Kawelaschwili war während fast zehn Jahren ein Torjäger im Schweizer Fussball, gefürchtet für seine Finten und seine Ausraster. Neben dem Platz galt er als schweigsam.
Am Sonntag wurde in Georgiens Hauptstadt Tbilissi unter Protesten der Opposition der neue Staatspräsident Micheil Kawelaschwili vereidigt. Dieser gilt als Marionette des autokratischen Milliardärs Bidsina Iwanischwili und wird als «ultrakonservativ» beschrieben. Kawelaschwili ist bekannt für homophobe Ausfälligkeiten, antiwestliche Tiraden – und für seine frühere Karriere als Profifussballer. Während rund zehn Jahren spielte und lebte er in der Schweiz.
Als Kawelaschwili 1997 bei den Grasshoppers unterschrieb, wäre wohl niemand auf die Idee gekommen, dass da ein künftiger Staatspräsident im Hardturm die Fussballschuhe schnürt. Kawelaschwili kam als schweigsamer Absteiger in die Schweiz. Der Traum von der Karriere in der englischen Premier League war geplatzt, hinter dem damals 26-Jährigen lag ein Niedergang mit Manchester City und eine Saison fast ohne Einsätze.
«Sehr höflich, sehr schweigsam» sei Kawelaschwili gewesen, erinnert sich der damalige GC-Sportchef Erich Vogel. «Er sprach nur rudimentär Englisch, aber seine Frau Tamuna war sehr eloquent und dominant – bei den Vertragsverhandlungen redete nur sie.» Vogel spricht von einem «etwas ungelenken Spieler, geprägt vom englischen Kick and Rush». Man sei zufrieden, aber nicht begeistert gewesen von Kawelaschwili, «richtig durchsetzen konnte er sich nicht.» Und Vogel will unbedingt hinzufügen: «Der scheue, zurückhaltende Spieler von damals ist heute Staatspräsident – eine unglaubliche Geschichte!»
Bei den Grasshoppers trifft Kawelaschwili mit Georgi Nemsadse auf einen Landsmann, der ihm bei der Integration hilft. Es ist die GC-Mannschaft mit Spielern wie Kubilay Türkyilmaz, Nestor Subiat, Mats Gren oder Viorel Moldovan, der Trainer heisst Christian Gross. Im Mai 1998 ist GC Meister, und Kawelaschwili hat sich vom Ersatz- zum Stammspieler gekämpft, mit acht Toren trägt er seinen Teil zum Titel bei. Kawelaschwili ist abgestiegen, aber in der Schweiz angekommen.
Flucht aus den Wirren nach Georgiens Unabhängigkeit
Der Profi aus dem Osten hat in seiner Jugend den Zerfall der Sowjetunion erlebt. Die Mutter war Kindergärtnerin, der Vater Verwalter einer landwirtschaftlichen Kolchose in Bolnissi, etwa 50 Kilometer von Tbilissi entfernt. Im Alter von zwölf Jahren wird der kleine Micheil in die Fussballschule von Dinamo Tbilissi geholt. Zu Sowjetzeiten ist Dinamo ein mächtiger Klub, regelmässig kommen 80 000 Zuschauer ins Stadion.
Als Kawelaschwili in den ersten Jahren der Unabhängigkeit Georgiens in der ersten Mannschaft spielt und fünfmal Meister wird, zerfällt das Land. Talentierte Fussballer gehen in den Westen, sie heissen Arweladse, Kinkladse, Kezbaia, im SC Freiburg schreiben die «Breisgau-Brasilianer» mit Aleksandre Iaschwili, Lewan Zkitischwili, Lewan Kobiaschwili unter dem Trainer Volker Finke legendäre Geschichten. Kobiaschwili ist seit langem Präsident des georgischen Fussballverbandes. Kacha Kaladse geht nach der grossen Karriere in der AC Milan wie Kawelaschwili für die Partei «Georgischer Traum» in die Politik. Seit 2017 ist Kaladse Bürgermeister von Tbilissi.
Kawelaschwili sagt 1999 in einem Interview mit dem «Tages Anzeiger» über seine Jugendjahre: «Wir mussten uns alle an ein neues Leben gewöhnen. Das war enorm schwierig, es gab bewaffnete Konflikte, Bürgerkriege, die Politiker haben vieles falsch gemacht.» In jener Zeit will auch Kawelaschwili in den Westen. Er macht zuerst einen Umweg nach Russland; er wechselt 1995 zu Alanija Wladikawkas und wird auch dort Meister.
Nach dem Titel mit GC macht Kawelaschwili auch in seiner zweiten Saison bei GC vieles richtig. Der kopfballstarke Stürmer schiesst 13 Tore, dennoch endet die Saison enttäuschend. Rolf Fringer muss als Trainer gehen, der Nachfolger Roger Hegi ist glücklos. Servette gewinnt in der Finalrunde den Titel.
Bei den Grasshoppers übernehmen Fritz Gerber und Rainer E. Gut als Besitzer. Als Trainer kommt Roy Hodgson, Stéphane Chapuisat als Stürmer-Star. Für Kawelaschwili ist da kein Platz mehr. Die neue Führung sieht davon ab, den Georgier mit einem Jahreslohn von kolportierten 700 000 Franken nach dem Ende des Leihvertrags zu übernehmen. Kawelaschwili will nach Spanien – aber er landet im FC Zürich.
Im FCZ an der Seite von Jugendfreund Jamarauli
Nachdem sich der Wechsel zu Atlético Madrid zerschlagen hat, greift der damalige FCZ-Präsident Sven Hotz zu und lockt den in Not geratenen Kawelaschwili mit einem hochdotierten Zweijahresvertrag in den Letzigrund.
Auch diesmal spielt ein Georgier eine Rolle beim Wechsel: Mit seinem Jugendfreund Gocha Jamarauli ist ein Ballzauberer im FCZ, mit dem sich Kawelaschwili bestens versteht. Auch Kawelaschwilis Frau Tamuna trägt einen Teil zum Verbleib in der Schweiz bei. Ihr und den zwei Kindern George und Maria gefällt das Leben in Horgen.
Kawelaschwili reüssiert auch im Letzigrund. Zum Höhepunkt der Mannschaft um den Captain Urs Fischer wird der Cup-Titel im Jahr 2000, Kawelaschwili trifft im Final gegen Lausanne im Penaltyschiessen. Der Stürmer fällt aber auch mit gelegentlichen Ausrastern auf; er fliegt mehrfach wegen einer roten Karte vom Platz und muss Sperren absitzen. Neben dem Platz gilt er noch immer als schweigsam. Er gibt fast keine Interviews, obwohl er unterdessen Deutsch spricht.
Nach dem Vertragsende im FCZ beginnt ab 2002 für den unterdessen 31-Jährigen eine unstete Zeit. Luzern, Sitten, Aarau und nochmals Sitten gehören zu seinen Stationen, einmal macht der 46-fache Nationalspieler Georgiens einen kurzen Abstecher nach Russland. 2005 holt Christian Gross seinen ehemaligen GC-Stürmer für ein glückloses Karrieren-Ende zum FC Basel. Als 40-Jähriger taucht Kawelaschwili im Schweizer Fussball nochmals kurz auf, im obskuren Klub Zurich United, der es trotz ambitionierten Zielen nie über den Amateurbereich hinausschafft.
«Ich bin ein Zürcher», sagt Kawelaschwili 2019 dem «Tages Anzeiger», als er in einem grossen Büro in Tbilissi sitzt. Er ist da bereits Parlamentarier und «Vorsitzender des Departements Jugend und Sport». Wenige Tage später empfängt Georgien die Schweizer Fussball-Nationalmannschaft zu einem EM-Qualifikationsspiel.
Kawelaschwili soll sich «kommunikativ und freundlich» gegeben haben, heisst es. Er scheint sich ganz in den Politiker verwandelt zu haben, der er geworden ist. Jetzt ist er Staatspräsident, ein ehemaliger Fussballspieler in der Schweiz.