Immer wieder müssen Biotechfirmen Leute entlassen oder gar den Betrieb einstellen, weil sie in Geldnot sind. Doch ohne ihre Aufbauarbeit würden viel weniger neue, innovative Medikamente zu den Patienten gelangen.
Biotechfirmen geniessen keinen besonders guten Ruf. Zwar wird ihrer Branche weitherum attestiert, bei der Entwicklung von Medikamenten gute Arbeit zu leisten und schon manchen medizinischen Durchbruch mit ermöglicht zu haben. Aber die Geschäftsmodelle gelten als unzuverlässig. Einer kleinen Zahl von Gewinnern, die, wie die Anbieter von mRNA-Impfstoffen, Biontech und Moderna, sagenhaft reich geworden sind, stehen unzählige «Bettler» gegenüber.
Diese verbrennen jahrelang Geld, weil sie nur forschen, aber noch nichts auf dem Markt haben. Gehen ihnen die Mittel aus, drohen sie sang- und klanglos zu verschwinden.
Gestiegene Zinsen belasten
Hierzulande kämpft gerade das Allschwiler Unternehmen Idorsia ums Überleben. Aus Geldmangel musste es sich im vergangenen Sommer bereits von mehreren hundert Mitarbeitern trennen. Höchst ungewiss ist auch, wie es mit der ebenfalls Baselbieter Biotechfirma Evolva sowie dem Genfer Unternehmen Obseva weitergeht.
Wegen der gestiegenen Zinsen haben sich die Finanzierungsbedingungen für die kapitalhungrige Biotechnologiebranche in letzter Zeit deutlich verschlechtert. Zudem kämpft auch dieser Sektor wie fast alle Wirtschaftszweige mit der Inflation. Löhne, Mietzinsen für Büros, Labors und Apparate sowie Verbrauchsmaterialien haben sich allesamt verteuert.
Insofern ist es auch wenig überraschend, dass die Ausgaben für Forschung und Entwicklung (F&E) im vergangenen Jahr branchenweit um 9 Prozent gesunken sind. Auch viele Biotechfirmen, die aus früheren Finanzierungsrunden noch über Kapital verfügen, müssen den Gürtel enger schnallen.
Pharmakonzerne brauchen dringend Neuheiten
In einer deutlich komfortableren Situation befinden sich die Pharmakonzerne. Sie erwirtschaften dank Medikamenten, die sie längst auf den Markt gebracht haben, wiederkehrende Einnahmen und können sich für die Finanzierung von Forschungsvorhaben weitgehend auf ihren Cashflow verlassen.
2023 gab Big Pharma laut dem Wertschriftenhaus Stifel fast 11 Prozent mehr für F&E als im Vorjahr aus. Diese hohe Zunahme mutet auf den ersten Blick erstaunlich an, beträgt sie doch mehr als das Zweifache des Marktwachstums in der Pharmabranche. Doch die grossen Medikamentenhersteller stehen unter grossem Druck, ihre Pipeline zu erneuern.
Laut Marktbeobachtern steuert der Sektor auf Jahre zu, in denen deutlich mehr Präparate als sonst üblich den Patentschutz verlieren werden. Sie werden damit nicht mehr vor der Konkurrenz durch Nachahmerprodukte geschützt sein, was ihr Einnahmenpotenzial empfindlich schmälert.
Erfreuliche Neuigkeiten aus der Schweiz
Die meisten Pharmakonzerne leisten sich noch immer reich dotierte Forschungsabteilungen. Doch die Zeiten, als sie fast alles selbst erprobten, sind vorbei. Vor allem für die früheren Phasen der Erforschung neuer Wirkstoffe ist Big Pharma zunehmend auf den Einsatz von Biotechfirmen angewiesen. Diese arbeiten als spezialisierte Organisationen oft deutlich schneller und gezielter als die eher schwerfälligen Multis. 2023 verdankten denn auch bereits fast sechs von zehn Medikamenten, die in den USA die Marktzulassung erhielten, ihre Entdeckung Biotechfirmen. 2015 waren es erst vier von zehn gewesen.
In den vergangenen Tagen haben mit Bioversys und AC Immune gleich zwei Schweizer Biotechfirmen prominente Partner aus der Pharmabranche erhalten. Bioversys wird künftig mit dem britischen Konzern GlaxoSmithKline in der Antibiotikaforschung enger zusammenarbeiten, AC Immune erhält – auf dem Gebiet der Behandlung von Alzheimer – Unterstützung durch das japanische Unternehmen Takeda.
Zugleich häufen sich Übernahmen von Biotechfirmen. Der Basler Pharmakonzern Novartis hat dieses Jahr schon zwei Akquisitionen, die von Morphosys aus Deutschland und von Mariana Oncology aus den USA, angekündigt. Das grosse Interesse von Big Pharma am Biotechnologiesektor ist erfreulich. Es zeigt, welches Potenzial nach wie vor in dieser Branche schlummert. So gesehen dürfte Biotech auch von der breiten Öffentlichkeit ruhig positiver wahrgenommen werden.