martin Blaser, CEO im FC Lugano. Für Blaser ist es mit der Erfahrung von dreissig Jahren im Schweizer Fussballgeschäft nicht realistisch, mit den Voraussetzungen eines Klubs von der Grösse des FC Lugano Geld zu verdienen. «Joe Mansueto weiss das genau», sagt Blaser. Was ist Mansuetos Motivation? Blaser sagt: «Freude am Fussball.»
Vielleicht würde das auch Canepa sagen. Vielleicht würde er sich aber auch daran erinnern, wie er vor einem Jahr bei der offiziellen Vorstellung des Sportchefs Milos Malenovic gesagt hat, wie er den FCZ professionalisieren und grössere Stabilität herbeiführen wolle mit dem Ziel, nicht mehr mit dem eigenen Portemonnaie Löcher stopfen zu müssen. Leider will Canepa momentan nicht reden. Genauso wenig wie Malenovic. Nicht einmal der Goalie und Captain Yanick Brecher steht für ein Interview darüber zur Verfügung, wie viel Freude der FCZ-Umbau bereitet.
«Freude?», fragt Ricardo Moniz zurück. Der FCZ-Trainer redet vor dem Spiel gegen Lugano im Heerenschürli über seine Mannschaft. «Nein, es gibt keine Freude vor dem Spiel gegen Lugano – nur Spannung.» Das Team habe beim 1:4 in St. Gallen nicht gezeigt, «Favorit und damit eine gute Mannschaft» sein zu können. Moniz erklärt Details im Spiel, spricht von Einstellung und Mentalität. Er sagt: «Wir haben sehr viel Risiko auf uns genommen, wir stehen in einem Schicksalsjahr.»
Im FCZ soll es zu- und hergehen wie bei Manchester United
Das klingt irgendwie ungemütlich und bedrohlich. Jedenfalls ganz anders als noch vor einem Jahr. Damals hatte der FCZ nach acht Runden nur einen Punkt weniger und stand ebenfalls oben in der Tabelle. Bo Henriksen hiess der Trainer, der immer von Freude, Leichtigkeit und von den beiden Füssen sprach, die auf dem Boden bleiben müssten. Und Henriksen hatte meistens auch eine Anekdote parat, die zeigte, dass man im Fussball erfolgreich sein kann, wenn es noch eine andere Welt gibt neben dem Rasenviereck.
Jetzt scheint es im FCZ nur noch um Trainingsplatz, Gym und Taktiktafel zu gehen. Vielleicht so, wie man es sich vorstellen mag in einem grossen ausländischen Milliarden-Klub wie Manchester United. Moniz erzählt auch am Freitag, wie es bei Ajax Amsterdam oder ManU zu- und hergegangen ist mit Spielern wie Jaap Stam oder John O’Shea. Das ist lange her.
Jetzt ist Moniz im FCZ. Er bedauert noch immer, dass er gegen Guimarães ein erstes Saisonziel deutlich verpasst hat, im Europacup dabei zu sein. Nein, der FCZ ist noch nicht so weit wie der FC Lugano, der am Donnerstag in der Conference League drei Punkte geholt hat. Kein Wunder, wenn man auf ganz unterschiedliche Arten einen Fussballklub besitzen und führen kann.