Europas Staaten müssen sparen. Sonst verletzen sie die Vorgaben der EU und machen die Finanzmärkte nervös. Aber die Budgetfrage führt in vielen Ländern zu harten politischen Konflikten.
Finanzierbar sei alles, hat der österreichische SPÖ-Chef Andreas Babler vor eineinhalb Jahren gesagt, als sein Vorschlag der 32-Stunden-Woche zu gleichem Lohn von den Arbeitgebern als naiv kritisiert worden war.
Heute wissen es in Österreich alle: Geld für Utopien ist keines mehr vorhanden, stattdessen sind Einschnitte bei Liebgewonnenem nötig. Aber das schürt politische Konflikte. Die Koalitionsgespräche der SPÖ mit der konservativen ÖVP und den liberalen Neos sind vor zehn Tagen genau an der Frage gescheitert, wo gespart werden soll und ob Steuererhöhungen angebracht sind.
Die EU führt gegen acht Länder ein Defizitverfahren
Der österreichische Staat ächzt unter einem hohen Defizit. In den kommenden Jahren muss er Milliarden sparen, um das Maastricht-Kriterium, wonach ein EU-Land das Defizit unter 3 Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP) halten muss, wieder zu erfüllen.
Nun versuchen die ÖVP und die rechte FPÖ, eine Koalition zu bilden. Am Montag haben sie die Grundzüge eines Sparprogramms von 6,3 Milliarden Euro bekanntgegeben. Es soll umgesetzt werden, wenn die beiden Parteien es schaffen, sich zu einer Regierung zusammenzuraufen.
Österreich riskiert sonst, es mit Brüssel zu tun zu bekommen. Die EU könnte noch in diesem Monat gegen das Land ein Defizitverfahren einleiten, dessen Ziel darin besteht, den Sünder wieder auf den Pfad der Tugend zu führen.
Österreich wäre allerdings nur ein weiteres Land, das die EU finanziell überwacht. Acht weitere Staaten teilen bereits dieses Schicksal, unter ihnen Frankreich.
«Die Länder sind mit der Finanzkrise von 2008 in die Schuldenspirale geraten», sagt Fritz Mostböck, der Chefökonom der österreichischen Bank Erste Group. Zuerst hätten die Staaten in jenem Jahr das taumelnde Finanzsystem stützen müssen, dann habe es 2020 die öffentlichen Hilfen gegen die Pandemie gegeben und 2022 die Massnahmen, um die Folgen der Inflation zu dämpfen, die auch durch den Ukraine-Krieg verursacht worden seien.
Nicht wenige Ökonomen meinen, dass diese Massnahmen bei der Bevölkerung eine Anspruchshaltung geschaffen hätten: Die Regierung hilft, wenn die Gesellschaft von einer Krise heimgesucht werde. «Es wird schwierig werden, den Trend zu höheren Staatsschulden zu drehen», sagt Mostböck.
Woher das Geld für die Verteidigung nehmen?
Die finanzielle Lage vieler europäischer Staaten ist ungemütlich geworden. «Hohe Konsumansprüche treffen auf einen hohen Investitionsbedarf», sagt Henning Vöpel, der Direktor des Centrums für Europäische Politik (CEP) in Freiburg im Breisgau.
Die Staaten geben viel Geld für die Altersvorsorge aus, und diese Summen werden infolge der alternden Bevölkerung noch steigen. Gleichzeitig sind auf die Länder neue Verpflichtungen zugekommen. Kostspielig ist die ökologische Transformation der Energieversorgung und des Verkehrs. Private Investoren üben hier eine grosse Zurückhaltung, die öffentliche Hand muss als Finanzierer einspringen.
Eine weitere Herausforderung stellt die Verteidigung dar. Erstaunlicherweise sind sich in vielen Ländern bürgerliche und linke Politiker einig, dass die Länder wieder mehr fürs Militär ausgeben sollten.
Niemand weiss aber, woher das Geld dafür kommen soll. Es geht um riesige Beträge. Mit Ach und Krach haben es viele europäische Länder geschafft, die Verteidigungsausgaben auf 2 Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP) zu stemmen. Darauf hatten sie sich im Rahmen der Nato geeinigt.
Gerade hoch verschuldete Länder wie Belgien und Italien haben dieses Ziel jedoch noch nicht erreicht. Trotzdem gibt es politische Forderungen, die Militärausgaben weiter zu erhöhen, etwa auf 3 Prozent und darüber. Der künftige Präsident Donald Trump hat sogar die Zahl von 5 Prozent in die Runde geworfen. Selbst kleine Länder müssten in diesem Fall viele Milliarden mühsam zusammenkratzen.
Problematisch ist dabei, dass Militärausgaben weder langfristig das Wirtschaftswachstum anregen noch eine Rendite abwerfen. Fördert eine Regierung dagegen Hochschulen, hebt das die Wirtschaft im Idealfall auf ein höheres Niveau. Militärausgaben ähneln hingegen einer Versicherungsprämie.
Verteilkampf um die Renten
Aber wenn es den Ländern mit der Verteidigung und der ökologischen Transformation ernst ist, müssen sie ihre Staatsbudgets komplett neu ausrichten.
Das führt jedoch zu Verteilkämpfen und politischen Krisen in ganz Europa. In Deutschland und Frankreich sind die Regierungen innerhalb von vier Wochen an der Budgetfrage zerbrochen.
In Belgien versucht der Politiker Bart de Wever seit Monaten, eine Regierung aus flämischen Nationalisten, Sozialdemokraten, Christlichdemokraten und Liberalen zu bilden. Die Verhandlungen ziehen sich in die Länge, weil die Parteien bei der Budgetfrage noch keinen Kompromiss gefunden haben.
Belgien muss die Finanzen sanieren. De Wever und die Liberalen möchten dies vor allem durch Sparen erreichen, während die Sozialdemokraten höhere Steuern bevorzugen.
Die Verhandlungspartner stehen dabei unter der Beobachtung der Gewerkschaften. De Wevers Absicht, den Hebel beim Pensionssystem anzusetzen, hat diese Woche erneut zu Streiks geführt. Aus der Sicht der Gewerkschaften waren sie ein Warnschuss in Richtung Regierung.
Weniger ausgeben oder höhere Steuern? Vor dieser entscheidenden Frage steht auch Frankreichs Regierung. Es besteht der Plan, das Defizit mit beiden Massnahmen zu reduzieren. Vorerst hat die Regierung aber bloss entschieden, das Minus etwas weniger rasch zu mindern als geplant. Man wolle so das Wirtschaftswachstum schützen, sagte Eric Lombard, der Finanzminister des Landes. Derweil drängt die Linke darauf, die von Präsident Emmanuel Macron durchgedrückte Pensionsreform zurückzunehmen.
Die EU hat eine offene Flanke
Wenn die Länder jedoch nicht sparen, stellt sich die Frage, wie lange die Investoren noch Anleihen zu verhältnismässig niedrigen Zinsen zeichnen. Höhere Kosten für die Schuldenaufnahme schweben als ständige Gefahr über den Ländern. «Ein Aufflammen der Euro-Krise kann mit Blick auf Frankreich, aber auch viele andere Euro-Länder für die kommenden Monate nicht ausgeschlossen werden», sagt Henning Vöpel vom CEP. Das ist auch die Befürchtung in Österreich. Kickl will dieses Risiko mit dem angekündigten Sparprogramm abwenden.
Europa hat insofern Glück, als auch grosse Staaten bei den Finanzen keine Vorbilder sind. So weisen Japan und die USA ebenfalls hohe Schulden und Defizite auf.
Im Vergleich mit Europa haben sie aber den Vorteil, dass es sich bei ihnen um grosse integrierte Finanzmärkte handelt. Der Kapitalmarkt der EU ist dagegen zersplittert, und wenn Investoren ein Mitgliedsland der Euro-Zone attackieren, besteht das Risiko, dass die Krise auf andere Staaten überschwappt.
«Der Ausweg führt über einen Konsumverzicht – der Privaten und des Staates», sagt Vöpel vom CEP. Oder in anderen Worten: das Sparen.