Es braucht Überwindung, seine Firma zu verkaufen. Viele Unternehmer zögern das hinaus. Wie kann man loslassen, wenn einem die Zukunft des Betriebs wichtig ist?
Gabriela Manser hat die Mineralwasserquelle ihrer Familie zu einer schweizweit bekannten Marke ausgebaut. Das Appenzell-Mineral steht in vielen Restaurants auf dem Tisch. Sie sagt: «Es braucht viel, um Distanz zu schaffen.»
Hans-Jürg Lüdi hat aus dem Unternehmen seines Grossvaters einen Spezialisten für Gasventile und Laborinfrastruktur geformt. Er sagt: «Irgendwann wollte ich nicht mehr um fünf Uhr aufstehen.»
Manser und Lüdi sind zwei von vielen Firmeninhabern, die sich die Frage gestellt haben, vor der jeder Unternehmer irgendwann steht: Wie geht es mit meiner Firma ohne mich weiter? Beide haben die Frage auf ihre Art beantwortet.
Obwohl es im Leben eines Unternehmers kaum eine wichtigere Entscheidung gibt, wird sie allzu oft hinausgezögert. Oder vielleicht: gerade weil so viel daran hängt.
Unternehmerin im zweiten Anlauf
Bei Gabriela Manser schleicht sich das Thema zunächst unverfänglich an. «Als ich 52 war, fragten mich meine Kollegen im Verwaltungsrat das erste Mal, wie ich mir meine Nachfolge vorstellte.» Es ist eine Frage, die sie von da an jedes Jahr zu hören bekommt. Aber irgendwie ist das alles noch sehr weit weg.
Manser ist im zweiten Anlauf Unternehmerin geworden. Nach einer Ausbildung als Kindergärtnerin und einer Tätigkeit als Schulleiterin suchte sie mit Ende dreissig eine neue Herausforderung. Sie wagte den Schritt und übernahm in der dritten Generation von ihrer Familie die Mineralquelle Gontenbad (Goba), nachdem ihre Eltern keinen geeigneten Käufer gefunden hatten. Mit dem Holunderblüten-Erfrischungsgetränk Flauder landete das Appenzeller Unternehmen einen Erfolg, der es in der ganzen Schweiz bekannt gemacht hat.
Irgendwann wird der Verwaltungsrat in Sachen Nachfolge ungeduldig und fragt Manser, ob sie denn zumindest wisse, was sie nicht wolle. Da fällt ihr die Antwort leichter: «Ich will nicht, dass die Firma in einem Grosskonzern verschwindet», sagt sie. Und: «Ich will nicht, dass meine Mitarbeitenden den Arbeitsplatz verlieren.»
Mit solchen Bedingungen schränkte sie den Kreis der möglichen Käufer ein. Denn für einen Konkurrenten oder einen Finanzinvestor ist eine Firma gerade dann interessant, wenn er Synergien nutzen und Kosten senken kann.
Aber auch Family-Offices oder Pensionskassen, die in Schweizer KMU investieren, sind entweder an einer regelmässigen Dividende oder früher oder später an einem Exit interessiert, also einem Verkauf der Firma.
So wird Manser klar, dass sie sich am ehesten eine Lösung mit einer Stiftung als Käuferin vorstellen kann. Zufällig kommt sie bei einem Abendessen mit einem Vertreter der F. G. Pfister Holding ins Gespräch. Diese Beteiligungsgesellschaft investiert in Schweizer KMU. Ihr Ziel ist der Erhalt von Arbeitsplätzen. Das Geld dafür stammt aus der einst vom Unternehmer Fritz Gottlieb Pfister gegründeten Stiftung. Dieser flossen 2020 durch den Verkauf des Möbelhauses Pfister an die österreichische XXXLutz beträchtliche Mittel zu.
Gabriela Manser sagt diese Art von Käufer zu. Schon bald ist man sich handelseinig. Es wird verkauft. Aber damit ist die Angelegenheit für die Mineralwasser-Unternehmerin noch lange nicht vorbei.
Damit die Leute im Dorf noch grüssen
«Unser Ansatz ist nichts für Patrons, die sich möglichst rasch ausklinken möchten», sagt Rudolf Obrecht, der Verwaltungsratspräsident der F. G. Pfister Holding. Die Ablösung erfolge stets in Etappen. Man kaufe immer gleich eine Mehrheit an der Firma, in der Regel bleibe der Unternehmer aber für eine Übergangszeit noch mit 10 Prozent beteiligt.
Das ist auch bei Manser der Fall. Zudem ist es erwünscht, dass sich die Unternehmerin weiterhin einbringt und hilft, eine geordnete Übergabe sicherzustellen, indem sie ihr Fachwissen zur Verfügung stellt und ihr Netzwerk spielen lässt.
Nur weil im Hintergrund eine Stiftung steht, kann eine übernommene Firma nicht nachlässig wirtschaften. Zwar schöpft die F. G. Pfister Holding keine Gewinne ab. Aber sie stellt auch kein Kapital zur Verfügung. Anschaffungen wie neue Maschinen müssen die Betriebe aus eigenen Mitteln finanzieren können – so wie sie es als eigenständiges Unternehmen gemacht hätten.
Aus diesem Grund kauft die Holding keine Sanierungsfälle. Ebenfalls nicht infrage kommen Unternehmen mit einem überalterten Management. Denn wenn kurz nach dem Verkauf die Schlüsselpersonen in Rente gehen, erschwert das die Situation für einen neuen Besitzer.
Für die F. G. Pfister Holding ist es nicht das Ziel, die gekauften Firmen zu fusionieren, um Einsparungen zu erzielen und daraus ein grösseres Gebilde zu formen.
Das schränkt auch die Zahlungsbereitschaft der Holding ein: «Wer einen möglichst hohen Preis für sein Unternehmen erzielen will, ist bei uns an der falschen Adresse», sagt Obrecht.
Wichtiger sei anderes. Er bringt die Philosophie mit einem Satz auf den Punkt. Der Spruch stammt vom Patron einer übernommenen Firma, der sagte: «Ich will, dass mich die Leute im Dorf auch in fünf Jahren noch grüssen.»
Doch Nachfolgelösungen mit einer Stiftung wie im Fall von Gabriela Manser sind in der Schweizer KMU-Landschaft die Ausnahme. Die F. G. Pfister Holding schaut sich pro Jahr rund hundert Firmen an – und kauft davon ein bis zwei.
Die meisten verkaufswilligen Unternehmer müssen sich einen anderen Weg suchen. So wie Hans-Jürg Lüdi.
Umdenken in der Corona-Zeit
Lüdi wächst buchstäblich in der Familienfirma auf. Weil die Wohnung über der Werkstatt liegt, ist er schon als kleiner Bub oft im Betrieb unterwegs. Direkt nach der Mechanikerlehre tritt er in den Betrieb ein und bildet sich über Abendschulen zum Betriebsökonomen und Betriebstechniker weiter. Bereits mit 27 Jahren übergibt ihm der Vater die Leitung des Unternehmens.
Die Firma H. Lüdi + Co. AG stellt Spezialventile für Gase her und liefert Infrastrukturen für Labore. Sie ist auch ein Systemlieferant für Lasermaschinenhersteller. Mit 45 Mitarbeitern erzielt sie zwischen 15 und 20 Millionen Franken Umsatz.
Lüdi wird von seinen Mitarbeitern als «Patron im positiven Sinne» bezeichnet. Er schaut zu seinen Leuten. Ist immer um sieben Uhr am Morgen im Betrieb und meist der Letzte, der abends nach Hause geht.
Doch während der Corona-Pandemie ändert sich alles. Lüdi zählt als Raucher zu einer Risikogruppe und wird von seinen Mitarbeitern aus Sicherheitsgründen nach Hause verbannt. Er arbeitet ab dem Moment nur noch via Videokonferenzen. Zum Glück hat er vor der Covid-Zeit eine jüngere Generation an Kaderleuten in die Firma geholt. Diese signalisieren, dass sie den Betrieb auch so vorwärtsbringen werden, ohne direkte Anwesenheit von ihm.
Da reift der Gedanke: «Ich will endlich die Verantwortung loswerden.» Seine beiden Söhne sind anderweitig engagiert und haben kein Interesse, die Geschäftsführung zu übernehmen.
Und so organisiert seine Hausbank eine Vorstellungsrunde mit verschiedenen Beratern. Alle haben Ideen, wie sie Lüdis Firma verkaufen könnten. Am Schluss entscheidet er sich für das Team der M&A-Firma Proventis Partners.
«Viele unterschätzen den Aufwand», sagt der Berater Jan Wetter, der mit Lüdi die Transaktion abgewickelt hat. Es kämen immer wieder Unternehmer bereits mit einer Offerte zu ihm – und meinten, man könne die «einfach noch rasch über die Ziellinie bringen».
Er empfiehlt potenziellen Verkäufern, immer mit drei bis vier Interessenten zu sprechen, um die Angebote vergleichen zu können.
Und noch etwas ist ihm wichtig: «Manche Unternehmer empfinden einen Verkauf als ein Scheitern», sagt er. Das könne er zwar nachvollziehen, «doch das ist die falsche Einstellung.» Denn schliesslich sei es auch nicht im Sinne einer Firma, wenn eine Lösung in der Familie erzwungen werde, obwohl kein geeigneter Nachfolger bereitstehe.
Lüdi wünscht sich einen strategischen Käufer, keinen Finanzinvestor. Das Rennen macht ein deutscher Konkurrent, der mit dem weit entwickelten Know-how von Lüdis Unternehmen seine Produktepalette ausbauen und in höherwertige Bereiche vorstossen kann.
Für die Produktionsstätte im zürcherischen Regensdorf sollte sich mit dem Verkauf nichts ändern, schätzt Lüdi. Die neuen Besitzer haben keinen vergleichbaren Maschinenpark. Es ist aber auch klar, dass er dem Käufer keine Bedingungen wie etwa das Festhalten am Standort auferlegen konnte.
Weg – und trotzdem noch dabei
Auch nach der Unterzeichnung des Kaufvertrags ist die Trennung von der Firma weder bei Manser noch bei Lüdi ganz vollzogen. Beide haben noch Verpflichtungen. Beide sind mental noch eingebunden. Und doch spüren beide schon eine grosse Veränderung.
«Als Unternehmerin ist man mit Haut und Haar, mit Fleisch und Knochen mit dabei», sagt Gabriela Manser. Um Abstand zu gewinnen, räumte sie ihr Büro. Dies, obwohl die 62-Jährige im Moment noch einen Anteil an der Firma besitzt, mit einem kleinen Pensum mitarbeitet und weiterhin Verwaltungsratspräsidentin ist.
Ihre Art der Ablösung sei vermutlich nicht der einfachste Weg, sagt sie. Manser findet es aber auch gut, sich langsam aus dem Unternehmen lösen zu können. Denn: «Es hat seinen Reiz, dabei zu sein, ohne die CEO-Verantwortung tragen zu müssen.»
Hans-Jürg Lüdi hat sich verpflichtet, der Firma für zwei Jahre zur Verfügung stehen. Etwa zur Gewinnung neuer Projekte, zur Einarbeitung von Mitarbeitern oder zur Pflege wichtiger Kunden. Einen fixen Zeitplan hat er dafür nicht («Ich bin nicht führbar»), aber im Schnitt seien es etwa drei Stunden pro Tag.
Ein solches Engagement mag sich für die meisten nicht nach Ruhestand anhören. Für den 66-Jährigen ist es ein riesiger Unterschied zu seinem früheren Pensum. Er vergleicht die Verantwortung des Unternehmers mit einem schweren Rucksack: «Man trägt ihn die ganze Zeit, aber erst wenn man ihn abgenommen hat, fühlt man, wie schwer er wirklich war.»