Er war Feldherr, Kapitän, Mathematiker: Der Oscar-Preisträger hat viele charismatische Führungsfiguren mit Hang zum Wahnsinn gespielt. Nun kommt Hermann Göring hinzu. Am ZFF erzählt Russell Crowe hochmotiviert von seiner Karriere.
Als Russell Crowe den Saal betritt, gehört der Saal ihm. Er ist 45 Minuten zu spät, weil er sich draussen vor dem Kino Corso wartenden Fans gewidmet hat. Interviews gibt er keine am Zurich Film Festival. Im öffentlichen Gespräch, den Masters, redet er jedoch so bereitwillig und ausführlich, dass die Veranstaltung locker eine weitere Dreiviertelstunde hätte gehen können. Das englische Wort «determined» trifft es wohl stärker, als das deutsche «entschlossen»: Crowe legt geradewegs los, sprüht vor Energie, strotzt vor Selbstvertrauen.
Im Western wäre er der Typ, der den Saloon betritt und sofort sämtliche Blicke auf sich zieht. Um dann schnell und unkompliziert mit allen Anwesenden anzustossen. Der Mann scheint mit 61 Jahren exakt zu wissen, wo er steht, was er will. Auch wenn er optisch unspektakulär daherkommt: Im blauem Polo-Hemd, mit Jeans und schwarzen, schlichten Turnschuhen könnte er ebenso Busfahrer sein. Aber er ist einer der grossen Stars des 21. ZFF, das ihn mit dem Lifetime Achievement Award ehrt.
Ein sehr dünnes Script für «Gladiator»
Viele verbinden mit Crowe zuerst jene Rolle, die ihm 2001 den Oscar einbrachte: den todesmutigen und treuen römischen Feldherrn Maximus Decimus Meridius in «Gladiator». Dank Regisseur Ridley Scott lebte der Sandalenfilm kurz wieder auf, weitere Schlachten wurden in Troja und Issos geschlagen. Dann versandete der Antikentrend wieder. Doch die Geschichte vom verratenen Maximus blieb so populär, dass 2024 ein (herzlich überflüssiges) Sequel erschien.
Die Bilder in «Gladiator» haben die Zeit überdauert: Die aus dem brennenden Wald fliehenden Germanen, das irre Gebaren von Joaquin Phoenix als machthungriger Commodus. Und die Arena, das natürliche Habitat von einem mit Bärenstatur wie Crowe. Das grösste Problem sei weder das Budget noch der Cast gewesen, sondern das Drehbuch, erzählt der Schauspieler. «Ridley Scott und ich sassen Nacht für Nacht zusammen und haben insgesamt 100 Seiten Script weggeschmissen.» Am Ende blieben 21 übrig, damit konnte das Risikoprojekt starten.
Und auch Crowes Karriere startete durch. International, auf der grossen Leinwand angefangen hatte sie 1992 mit dem Neonazi-Drama «Romper Stomper». Danach musste sich der 1964 im neuseeländischen Wellington geborene und als Kind nach Australien übersiedelte Crowe in Hollywood erst durchbeissen. Aus Down Under habe man damals nur Mel Gibson und Judy Davis gekannt, so Crowe. Es war Sharon Stone, die sich dafür einsetzte, dass der unbekannte Australier eine Rolle im Western «The Quick and the Dead» erhielt.
Seitdem brillierte Crowe in unterschiedlichen Rollen, mit ähnlichen Grundtypus: Manchmal sanft und clever wie als schizophrener Mathematiker in «A Beautiful Mind», manchmal mit mehr Muskeln als Intellekt, wie sein rigider Cop im Neo-Noir «L.A. Confidential». Aber oft als mit allen Wassern gewaschener, am Rande des Wahnsinns balancierender Alpha-Typ, mit dem man sich besser nicht anlegen sollte. Zumindest, wenn man vermeiden will, wie in «Master and Commander» bis ans Ende der Welt verfolgt zu werden.
Wie bei so manchem harten Hund schlummert auch in Crowe eine Anlage zur Komik. Im Kino stellte er sie an der Seite von Ryan Gosling in der Polizei-Buddy-Komödie «The Nice Guys» unter Beweis. In Zürich als er Anekdoten ausbreitet, in denen er der Held der eigenen Filmografie ist. Etwa jene, als er in «Robin Hood» kurz vor einem Sprung von der Brücke bemerkte, dass der Untergrund noch nicht für den Stunt vorbereitet war. Doch die Szene lief bereits, die Zeit drängte, weil das Sonnenlicht schwand – also sprang Crowe.
Unfassbare zehn Jahre später beim Arzt der Schock: «Ich hatte mir damals beide Beine gebrochen.» Und dann zählt Crowe mit seiner tiefen Stimme auf, was noch alles lädiert sei, die Ferse, das Knie, der Oberschenkel, die Schulter und noch einiges anderes, das im englischen Brummen untergeht. «Als ich einmal mit Meg Ryan aus war, fragte sie nach meinen berühmten Narben. Ich zeigte sie ihr und sie reagierte enttäuscht: Die sind ja alle bloss vom Film.»
Vom Hitzkopf zum Dauerbrenner
«Mein Leben ist jetzt so fucking wunderbar», sagt Crowe. Vielleicht auch, weil er nach eigener Aussage erst jetzt entdeckt hat, wie «verdammt entspannend» Ferien sein können. Wäre die Anzahl an eingestreuten Schimpfworten an diesem Nachmittag ein Indiz für Glück, müsste man ihm unbedingt glauben. Ab und an spült es einen seiner früheren Klassiker in die Netflix-Charts. Dann freut er sich, dass sein Publikum sich wegen ihm freut: «Ich mache Filme doch, damit ihr weint und lacht», ruft Crowe in den Saal.
Gelegentlich tourt er mit seiner Band «Indoor Garden Party». Die Musik, sagt er, und das Schauspiel unterscheiden sich gar nicht so sehr voneinander: «Wenn ich ein Lied schreibe, muss ich mich genauso in jemanden hineinversetzen wie wenn ich für eine Rolle probe». Noch mehr Erfolg? Crowe winkt ab, das kratzt ihn nicht. Besonders die Oscars brächten viel «Bullshit» mit sich: «Ich habe einen, wozu brauche ich einen zweiten?»
Es gab mal eine Zeit, da ging es ihm nicht so prächtig. 2005 war das, als in einem New Yorker Hotel mitten in der Nacht seine damalige Frau Danielle Spencer anrufen wollte. Die Leitung streikte, Crowe wurde wütend und warf das Telefon nach einem Hotelangestellten. Festnahme, Anklage, Verurteilung wegen Körperverletzung. Er kam mit einer Geldstrafe davon, doch das Image des Hitzkopfes haftet ihm seitdem an.
Längst ist Crowe wieder gefragt, fünf Filme hat er seit letzten Dezember gedreht. Einer davon ist «Nuremberg», der am ZFF läuft. Darin verkörpert Crowe gewichtig Hermann Göring zur Zeit der Nürnberger Prozesse. Während der Reichsmarschall in seiner Zelle wartet, erhält er Besuch vom Psychiater Douglas Kelley (Rami Malek), der herausfinden will, ob das Böse wirklich exklusiv in den Deutschen haust.
«Fuck, nein, ich habe keine Ahnung.»
Wie Regisseur James Vanderbilt auf ihn gekommen sei? «Ich war der beste, den er sich bei seiner Preisklasse leisten konnte», lacht Crowe. Und er erzählt von Görings Karriere, seinem Aufstieg vom verwundeten Schützengräbler im ersten Weltkrieg zum höchsten Soldaten des Dritten Reichs. «Er glaubte immer, er könne alle Erzählungen über sich selbst kontrollieren.» Crowe sagt, er sei ein heimlicher Geschichtsexperte – um sofort hinterher zu schieben: «Fuck, nein, ich habe keine Ahnung.»
«Nuremberg» sieht wuchtig aus, fügt der Masse an Hollywood-Nazi-Hochglanzproduktionen der letzten Jahrzehnte jedoch nichts Neues hinzu. Ausser die bemüht eingeschmuggelte Botschaft an die Gegenwart, dass der Faschismus in den USA ebenso auf fruchtbaren Boden fallen kann. Manche Dialoge klingen so naiv und bemüht, dass sie unfreiwillig komisch wirken. Am Ende, bei Görings Zyankali-Suizid, kippt der Film vollends in den Kitsch. Was bleiben wird: Russell Crowe.








