Seit rund fünfzig Jahren verkauft Johann Wanner in Basel Weihnachtskugeln. Ein Gespräch über die Bedeutung des Festes, die beliebtesten Farbkombinationen und prominente Kunden.
Seit Mitte der siebziger Jahre verkauft Johann Wanner Weihnachtsschmuck. In seinem Laden in der Altstadt von Basel wähnt man sich in einer anderen Zeit. Es heisst, Prinzessin Diana und Michael Jackson seien schon Wanners Kunden gewesen. Draussen ist es eisig kalt, drinnen läuft Mariah Carey mit «All I Want for Christmas Is You» – natürlich. Überall Glanz und Glitzer.
Wanner ist elegant gekleidet. Schwarzer Anzug, schwarze Weste, schwarzer Gehstock. Er wirkt fit für seine 85 Jahre. Erst führt er vorsichtig durch den Laden mit seinen Tausenden kleinen Kugeln und Figuren, dann in eine Wohnung gegenüber – den Pausenraum des Personals, ganzjährig geschmückt mit mehreren Kunststoffbäumen voller Kugeln. Wanner setzt sich an einen schweren Holztisch, steht aber immer wieder auf. Geht zum Baum neben dem Eingang, zum Engel an der Wand, zum Fenster, um Vögel zu beobachten.
Herr Wanner, wie feiert jemand Weihnachten, bei dem 365 Tage im Jahr Weihnachten ist?
Weil die Arbeit gerade während der Weihnachtszeit hektisch ist, will ich mich am 24. Dezember jeweils zurücklehnen, es ruhig haben. Wenn der Laden schliesst, spaziere ich durch die Altstadt und schaue durch die Fenster: Die geschmückten Bäume, die Leute, wie sie essen und feiern – das geniesse ich. Danach lade ich meine Liebsten zum Essen ein.
Haben Sie Ihren Baum schon geschmückt?
Ja, das mache ich jeweils zwei Wochen vor Weihnachten, an einem Sonntag. Dann schenke ich mir ein Glas Wein ein und lege Musik auf. Die Leute beginnen ganz unterschiedlich mit dem Schmücken des Baumes, wobei ich feststelle, dass jüngere Menschen immer später anfangen, viele erst am 24. Dezember.
Sie als Meister des Weihnachtsschmuckes: Was ist besonders wichtig beim Schmücken?
Dass man den Baum nicht bescheisst.
Nicht bescheisst?
Dass man ihn rundherum schmückt, also auch an der Seite, die an der Wand steht. In vielen Kirchen hängen in den Ecken kleine Engelsfiguren. Auch wenn man sie kaum sieht, wurden sie nicht nur vorne modelliert, sondern auch hinten, am Rücken. Das hat mit Wertschätzung zu tun.
Bescheisst man auch, wenn man einen Plastikbaum nimmt?
Nein. Die Kunstbäume, die es heute gibt, sind anständig, hochwertig gemacht. Und sie haben ihre Berechtigung: Die Aufzucht echter Bäume ist wahnsinnig aufwendig. Und dann halten sie nur ein paar Wochen. Kunstbäume dagegen kann man jahrelang benutzen. Sie riechen halt nicht. Aber man kann einen Tannenzweig darunterlegen.
Was für einen Baum haben Sie?
Ich nehme jeweils eine Rottanne. Eine gewöhnliche Fichte, keine Edeltanne. Ich suche immer den wüstesten Baum aus.
Warum?
Ich mag die Herausforderung, dem Baum seine Ehre zurückzugeben. Er hat sein ganzes Leben unter dem Krummsein oder unter anderen Bäumen gelitten. Er hat es verdient, schön geschmückt zu werden.
Und wie geht man beim Schmücken idealerweise vor?
Die grossen Kugeln zuerst, sonst haben sie nachher keinen Platz mehr. Und, sofern der Baum Löcher hat und der Stamm sichtbar ist: unbedingt auch innen Kugeln aufhängen, beim Stamm.
Welche Farben funktionieren besonders gut?
Im Trend ist die Farbkombination Rot, Rosa und Weiss. Die sogenannte Candy Line – wie bei einer Zuckerstange. In diesem Jahr wollen wir zudem den Wald zurück in die Stuben bringen: Pilze, Bäumchen oder Tiere zum Aufhängen. In der Schweiz ist aber noch immer Rot am beliebtesten. Die Franzosen mögen Gold. Und die Engländer sind wie die Amerikaner: Sie wählen vor allem die Kombination Rot und Grün. Doch die Farben sind zweitrangig.
Was ist entscheidender?
Der Anteil der Farben. Wer zwei Farben wählt, sollte sie im Verhältnis 6:4 aufteilen. Wer drei Farben wählt, im Verhältnis 6:3:1. Ist der Farbanteil gleich, fehlt dem Baum die Spannung.
Wo lassen Sie sich inspirieren? An Weihnachtsmärkten, bei anderen zu Hause, an Messen?
Weder noch. Wir sind nicht die, die abkupfern. Wir sind die, die Trends setzen. Manchmal kommen fünf Männer in den Laden, alle um die dreissig, alle schwarz gekleidet. Sie schauen sich die Kugeln an und sagen Dinge wie: «Die würde unserer Tante doch auch gefallen.» Natürlich sind die nicht auf Einkaufstour für ihre Tante, sondern Vertreter von Grosskonzernen. Sie machen mir immer wieder Produkte nach.
Warum ist Weihnachten mehr als nur ein fröhliches Familienfest?
Achtung, Weihnachten ist nicht immer fröhlich. In vielen Familien zeigen sich in dieser Zeit jene Probleme, die über das Jahr hinweg ungelöst bleiben. Aber im besten Fall ist Weihnachten immer noch Wärme. Es ist ein bisschen wie Ferien. Als ginge man eine Zeitlang in eine andere Welt. Nur sind es die Leute heute weniger gewohnt, Feste zu feiern. Sie sind hektischer geworden, gestresster. Sie nehmen sich weniger Zeit für diese andere Welt.
Hat Weihnachten seinen Zauber verloren?
Nein, es ist nach wie vor emotional. Auch bei den Erwachsenen, etwa, wenn sie eine Weihnachtskugel von früher sehen. Das Fest hat noch immer etwas Faszinierendes, das man sich unbedingt bewahren muss. Ich bin sehr froh, dass ich das kann. Dass das nicht verflogen ist in all den Jahren.
Sie sind sogar im Sommer weihnachtlich gestimmt?
Ja. Mit Musik geht das.
Wie ist das eigentlich im Sommer? Wer kauft Weihnachtsschmuck, wenn draussen 30 Grad sind?
Erstens Easy-Jet-Touristen, also Tagesausflügler aus Portugal, Italien, Frankreich oder Deutschland. Und auch Touristen von den Rhein-Kreuzfahrten. Zweitens kommen oft Basler in den Laden, die gerade Besuch haben. Sie zeigen ihren Gästen den Laden, weil sie stolz darauf sind.
Sie sprechen von Touristen. Es heisst, auch viele Promis waren schon bei Ihnen im Laden.
Die Journalisten wollen immer die Namen von Promis hören. Aber der kleine Bub, der mit dem Sackgeld ein Kügeli kauft, ist mir genauso wichtig. Für mich ist es vor allem interessant zu sehen, was die Leute aussuchen. Wenn Sie in einen Schuhladen gehen, schaut Ihnen der Verkäufer zuerst auf die Schuhe. Ich schaue in den Einkaufskorb, um zu sehen, was die Kunden ausgesucht haben. Der Weihnachtsschmuck hat eine Sprache, er steht für etwas.
Können Sie ein Beispiel machen?
Nehmen wir den Vogel. Er ist ein Symbol für Geistigkeit. Oder die Kugeln: Sie sind rund, vollkommen, haben keine Ecken und Kanten.
Haben Sie eine Lieblingskugel?
Schwer zu sagen. Es ist, als hätte ich eine Familie mit vielen Kindern. Aber ein Kügeli ist besonders toll, von dem habe ich nur noch zwei Stück.
Johann Wanner nimmt eine golfballgrosse gelbe Kugel aus der Vitrine. Oben kleben gelbe Federn, vorne zwei schwarze Punkte für die Augen und ein roter Schnabel.
Was macht diese Kugel so besonders?
Sie erinnert mich an meine Kindheit. Damals sah der Weihnachtsschmuck so aus.
Täuscht der Eindruck, oder gibt es kaum Kreuze in Ihrem Laden?
Einige hat es schon. Wir haben aber vor allem viele Schutzengel.
Die Religion verliert in der Gesellschaft an Bedeutung. Hat das einen Einfluss auf Weihnachten?
Das Weihnachtsfest hat nach wie vor eine riesige Bedeutung. Sie müssen wissen: Bei den Römern hat man die Saturnalien gefeiert, also die Unbesiegbarkeit der Sonne. Das Christentum hat das übernommen, entstanden ist das Weihnachtsfest. Insofern ist Weihnachten keine christliche Erfindung. Ich denke, das hilft.
Was ist mit den Lichtern: irgendwelche Tipps?
Das Licht muss warm sein. Viele neue LED-Lampen sind zu grell, zu gelb. Wer eine Kerze will, dem empfehle ich Wachskerzen aus Stearin. Die brennen doppelt so lange und tropfen nicht. Aber sie sind auch doppelt so teuer.
Bis wann muss der Baum stehen bleiben?
Bis am 7. Januar, bis zum orthodoxen Weihnachtsfest. Wobei ich ihn jeweils bis am 11. Januar stehen lasse. Dann habe ich Geburtstag.
Dann werden Sie 86 Jahre alt. Wann werden Sie aufhören?
Das weiss ich nicht. Ich mache weiter, solange ich kann. Jetzt kann ich noch.
Gibt es den Laden noch, wenn Sie aufhören?
Ja. Aber es ist nicht einfach, die Nachfolge zu regeln. Ich will den Laden keinem Investor verkaufen. Er sieht nur den Gewinn. Das ist nicht in meinem Sinn.
Das heisst?
Der Charakter muss weiterleben. Ich glaube, mit meinen Mitarbeitern wird das gelingen.
Ein Leben lang Weihnachten
Johann Wanner ist 1939 als ältestes von sechs Kindern in Basel geboren. Er begann als Kaufmann, handelte mit Teppichen und reiste dafür durch den Orient. Ins Weihnachtsgeschäft wechselte Wanner, weil er einem Ostdeutschen in den sechziger Jahren glitzernde Weihnachtskugeln abkaufte. Er stellte sie ins Schaufenster seines Ladens, wo sie sofort ausverkauft waren. Heute ist Wanner weitum bekannt für seine mundgeblasenen Glaskugeln. Den Baum im Weissen Haus in Washington schmückte er genauso wie jenen vor dem Petersdom in Rom. Wanners Credo lautet: «Mit dem Kopf in der Tanne kann man keinen Weihnachtsbaum schmücken.» Bis heute steht er fast täglich im Laden, über dem er seit Jahrzehnten wohnt. (atz)