Bund und Kantone schieben sich beim Brandschutz in Ställen gegenseitig die Verantwortung zu. Nun geht der Schweizer Tierschutz unter seinem neuen Präsidenten Peter V. Kunz in die Offensive.
Es ist ein Albtraum für jeden Tierhalter: Der Stall steht in Flammen, die Tiere drohen zu verbrennen. Viel zu oft wird dieser Albtraum Wirklichkeit. Bei Stallbränden sterben in der Schweiz jedes Jahr nach Angaben des Schweizer Tierschutzes (STS) mehrere hundert bis tausend Tiere einen qualvollen Tod.
So in der Nacht auf Donnerstag, als in Niederhelfenschwil (SG) 300 Hühner verendeten. Im Mai 2024 erstickten in Gossau (SG) rund 800 Schweine bei einem Stallbrand. Im Dezember 2023 verendeten in Bottens (VD) 500 Rinder und Kälber. Besonders häufig kommen Schweine und Hühner in den Flammen um, da sie in ihrer Panik den Stall nicht verlassen, sondern sich zusammendrängen oder beim Fluchtversuch in die Flammen rennen. Rinder können leichter aus dem Stall getrieben werden, solange die Rauchentwicklung noch nicht zu stark ist.
Sparen beim Brandschutz
Die Tierschutzorganisation führt die hohe Zahl an verendeten Tieren darauf zurück, dass immer mehr Tiere in immer grösseren Ställen gehalten werden. Ursache der Tragödien seien oft technische Mängel oder menschliches Versagen, da die Produzenten zunehmend unter wirtschaftlichem Druck stünden. Auch beim Brandschutz werde gespart, weil entsprechende Vorschriften weitgehend fehlen.
Gegenwärtig würde sich die Chance bieten, diese Situation zu ändern. Die Vereinigung Kantonaler Feuerversicherungen arbeitet nämlich an der Revision der schweizerischen Brandschutzvorschriften. Die neuen Regelungen sollen 2026 in Kraft treten. Doch der Tierschutz bleibt bei dieser Neuregulierung ganz bewusst ausgeklammert. «Ich kann nicht verstehen, warum der Bundesrat hier nicht die Führung übernimmt», sagt die Bündner FDP-Nationalrätin Anna Giacometti. «Zumal die Kantone sich wünschen, dass der Bund künftig die Brandschutzvorschriften für Ställe erlässt.»
Sie hat daher ein Postulat eingereicht, in dem sie den Bundesrat zum Handeln auffordert. In seiner Antwort erklärt der Bundesrat, er begrüsse «adäquate, tierspezifische Brandschutzvorschriften». Die Bundesverfassung sehe jedoch keine Bundeskompetenz zum Erlass von Brandschutzvorschriften vor. Dies falle in den Bereich der Kantone. Er empfiehlt den Vorstoss daher zur Ablehnung.
Giacometti, die Co-Präsidentin der parlamentarischen Gruppe Tierschutz ist, reagiert enttäuscht. «Der Bundesrat nimmt damit in Kauf, dass weiterhin Hunderte von Tieren bei lebendigem Leib verbrennen. Das tut mir im Herzen weh.» Sie fordert, dass vorbeugende Brandschutzmassnahmen wie die Installation von Brandmeldern und Sprinklern obligatorisch werden. Ausserdem müssten Fluchtwege für die Tiere geschaffen werden.
Die Verantwortung für den Brandschutz in Ställen wird also seit einiger Zeit zwischen dem Bund und den Kantonen hin- und hergeschoben. Dies hat zur Folge, dass die Vorschriften in der Praxis sehr unterschiedlich sind. Einzelne Kantone wie der Kanton Bern haben strenge Brandschutzvorschriften erlassen. So schreibt das entsprechende Gesetz vor, dass Bauten, Anlagen und Einrichtungen so erstellt, betrieben und unterhalten werden müssen, dass Brandschäden möglichst vermieden werden, um die Sicherheit von Mensch und Tier von vornherein zu gewährleisten. Viele Kantone kennen hingegen keine Brandschutzvorschriften für Ställe.
Der Schweizer Tierschutz erhöht jetzt den Druck auf den Bundesrat. Nach dem jüngsten Stallbrand in Niederhelfenschwil hat er am Donnerstag eine Online-Petition lanciert. Darin fordert der STS den Bundesrat auf, die Tierschutzverordnung mit spezifischen Brandschutzmassnahmen zu ergänzen. Konkrete Massnahmen sollen bei der Planung von Landwirtschaftsbetrieben und bei behördlichen Kontrollen ergriffen werden. In Ställen sollen künftig Warngeräte wie Rauchmelder eingesetzt werden.
Kunz gegen den Bundesrat
Die Offensive der Tierschutzorganisation trägt die Handschrift ihres neuen Präsidenten Peter V. Kunz. Der bekannte Wirtschaftsjurist war am 15. März zum obersten Tierschützer der Schweiz gewählt worden. Grundsätzlich sei der Bund gemäss Verfassung für den Tierschutz zuständig, insbesondere auch für die Tierhaltung, lässt sich Kunz in einer Medienmitteilung des STS zitieren.
«Auch die Ställe von Nutztieren fallen mit dem Landwirtschaftsrecht in die Kompetenz des Bundes», sagt der Professor der Universität Bern. Der Bundesrat mache zahlreiche Vorschriften zu den Ställen, etwa bezüglich Grösse, Beleuchtung und Belüftung. «Der Bundesrat macht aber keine ausdrücklichen Vorschriften, was den Brandschutz betrifft. Das finde ich falsch.»
Man darf gespannt sein, ob seine Kritik und die Online-Petition beim Bundesrat zu einem Umdenken führen. In einem Interview mit der NZZ sagte Peter V. Kunz kürzlich: «Ich sage dem Bundesrat, was er machen soll. Aber wenn er dumm genug ist, es nicht zu machen – selber schuld.»