Wäre die Fusion der beiden Versicherungen überzeugend, müssten sich die Aktienkurse synchron bewegen – das Gegenteil ist der Fall. Ausserdem: Roche und Novartis senden Beschwichtigungssignale, Galderma liefert einen Vertrauensbeweis, bei Ypsomed bleibt alles in der Familie und Schindler trotz dem Marktumfeld.
Geschätzte Leserin, geschätzter Leser
Am Dienstag sorgten Baloise und Helvetia mit ihrer geplanten Fusion für Schlagzeilen. Die Verwaltungsräte beider Unternehmen unterstützen das Vorhaben – federführend ist offenbar Thomas von Planta, Präsident des Baloise-Verwaltungsrats. Auf den ersten Blick wirkt der Zusammenschluss für mich defensiv motiviert: Er scheint eine Reaktion auf den Druck von Cevian zu sein, dem aktivistischen Grossaktionär von Baloise. Der Deal könnte vor allem dazu dienen, dessen Forderungen auszuweichen.
Klar ist: Die grössten Auswirkungen wären in der Schweiz zu spüren. Synergien und Kosteneinsparungen ergeben sich dort, wo sich die Strukturen beider Häuser überschneiden – mit Konsequenzen vor allem für die Mitarbeitenden in der Schweiz. Für die Aktionäre von Baloise ist der Deal ebenfalls kritisch: Das Unternehmen erwirtschaftet rund 13% mehr Umsatz pro Mitarbeiter als Helvetia – ein Hinweis auf die deutlich höhere operative Effizienz. Helvetia wirkt im Vergleich fast ein wenig «fat & happy». Ob dieser Schritt für Baloise strategisch sinnvoll ist, bleibt für mich auch deshalb fraglich.
Die Hoffnung ruht nun auf Zurich-CEO Mario Greco, der zuletzt Interesse an Baloise signalisiert hatte. Noch ist Zeit für ein Gegenangebot – doch das Fenster schliesst sich. Unter Händlern kursiert bereits das Gerücht, dass eine Offerte bevorsteht. Der Markt reagiert entsprechend: Während die Baloise-Aktien am Donnerstag zwischenzeitlich mehr als 2% zulegten, verloren diejenigen von Helvetia über 2%. Wäre der Zusammenschluss überzeugend, müssten sich die Kurse synchron bewegen – das Gegenteil ist der Fall.
Die Zoll-Thematik hält die Börsen weiter auf Trab und dürfte wohl auch in der angelaufenen Berichtssaison jeweils das Top-Thema bei den Ergebnispräsentationen sein. Noch immer sind pharmazeutische Erzeugnisse von Auflagen für US-Importe ausgenommen – trotz wiederholter Ankündigungen von US-Präsident Donald Trump, auch in diesem Bereich protektionistische Massnahmen zu ergreifen.
Auffällig ist, dass europäische Pharmakonzerne – allen voran Roche und Novartis – derzeit in einer Art vorauseilendem Gehorsam vieles unternehmen, um der US-Regierung zu gefallen. Nach dem «Liberation Day» vom 2. April war in Pharmakreisen schnell zu hören, dass Europas grossen Pharmakonzerne bereit seien, Donald Trump entgegenzukommen und entsprechende Optionen zu prüfen. Vorletzte Woche stellte Novartis schliesslich Investitionen in Höhe von 23 Mrd. $ über die kommenden fünf Jahre in Aussicht, um die Präsenz auf dem amerikanischen Markt auszubauen. Am Dienstag folgte Roche mit der Ankündigung, 50 Mrd. $ in Standorte für die Forschung und Entwicklung, aber auch in den Neubau und die Erweiterung von Produktionsstandorten in den USA zu investieren.
Der jüngste Annäherungsversuch: In einem am Mittwoch in der Financial Times veröffentlichten offenen Brief forderten Novartis-CEO Vasant Narasimhan und Sanofi-CEO Paul Hudson höhere Medikamentenpreise in Europa. Die Europäische Union solle die Medikamentenpreise stärker an das hohe US-Niveau anpassen. Das klingt für mich fast schon nach einem Schmusekurs, den die Pharmabosse derzeit gegenüber den USA fahren.
Es ist kein Geheimnis, dass die niedrigen Medikamentenpreise in Europa der US-Regierung – nicht erst seit Donald Trump – ein Dorn im Auge sind. In der Tat lässt sich nicht abstreiten, dass Patientinnen und Patienten in den USA einen Grossteil der Gewinne und Investitionen europäischer Pharmakonzerne finanzieren. Der formulierte Wunsch von Narasimhan und Hudson an die EU-Kommission, Preis-Benchmarks nahe den US-Netto-Preisen zu definieren, dürfte daher in Washington gut ankommen – auch wenn mir die Erfolgsaussichten solcher Forderungen als gering erscheinen.
Auf die Frage, ob – und wenn ja, in welcher Höhe – die 50 Mrd. $ ohnehin bereits eingeplant waren, gab Roche-CEO Thomas Schinecker bei der Ergebnispräsentation am Donnerstag übrigens keine klare Antwort (die Quartalszahlen, die kaum Überraschungen boten, spielten dort kaum eine Rolle). Er betonte, das Investitionen in neue US-Produktionsanlagen aufgrund neuartiger Medikamente – wie etwa Amylin-Präparaten – ohnehin nötig gewesen seien. Zudem würden sich die Ausgaben für Forschung und Entwicklung dadurch nicht erhöhen.
Wie dem auch sei: Für die Aktien der Pharmakonzerne sind Investitionen in US-Produktionskapazitäten zweifellos positiv – sie machen die Unternehmen zunehmend immun gegen mögliche Zollwirren.
Das war knapp: Am Donnerstag lieferten sich die Aktien von Galderma und Belimo bis zum Schluss ein enges Rennen um den grössten Tagesgewinn im Swiss Performance Index. Am Ende setzten sich die Klimatechnikspezialisten von Belimo hauchdünn mit einem Plus von 12,5% durch – vor der Dermatologiespezialistin Galderma, deren Titel «nur» um 11,5% zulegten. Die Gründe für Belimos Kursexplosion können Sie bei meiner Kollegin Carla Palm nachlesen.
Bei Galderma hat der heutige Erfolg an der Börse in meinen Augen vor allem einen Namen: Nemluvio. Das therapeutische Dermatologiemittel hatte zuletzt sowohl in den USA als auch in Europa die Zulassung für die Behandlung von Prurigo nodularis, einer stark juckenden Hautkrankheit, und Neurodermitis erhalten. Das Management setzt hohe Erwartungen in das Mittel und prognostiziert mittelfristig einen Spitzenumsatz von mehr als 2 Mrd. $.
Die Crux: Für Galderma ist das Geschäft mit biopharmazeutischen Medikamenten Neuland. Zwar kann CEO Flemming Ørnskov auf einen überzeugenden Leistungsausweis in diesem Bereich verweisen – etwa bei Shire, heute Teil von Takeda Pharmaceuticals. Dennoch muss der Konzern nicht nur beweisen, dass er über lukrative und differenzierende Produkte verfügt, sondern auch, dass er sie erfolgreich vermarkten kann
Diesbezüglich ist Galderma am Donnerstag mit dem Umsatzzahlen für das erste Quartal ein grosser Vertrauensbeweis gelungen. So belief sich der Umsatz mit dem neuen Medikament Nemluvio in den ersten drei Monaten bereits auf 39 Mio. Fr., was die Erwartungen der Analysten um Längen schlug. UBS etwa rechnete lediglich mit halb so viel. Zwar macht das Mittel bislang nur einen kleinen Teil des Gesamtumsatzes aus, der im ersten Quartal bei etwas über 1 Mrd. Fr. lag (und damit ebenfalls über den Erwartungen der Analysten), doch es nährt die Hoffnung, dass Galderma in der Lage ist, neue Medikamente erfolgreich im Markt zu etablieren.
Die Verkaufszahlen von Nemluvio waren so gut, dass UBS-Analysten die Frage aufwarfen, ob das starke Ergebnis möglicherweise durch sogenanntes Channel Filling in Deutschland beeinflusst worden sein könnte. Dabei werden Produkte nicht direkt an Endkunden verkauft, sondern zunächst in die Vertriebskanäle eingeschleust. Das lässt die Verkaufszahlen zum Marktstart oft besonders stark erscheinen – kann aber auch schlicht dazu dienen, neue Märkte schnell zu versorgen.
Im Gespräch versicherte mir CEO Ørnskov, dass dies nicht der Fall sei. Im Gegenteil: Man gehe sehr sorgfältig vor, allein schon weil das Medikament ein gewisses Mass an Training erfordere. Nemluvio wird als vorgefüllter Zwei-Kammer-Pen geliefert. Für eine korrekte Verabreichung sind mehrere Punkte entscheidend – etwa das richtige Mischen des Medikaments sowie die Auswahl geeigneter Injektionsstellen. Ørnskov betont, dass die Nachfrage nach dem Medikament gross sei. Zudem sei sie Resonanz von Ärzten und Patienten sehr positiv.
Für mich sind die Aktien nach dem irrationalen Höhenflug, der den Kurs Anfang Februar bis auf 120 Fr. getrieben hatte, zu Beginn der Zollwirren wieder interessant geworden. Ich bleibe dabei: Der einzige Pure Player im wachsenden Dermatologiegeschäft ist in lukrativen Märkten wie der Hautpflege oder der therapeutischen Behandlung von Hautkrankheiten bestens positioniert. Langfristig dürften Anlegerinnen und Anleger noch viel Freude an den Titeln haben.
Am Dienstag wurde bekannt, dass Ypsomed, das Medtech-Unternehmen aus Burgdorf, sein Segment Diabetes Care mit der Insulinpumpe YpsoPump an die ebenfalls in Burgdorf ansässige TecMed AG verkauft. Der Verkaufspreis beläuft sich auf etwa 420 Mio. Fr. Die Transaktion soll in der zweiten Jahreshälfte 2025 abgeschlossen werden. Der Verkaufsprozess läuft bereits seit November. Unter den rund zwanzig Interessenten machte am Ende TecMed das Rennen.
Dessen Gründer, Willy Michel, ist der Vater von Ypsomed-CEO Simon Michel. Michel Senior brachte Ypsomed 2004 an die Börse und sass bis 2022 noch im Verwaltungsrat. Zudem hält er rund 72% der Aktien. Zuvor hatte er die Insulin-Patch-Pumpe YpsoPod von Ypsomed erworben. Wegen der familiären Verflechtungen kommt der ganze Deal zwar ein wenig schräg daher, doch alle Beteiligten versichern, stets die Regeln der Best-Practice eingehalten zu haben.
Mit dem Verkauf verfolgt Ypsomed eine ähnliche Fokussierungsstrategie wie die Industriekonzerne Georg Fischer (geplanter Verkauf der Einheiten Casting Solutions und Machining) und ABB (geplanter Verkauf des Robotics-Geschäfts). Die jeweils angestrebte Besinnung auf das Kerngeschäft kann für die Aktionäre sehr attraktiv werden. Bei Ypsomed hatten die Insulinpumpen die Margen und den Gewinn stets belastet und der vorgesehene Einstieg in den US-Markt wäre wohl teuer geworden – angesichts der Handelszölle erst recht.
Ypsomed kann sich nun auf ihr Geschäft mit Injektionspens und Autoinjektoren konzentrieren, wo die Analysten starkes Wachstum erwarten. «Ypsomed wird sich nun zu einem sehr fokussierten Nischenanbieter von Verabreichungssystemen entwickeln, die dank der Mittel zur Gewichtsabnahme ein hohes Wachstumspotenzial aufweisen», schreibt etwa Sibylle Bischofberger von Vontobel.
Die (noch) kleine TecMed ist ebenfalls auf Expansionskurs. In Burgdorf sind rund 300 Mitarbeitende im Bereich Insulin-Patch-Pumpen tätig. Zudem entsteht in Schwerin, Deutschland, ein weiterer Standort. Dort sollen bald bis zu 160 Mitarbeiter tätig sein. Das Ziel ist, auf zwei Anlagen im Serienbetrieb mehrere Millionen Insulin-Reservoirs für die Patchpumpen zu produzieren. Somit könnte mit TecMed bald eine zweite Ypsomed entstehen. Das Insulinpumpengeschäft war und ist eine Herzensangelegenheit des bald 78-jährigen Willy Michel, wie ich mich gut erinnere. Auch ein IPO ist meiner Meinung nach nicht ausgeschlossen.
Der Lift- und Rolltreppenhersteller Schindler hat sich während der April-Turbulenzen an den Aktienmärkten bemerkenswert stabil gezeigt: Die Aktien liegen trotz der volatilen Phase noch immer gut 10% über dem Jahresanfangsniveau – eine beachtliche Entwicklung für ein global tätiges Industrieunternehmen.
Ein wesentlicher Grund für diese Resilienz liegt in der ausserordentlich soliden Bilanzstruktur: Das Verhältnis von Nettoverschuldung zu Ebitda liegt bei –2, Schindler weist also eine Nettocash-Position aus. Ein Teil davon besteht aus erhaltenen Anzahlungen, was es bei der Interpretation zu berücksichtigen gilt.
«Bei Schindler – wie auch bei vielen anderen Familienunternehmen – gilt der Grundsatz, dass eine starke Bilanz mit hoher Liquidität auch in schwierigen Zeiten unternehmerische Freiheit sichert und Spielraum für opportunistische Akquisitionen schafft», erklärt Martin Hüsler, Analyst bei der Zürcher Kantonalbank.
Börsenkotierte Unternehmen ohne Ankeraktionäre geraten in solchen Phasen häufig unter Druck, da Aktivisten gezielt Schwächen in der Kapitalstruktur für fremdfinanzierte Übernahmen (Leveraged Buyouts) ausnutzen. Dabei wird ein Unternehmen mehrheitlich mit Fremdkapital übernommen – häufig dienen dessen eigene zukünftige Cashflows als Sicherheit für die Schulden. Schindler ist als Familienunternehmen hiervon weitgehend abgeschirmt, ein klarer Vorteil.
Zudem verfolgt Schindler seit Jahren ein «Asset Light»-Modell und entwickelt sich zunehmend zu einem serviceorientierten Anbieter mit stabilen, hohen Free Cashflows – was sich auch in der Nettocash-Position widerspiegelt. Der Markt für Aufzugs- und Rolltreppenwartung ist in seiner Struktur durchaus besonders: Gesetzliche Vorschriften zu Wartung und Betriebssicherheit sorgen für wiederkehrende Erlöse – niemand möchte schliesslich im Aufzug stecken bleiben. Hinzu kommen die lange Lebensdauer und hohe technische Komplexität der Anlagen.
Entscheidender Wettbewerbsvorteil aber ist das engmaschige Servicenetz – ein Burggraben, der es Neueinsteigern nahezu unmöglich macht, effizient Fuss zu fassen. «Je dichter das Servicenetz, desto besser kann man das Team auslasten – und desto höher ist die Eintrittsbarriere für neue Anbieter», erklärt Patrik Jäger, Fondsmanager bei IFS Independent Financial Services.
Was mir ebenfalls gut gefällt: Schindler verfolgt eine konsequente Digitalisierungsstrategie. Ein wachsender Anteil der installierten Basis ist vernetzt – was einerseits den Zugang für Drittanbieter erschwert und andererseits höhere Margen im Servicegeschäft ermöglicht, etwa durch vorausschauende Wartung («predictive maintenance»). Das Motto lautet: «The more it’s connected, the more it’s protected».
Die Strategie zahlt sich aus. Rückblickend auf die letzten 20 Jahre (Stichtag 31. Dezember 2024) zeigt sich ein eindrucksvolles Bild: Der Umsatz wuchs im Schnitt um 3% pro Jahr, das Nettoergebnis um 5% jährlich – und der Aktienkurs legte im selben Zeitraum durchschnittlich 11% pro Jahr zu. Für mich ist Schindler ein klarer krisenresistenter Compounder.
Freundlich grüssen im Namen von Mr Market
Manuel Boeck, Carla Palm und Henning Hölder