Alastair King ist der 696. Lord Mayor der City of London und wichtigster Botschafter des Finanzplatzes. Im Gespräch äussert er sich zu Donald Trump, dem Brexit und den Chancen der neuen Partnerschaft mit der Schweiz.
Die Lord Mayor’s Show gilt als älteste zivile Prozession der Welt. Seit dem Jahr 1215 wird die Amtseinsetzung des obersten Würdenträgers der City of London mit einem bunten Umzug gefeiert. Der Lord Mayor wird dabei in einer Staatskutsche von seinem Amtssitz im Mansion House zum Obersten Gericht in Westminster gefahren. Dort legt er einen Treueschwur auf den britischen Monarchen ab, bevor die Prozession zu seinem Amtssitz zurückführt.
Als im letzten November Alastair King als 696. Lord Mayor der City of London eingesetzt wurde, beteiligten sich auch 200 Vertreter der Zürcher Zunft zur Waag an der historischen Prozession. Am Montag nun erwidert der britische Financier die Ehre und nimmt als Gast der Zunft am Sechseläuten in Zürich teil.
Was ihn genau erwarte, wisse er nicht, erklärt King vor seiner Abreise im Gespräch in seinem Büro im Mansion House in London. «Aber ich hoffe, dass ich nicht auf dem Scheiterhaufen lande», ergänzt er lachend.
Zieht die UBS nach London?
Der Lord Mayor ist Vorsteher der City of London Corporation, einer der ältesten kommunalen Institutionen der Welt. Die Corporation ist eine Mischung aus Gemeindeverwaltung und Lobbyorganisation für den «Square Mile» genannten, bloss 2,9 Quadratkilometer grossen Londoner Finanzdistrikt. Stimmberechtigt sind bei seiner Wahl nicht nur die Anwohner, sondern auch Unternehmen.
Die City of London hat eine Reihe historisch gewachsener Autonomierechte. So verfügt sie über eine eigene Polizei. Gemäss der Tradition muss der britische Monarch den Lord Mayor um Erlaubnis bitten, wenn er die City betritt. Diese Tradition werde aber bloss bei offiziellen Besuchen befolgt, erklärt King. «Im Alltag gibt es natürlich nie einen Grund, Seiner Majestät dem König die Durchreise zu verweigern.»
Der Lord Mayor der City of London ist nicht nur eine Art Bürgermeister. Er reist auch als Botschafter des Finanzdistrikts um die Welt, um Investoren in die Londoner City zu locken. Am Rande des Sechseläutens sind Treffen mit Vertretern des Finanzplatzes Zürich geplant. King will die Werbetrommel rühren für das Finanzdienstleistungsabkommen zwischen der Schweiz und Grossbritannien, das Anfang 2026 in Kraft treten soll.
Das neuartige Abkommen sieht eine gegenseitige Marktöffnung vor, wobei die jeweiligen nationalen Regulierungen nicht harmonisiert, sondern bloss als gleichwertig anerkannt werden. King geht davon aus, dass kleine bis mittlere Schweizer Banken und Versicherungen profitieren können, wenn sie im grossen britischen Markt auch ohne lokale Niederlassung ihre Dienste anbieten können. Im Gegenzug erkennt er im Schweizer Markt Potenzial für britische Finanzdienstleister und Anwaltskanzleien.
In der Schweiz sorgte jüngst die Sorge für Schlagzeilen, die UBS könnte als Folge der Bankenregulierung ihren Hauptsitz nach London verlegen. Solche Spekulationen sind King nicht bekannt, wie er sagt: «Die UBS ist überaus wichtig für die Schweiz, so wie auch unsere Grossbanken überaus wichtig sind für uns. Auch wir wollen sicherstellen, dass unsere Grossbanken ihren Hauptsitz nicht verlagern.»
Eine Alternative zu New York?
Nicht nur die Finanzplätze Grossbritanniens und der Schweiz rücken näher zusammen. Die Regierungen beider Länder verhandeln derzeit auch über ein modernisiertes Freihandelsabkommen, was King als «positives Zeichen in einer zunehmend fragmentierten Welt» bezeichnet.
Der Lord Mayor der City of London verbirgt sein Unverständnis über die neue amerikanische Handelspolitik und die Sorge über eine Konfrontation der grossen Handelsblöcke nicht. «Doch gleichzeitig birgt Donald Trumps Handelsstreit für den Finanzplatz London auch grosse Chancen.»
Vor drei Wochen habe er Kanada besucht, erzählt King. «Grossbanken, Versicherungen und Pensionskassen bezeichneten den Schaden in den Wirtschaftsbeziehungen mit den USA als irreparabel.» Darum sei der Finanzplatz London für Kanadier plötzlich eine Alternative zu New York. «Wir sind ein politisch stabiler Standort mit hoher Rechtssicherheit und gehören weder dem amerikanischen noch dem europäischen noch dem chinesischen Orbit an.»
Brexit-Abgänge mehr als kompensiert
Neue Impulse kann die City gut gebrauchen. 2024 verlegten 88 Firmen ihr Haupt-Listing von der London Stock Exchange an einen anderen Börsenplatz – das ist der grösste Abgang seit 2009. Der Lord Mayor betont, dass sich die Lage dank Anreizen für Besitzer von Tech-Firmen verbessert habe. «Die Pipeline für Börsengänge ist ziemlich voll», sagt King. Zu einem möglichen Börsengang des chinesischen Modehändlers Shein, der harsche Kritik der Regierung Trump auslösen könnte, will sich King aber nicht äussern.
Dass sich die City als Finanzplatz zwischen den grossen Handelsblöcken präsentieren kann, ist eine Folge des Brexits. Auch der Abschluss des Finanzabkommens mit der Schweiz wäre ohne Austritt aus der EU nicht möglich gewesen. Ohnehin betont King, dass die Folgen des Brexits für die City weit weniger gravierend ausgefallen seien als befürchtet.
«Zum Zeitpunkt des Brexit-Referendums 2016 arbeiteten 525 000 Personen in der City, Ende 2024 waren es 678 000», rechnet King vor. Der Finanzplatz London verfüge über eine kritische Grösse und Vielfalt, weshalb Personalabgänge zur Betreuung von EU-Kunden mehr als kompensiert worden seien.
Dennoch begrüsst es King, dass der Labour-Premierminister Keir Starmer den Konfrontationskurs der Tory-Partei beendet hat und eine vorsichtige Annäherung an die EU anstrebt. «Die EU ist ein enorm wichtiger Markt, und es gibt unzählige Chancen, um die Zusammenarbeit zu verbessern» sagt der Lord Mayor. «Es ist wichtig, dass wir diese Chancen auch nutzen.»