Mysteriöse Beschwerden, ein Klub, der nicht passt, davor Knatsch mit der Nationaltrainerin: Die Schweizer Rekordspielerin Ana-Maria Crnogorcevic hat eine schwierige Zeit hinter sich. Nun sieht sie sich wieder als Teamstütze an der EM.
Ana-Maria Crnogorcevic, im August sind Sie nach nur einer Saison von Atletico Madrid in die USA zu Seattle Reign gewechselt. Warum sind Sie in Madrid nicht glücklich geworden?
Es war das erste Mal in meiner Karriere, dass ich einen Entscheid für einen Klub gefällt habe, der nicht aufgegangen ist. Es harmonierte und passte nicht. Die Art des Fussballs, das Umfeld.
Was meinen Sie damit?
Die Trainings waren nicht, wie ich sie erwartet hatte. Dazu kam der Umgang mit den Spielerinnen, der mich irritierte. Ein Beispiel: Wenn wir zu einem Auswärtsspiel reisten, mussten alle gleich angezogen sein, also lange Hosen tragen. Obwohl ich schwitzte, durfte ich keine kurzen Hosen anziehen. Da wundere ich mich. So etwas macht man eigentlich mit kleinen Kindern, aber nicht mit Frauen. Das sind banale Sachen, aber damit kann ich mich nicht mehr arrangieren.
In den USA wird anders mit den Spielerinnen umgegangen?
Wenn wir zu einem Auswärtsspiel fliegen, kleiden sich alle, wie sie wollen. Es muss dir einfach wohl sein. In Spanien musste man um Erlaubnis bitten, um Besuch von Freunden im Hotel zu empfangen. Das kennt man in den USA nicht. Man formt doch eigentlich die Spielerinnen, indem man ihnen Freiheit gibt, herauszufinden, was gut ist und was weniger. So lernt man. Wie sollen Menschen auf dem Platz Entscheide treffen, wenn man ihnen daneben alles vorschreibt?
Ist es typisch amerikanisch, auf Eigenverantwortung zu setzen?
Ich habe es in Europa immer anders erlebt – bis Nils Nielsen unser Nationaltrainer wurde. Plötzlich hiess es: «Wir sehen uns morgen im Training.» Wenn man am Abend Lust hatte, rauszugehen, stand es einem frei. Was nicht hiess, dass man keine Leistung bringen musste. Schlechte Trainings konnte man sich nicht leisten. Ich kann mich nicht erinnern, dass jemand nur einmal über die Stränge geschlagen hätte. Ich habe einmal während eines Zusammenzugs – mit seiner Erlaubnis – bei meiner Schwester und den Nichten und Neffen übernachtet. Am nächsten Tag bin ich doppelt so viel gerannt.
Weil Sie sich das rausgenommen hatten.
Genau. Exakt so hat es Nils Nielsen immer gesagt: «Es gibt ein Böxli, dort kannst du etwas rausnehmen. Aber am nächsten Tag gibst du dafür etwas zurück.» Es ist schön, dass so etwas auch funktionieren kann.
Ihnen ging es in Madrid auch gesundheitlich nicht gut. Können Sie etwas darüber sagen?
Ich war alle paar Wochen richtig krank: Fieber, Schüttelfrost, Schweissausbrüche, ich musste jede Nacht die Bettwäsche wechseln. Das hielt dann jeweils zehn Tage an. Vier-, fünfmal hatte ich das. Herausgefunden hat man nichts.
Haben Sie die körperlichen Symptome auch mit Ihrem psychischen Unwohlsein in Verbindung gebracht?
Madrid war tatsächlich nicht, was ich mir vorgestellt hatte. Und das Jahr 2023 war auch hart in Bezug auf das Nationalteam. Es war eines meiner schlechtesten Jahre, fussballerisch und persönlich. Das alles hatte sicher einen Einfluss auf die Gesundheit.
Man weiss, dass Sie und die frühere Trainerin Inka Grings Konflikte hatten. War das belastend?
Definitiv. Aber Nachtreten werde ich sicher nicht.
Wie haben Sie den Wechsel zur neuen Trainerin Pia Sundhage erlebt?
Für uns als Team war klar, dass es nur besser werden kann. Wir hatten schlechte Auftritte, und das will ich gar nicht alles der Trainerin anlasten. Allein die Tatsache, dass es einen Neustart gab, war für alle wichtig. Geholfen hat auch, dass wir in der Nations League erstmals in der Gruppe B waren und auf weniger starke Gegnerinnen getroffen sind. Das hat uns ermöglicht, Selbstvertrauen aufzubauen. Ich stehe jetzt aber nicht hin und sage, alles sei super. Wir zeigen gute Ansätze, können aber noch viel verbessern.
Was erwartet die Trainerin von Ihnen?
Sie will, dass ich vorangehe. Sie formuliert ihre Erwartungen deutlich, sagt, wo ich mich verbessern muss. Sie signalisiert aber auch, dass ich meine Spielminuten habe, wenn ich die Inputs umsetze.
Sie sehen sich an der EM in der Stammformation?
Definitiv. Ich bringe Dinge mit, die das Team sonst nicht so hat, etwa die Kopfballstärke. Und Disziplin und Taktik sind bei der Art, wie wir jetzt spielen, extrem wichtig. Nicht alle bringen diese taktische Reife mit, die ich habe. Ich denke, das ist ein Pluspunkt für mich.
Sundhage ist nun seit einem Jahr Nationaltrainerin. Was ist ihre grösste Stärke? Die klare Kommunikation?
Für mich zählt ihre Erfahrung mehr. Ihre grosse Stärke ist die Ruhe – dass sie bedacht ist, auch nach Niederlagen wie gegen Deutschland.
Im Spiel gegen Deutschland fiel die Abhängigkeit von Stammspielerinnen wie der Captain Lia Wälti, Ramona Bachmann oder Géraldine Reuteler auf. Sie fehlten, es gab eine 0:6-Niederlage.
Das ist die gängige Interpretation. Aber wir haben 2023 mit allen Stammspielerinnen 1:7 gegen Spanien verloren.
Was heisst das?
Manchmal haben wir Spiele, in denen es nicht läuft, und dann werden wir innerhalb von zwanzig Minuten überfahren. Dann fehlt die Erfahrung, zu reagieren. Mir ist es zu einfach, zu sagen, wir hätten halt hoch verloren, weil die Stammspielerinnen gefehlt hätten.
Das ist eine selbstkritische Haltung. Sie waren auf dem Platz.
Ich bin nicht der Typ, der Ausflüchte sucht.
Die Schweizer Rekordspielerin
Ana-Maria Crnogorcevic
cen. · Die 34-jährige Berner Oberländerin hat in 163 Spielen 74 Tore für die Schweiz erzielt. Sie hat in Deutschland und Spanien gespielt, zuletzt bei Atletico Madrid. Mit Barcelona gewann die Offensivspielerin zweimal die Champions League. Seit August ist Crnogorcevic in der amerikanischen Profiliga bei Seattle Reign engagiert.
Sie sagten vorher «gute Ansätze». Bereits in sieben Monaten steht die EM an. Was liegt für das Nationalteam drin?
In zwei, drei Wochen kann ein Team in einen Flow kommen, dann ist alles möglich. Wir sind mit den Gegnerinnen in der Gruppe auf Augenhöhe. Und wenn ich zurückschaue auf die letzten paar Jahre im Nationalteam, stelle ich fest, dass es kaum Junge gab, die direkt Stammspielerinnen wurden. Das scheint jetzt anders zu sein: Auf Spielerinnen wie Naomi Luyet und Iman Beney haben wir zehn Jahre gewartet. Ich will nicht zu viel Druck auf sie aufbauen, aber das Unbekümmerte, Frische tut uns gut. Es freut mich riesig für sie.
Sie sagen, es freue Sie. Aber ist es nicht auch bedrohlich, wenn man spürt, dass da junge Talentierte kommen, die einem den Platz streitig machen?
Das würde ich nicht sagen. Es ist ein normaler Prozess.
Aber man muss seine Rolle anpassen, wenn plötzlich Junge da sind.
Das ist bei mir nicht der Fall. Ich war schon vor fünfzehn Jahren ein Mami. Lara Dickenmann sagte mir jeweils: «Du bist so eine Mutter!» Ich war auch im Spielerinnenrat, kaum bin ich in die Nati gekommen – aufgrund meines Naturells.
Wie würden Sie denn Ihr Naturell beschreiben?
Direkt sein, Sachen anpacken, mich für Verbesserungen einsetzen. Natürlich ecke ich so an. Ich wurde gewissermassen als Leaderin geboren, das ist mein Wesen. Ich vergleiche mich gerne mit Lia Wälti, unsere Werte sind sehr ähnlich, darum sind wir auch schon so lange befreundet. Doch auch wenn wir die gleichen Ziele haben, sind die Wege dorthin sehr verschieden. Lia überlegt noch, während ich schon mache. Ich lasse sofort raus, was ich denke. Das ist nicht immer der beste Weg.
Wenn Sie die Jungen sehen, inwiefern unterscheiden sie sich von Ihnen damals?
Im Gebrauch von Social Media und Tiktok. Nein, im Ernst, sie werden ganz anders sozialisiert im Fussball, weil Frauenfussball sichtbar geworden ist. Sie sehen, dass eine Menge Leute ins Stadion kommen, dass es etwas gibt, wofür sich die Arbeit lohnt. Und in England und in den USA kann man mittlerweile auch ordentlich Geld verdienen.
Denken Sie eigentlich bereits an die Zeit nach der EM?
Ich habe einen Vertrag bis Dezember 2025. Ob ich noch ein Jahr anhänge? Das wird davon abhängen, ob ich noch Lust habe, in dieser Intensität weiterzuarbeiten, ob der Körper mitmacht. Ich habe keine Ahnung, wo ich mich am 1. Januar 2026 befinde.
Das beunruhigt Sie nicht?
Manchmal denke ich darüber nach. Mir fällt es zum Glück leicht, mich auf neue Dinge einzulassen. Aber ich habe in den letzten zwei Jahren zweimal das Umfeld komplett gewechselt. Wieder neue Leute, wieder ein Lokal suchen mit gutem Kaffee . . . Das war schon etwas anstrengend. Und nirgends ist es so gut wie in der Schweiz. Komme ich zurück, denke ich immer: Gopfridstutz, haben wir es hier schön.
Und jetzt findet in der Heimat sogar eine EM statt. Hätten Sie sich das als kleines Mädchen vorstellen können?
Ich wusste nicht einmal, dass es ein Frauen-Nationalteam gibt. Am Beispiel der EM sieht man, was im Frauenfussball auch in kurzer Zeit möglich ist, wenn ernsthaft investiert wird.