Die höchste Schweizer Eishockeyliga ist attraktiver denn je. Doch die Prosperität der National League überdeckt die weitreichenden Probleme der Branche.
In den kommenden Tagen wird ein neuer Schweizer Meister gekürt: Zürich und Lausanne duellieren sich in einem hochstehenden Play-off-Final, der Publikumszuspruch ist so gross, dass die Schwarzmarktpreise für die Eintrittstickets in die Höhe geschossen sind. Es sind Begleiterscheinungen einer Liga, die boomt. Und allein in der Qualifikationsphase wurden zu stattlichen Preisen 2,6 Millionen Eintritte verkauft. Ausgeglichenheit, in der National League (NL) jahrzehntelang eine einigermassen dreiste Propagandalüge, ist gewährleistet: Der ZSC oder Lausanne werden der dritte Champion der letzten drei Jahre sein. Der Vorjahressieger Genf/Servette schaffte es nicht einmal ins Play-off.
Doch hinter der glitzernden Fassade liegt so vieles im Argen, dass es seit längerem brodelt. Die National League umfasst seit 2021 14 Teams, so viele wie nie zuvor, sie wurde während der Pandemie aufgestockt. Das hatte eine Erhöhung der Anzahl an spielberechtigten Ausländern zur Folge, von vier auf sechs, weil es unter den knapp 29 500 Lizenzierten nicht genügend Spieler gibt, um 14 Equipen à 25 Akteure auf dem höchsten Niveau zu bestücken.
Schweizer Qualität ist so rar, dass die Saläre explodiert sind. Nationalspieler können um die 800 000 Franken verlangen, es sind horrende Summen, die sich nur in den seltensten Fällen refinanzieren lassen: Bei drei Vierteln der NL-Klubs muss ein strukturelles Defizit durch Mäzenatentum gedeckt werden. Selbst ein Meistertitel ist finanziell wenig interessant. Und es ist im Hockey kaum möglich, Transfererlöse zu erwirtschaften. Einzig ein Abgang in die NHL wird mit 250 000 Dollar entschädigt.
Der Play-off-Finalist Lausanne verlor in den Pandemiejahren mehr als zwölf Millionen Franken. Pro Saison. Ein ranghoher Funktionär formuliert es absichtlich überspitzt so: «Die Spielerlöhne sind das grösste Problem. Wer einigermassen rückwärts fahren kann, verdient 200 000 Franken. Es ist absurd.»
Zunehmend frustrierte Swiss-League-Teams
Eine andere Konsequenz der NL-Erweiterung ist die Aushöhlung der Swiss League (SL). Die zweite Liga umfasst nur noch zehn Teams, zuletzt zogen sich Martigny und Langenthal mangels Perspektiven ins Amateurhockey zurück. Die Situation ist so prekär, dass in der Stimme von Sébastien Pico ein Mix aus Konsternation und Entschlossenheit liegt. Der Geschäftsführer des EHC Visp sagt: «Die Grösse der Ligen muss auf je zwölf Teams angepasst werden. Und es braucht eine Durchlässigkeit, die diesen Namen auch verdient. Die Probleme sind allen bekannt. Aber sie sind den Vertretern der National League schlicht egal.»
Das Auf-/Abstiegsmodell im Schweizer Eishockey ist seit Jahrzehnten umstritten. Das Nadelöhr ist winzig und besteht aus einer «Liga-Qualifikation», die mit vier Ausländern gespielt wird. Auf dem Papier ist das ein Kompromiss zwischen der Anzahl an spielberechtigten Ausländern der beiden Ligen: Sechs sind es in der NL, zwei in der SL.
Aber bei Lichte besehen ist es eine Mogelpackung, weil die SL-Teams so gezwungen werden, beim Transferschluss von Mitte Februar zwei ausländische Spieler zu verpflichten, die sie dann knapp zwei Monate lang praktisch nie einsetzen können. Kaum jemand in der SL hat dafür die Mittel, das höchste Budget liegt bei knapp sechs Millionen Franken. Und politische Opposition ist sinnlos – die NL hat bei Abstimmungen in Abstiegsfragen 14 Stimmen à 3 Punkten. Die SL deren 10 à 2.
Was nicht nur Pico aufstösst, ist der Umstand, dass selbst glühendste Reformbefürworter ihren Standpunkt um 180 Grad veränderten, sobald sie die oberste Liga erreichten. So war das bei allen Aufsteigern der letzten Jahre: bei den SCL Tigers, bei Rapperswil-Jona, bei Kloten, beim HC Ajoie und dem EHC Biel.
Letztgenannter schaffte es 2008, hatte sich jedoch 2007 eingehend bei der Wettbewerbskommission (Weko) über die Zustände beschwert und war bis vor ein Schiedsgericht gezogen. Heute sagt der Manager Daniel Villard: «Ja, die Verhältnisse sind nicht optimal. Aber uns hat damals auch keiner geholfen, wir hatten bis zu 13 Ausländer unter Vertrag, um den Aufstieg zu schaffen. Die Swiss League muss erst einmal ihren eigenen Laden in den Griff bekommen, da sind viele Fehler geschehen.»
Villard spielt nicht zuletzt darauf an, dass sich die SL 2020 von der NL abspaltete, es war ein fataler Fehlentscheid. Die SL-Klubs erhielten 2023/24 30 000 Franken TV-Geld. Und aus der Zentralvermarktung bloss 5000 Franken vom Sportwettenmonopolisten Sporttip. Es ist ein lächerlicher Betrag, von ihm lässt sich nicht einmal das Materialgeld für einen einzigen Spieler decken. Die Namensrechte an der Liga blieben ebenso unverkauft wie das Topskorer-Paket. Die Konsequenz sind Fälle wie der EHC Winterthur, der mit einem Etat von weniger als 3 Millionen Franken gerade einen Verlust von 750 000 Franken auswies.
Seit einiger Zeit ist es Swiss Ice Hockey (SIHF), die Dachorganisation des Schweizer Eishockeys, die für die Zentralvermarktung zuständig ist. Verbessert hat sich die Situation nicht; der Verband hat auch andere Sorgen. Noch immer hat er keinen Nachfolger für die 2021 ausgestiegene Zurich-Versicherung gefunden, die mehr als 2 Millionen Franken einschoss, um sich Hauptpartner nennen zu dürfen. Der SIHF-Präsident Stefan Schärer sagt, er hoffe, bis zum Jahresende einen neuen Sponsor präsentieren zu können.
Der ehemalige Spitzenhandballer Schärer, 59, steht Swiss Ice Hockey seit September vor und lässt seither Umtriebigkeit erkennen. Er hat Arbeitsgruppen eingesetzt, die bis zur Generalversammlung vom 9. September Verbesserungen erarbeiten sollen, es geht um Liga-Modelle und den Athletenweg.
Denn auch in der Ausbildung sind die Dinge ins Stocken geraten, es sind etwa keine Talente in Sicht, welche in die Fussstapfen der NHL-Stars Roman Josi und Nico Hischier treten könnten. Das Kontingent an Schweizer NHL-Profis ist auf zehn Spieler geschrumpft, und Besserung ist nicht in Sicht. Seit Hischier 2017 im Draft an erster Stelle gezogen wurde, hat die Schweiz nur noch einen Erstrundendraft produziert: den Verteidiger Lian Bichsel vor zwei Jahren.
Die Herausforderungen sind vielschichtig. Schärer sagt, das Ziel sei es, eine gemeinsame Vision zu entwickeln, die für alle Beteiligten greife. Was angesichts der diversen Eigeninteressen der verschiedenen Klubs und Ligen bisher nie funktioniert hat.
Funktionäre gewichten die eigene Jobsicherheit höher
Es ist paradox: Die Einsicht, dass das aktuelle Modell nicht funktioniert, ist vorhanden, und doch geschieht nichts. Gaudenz Domenig, der erfahrene Präsident des Rekordmeisters HC Davos, sagt: «Die National League ist zu gross. Und wir haben nicht genug Spieler, um daneben auch noch die Swiss League und die drittklassige MyHockey-League zu bestücken. Es war ein riesiger Fehler, die NL auf 14 Teams zu erhöhen.» Und er stellt in Aussicht, dass der HCD einer Lösung zustimmen würde, bei der absteigt, wer zwei oder drei Jahre in Folge Tabellenletzter geworden ist. «Vielleicht müsste man einfach wieder mal abstimmen und schauen, was geschieht», sagt Domenig.
Nur: Schon für diesen moderaten Kompromiss wird sich kaum eine Mehrheit finden lassen. Marc Lüthi ist der starke Mann im SC Bern, als politisches Schwergewicht ist sein Wort in der Branche von Bedeutung. Er sagt: «In einer perfekten Welt hätten wir 10 NL- und 10 SL-Teams und es gäbe einen direkten Absteiger. Aber das ist Utopie. Eine Reduktion der NL wäre momentan unverantwortlich. Denn heute ist ein Abstieg dein Todesurteil. Du kannst in der aktuellen SL nicht überleben. Bei uns würde eine Relegation 120 Arbeitsplätze kosten.»
So ist das manchmal im Sport, er lebt von Dramen. Wer gut arbeitet, kann Meister werden, und wer versagt, muss damit rechnen, dass er absteigt. Eigentlich sind das im Mannschaftssport fast universell gültige, nicht verhandelbare Grundsätze. Es lässt tief blicken, dass so viele Funktionäre die eigene Jobsicherheit höher gewichten.
Im Sommer 2022 hat sich ein SL-Klub neuerlich an die Weko gewandt, die in einem ersten Austausch erwiderte, dass das derzeitige Modell durchaus «kartellrechtliche Berührungspunkte» haben könnte. Der Verein wurde mit diplomatischem Geschick darum gebeten, die Angelegenheit vorerst ruhen zu lassen. Inzwischen aber ist das Frustrationslevel so hoch, dass die dortigen Macher sich vorbehalten, einen erneuten Vorstoss zu wagen. Das Schweizer Eishockey steht vor explosiven Monaten.