Der Impressionismus war die Revolution mit Licht und Farbe. Ihm widmen sich verschiedene Ausstellungen in Köln und Washington, aber vor allem auch an zahlreichen Schauplätzen im Land seiner Entstehung. Paris führt diese Parade mit einer grossen Schau im Musée d’Orsay an.
Die neue Bewegung hatte sich bereits angekündigt. So richtig nach vorne preschte sie aber im Frühling vor 150 Jahren. Vom 15. April bis zum 15. Mai 1874 zeigte eine neugegründete Künstlervereinigung, die sich «Société anonyme des artistes, peintres, sculpteurs, graveurs, etc.» nannte, ihre erste Ausstellung. Neben vielen anderen Bildern waren zwei Szenen von Claude Monet zu sehen, die später in Form von Kalenderblättern oder Plakaten um die Welt gingen.
Das erste Gemälde (1872) zeigt einen Hafen mit Kränen, Schiffen und Barken im Morgengrauen, dessen Dunst der Feuerball der aufgehenden Sonne durchbricht. «Impression, soleil levant» lautete der Titel lapidar. Das andere Bild (1873) gibt unter heiterem Himmel Frauen und Kinder beim Durchqueren einer Sommerwiese mit Klatschmohn wieder. Das Gemälde ist heute berühmt unter dem Titel «Les Coquelicots».
Insgesamt waren 30 Künstler mit 165 Exponaten vertreten. Neben einem guten Dutzend heute fast vergessener Maler und Grafiker wie Antoine-Ferdinand Attendu oder Édouard Brandon gehörten Zacharie Astruc, Eugène Boudin, Félix Bracquemond, Stanislas Lépine und Giuseppe de Nittis dazu. Für die grösste Aufmerksamkeit sorgten allerdings neben Monet vorab Paul Cézanne, Edgar Degas, Armand Guillaumin, Camille Pissarro, Auguste Renoir und Alfred Sisley sowie, als die einzige vom Katalog erfasste Frau unter den Ausstellenden, Berthe Morisot.
Frei von Bevormundung
Es wäre theoretisch ein Leichtes gewesen, die Schau auf einen harten Kern der Progressiven zu begrenzen. Doch dem standen finanzielle wie psychologische Überlegungen entgegen: Eine Erweiterung des Kreises bedeutete Mehreinnahmen durch die Mitgliederbeiträge. Zudem sollte die Presse nicht über Gebühr schockiert werden. Es galt schliesslich, die stattlichen Spesen allein für die Saalmiete und die rotbraune Stoffverkleidung der Wände durch den Verkauf von Eintrittskarten und Katalogbroschüren einzuspielen.
Für grosses Interesse sorgte allein schon der Umstand, dass Künstler den Mut hatten, im Schatten des Pariser Kunstbetriebs mit seinen vom Staat kontrollierten, über Wohl und Wehe entscheidenden Instanzen der Akademie und des Salons auf Unabhängigkeit zu pochen. Es war ein Novum, eine eigene Ausstellung auf die Beine zu stellen. Diese kam ohne staatliche Unterstützung zustande, blieb also von Bevormundung verschont und hielt auch den Kunstmarkt auf Distanz.
Von diesem wurde die Schau zwar durch Leihgaben bereichert, fand aber ohne seine Federführung und nicht in seinen Lokalitäten statt. Gezeigt wurde sie auf zwei Etagen des ehemaligen Fotografie-Ateliers Nadar mit der Adresse 35, Boulevard des Capucines. Die Vernissage wurde bewusst einige Tage vor Eröffnung des konventionellen Salons angesetzt.
Zum Salon, dem kontrovers diskutierten Nonplusultra des Kunstlebens, hatten viele junge Talente ein ambivalentes Verhältnis. Viele waren skeptisch gegenüber dem System, zu dem eine Jury gehörte, die Werke annahm oder refüsierte und Auszeichnungen in Gestalt von Medaillen vergab. In der Regel versuchten aber die meisten, sich mit dieser Veranstaltung zu arrangieren und durch sie Anerkennung zu erhalten.
Nicht zuletzt die Familien vieler Künstler drängten darauf, hier die neuen Werke, deren Entstehen sie subventioniert oder gar finanziert hatten, einzureichen. Das gesellschaftliche Prestige des Salons und die durch Teilnahme an ihm sich eröffnenden Perspektiven für eine Karriere mit ihren nicht zuletzt ökonomischen Aspekten waren starke Argumente.
Rebellen und Schmierereien
Zur Ausstellung der Société anonyme erschienen in der Presse gut vierzig Meldungen und Artikel. Man sprach von den Künstlern als «Ikonoklasten», «Rebellen» oder «Pinselhäretikern» und von den Exponaten als «Schmierereien», einem «Feuerwerk tollwütiger Paletten» oder einer «Kriegserklärung an das Schöne». Ins Kreuzfeuer gerieten Technik und Ausführung der «flüchtigen Impressionen, jener Skizzen, die man uns zu vollendeten Werken erklärt».
Das bereits zuvor praktizierte «non fini» werde jetzt zur Marotte und ende in einer Sackgasse. Es hiess aber auch, die Ausstellung würde diejenigen überzeugen, welche die Malerei um ihrer selbst willen liebten, und stelle keinen Tempel der Kunst dar, sondern bilde das Leben draussen ab.
Der Kunstkritik waren viele der Ausstellenden schon in den 1860er Jahren aufgefallen. Damals wurden sie als Debütanten wahrgenommen, die neue Wege beschritten, dabei vor allem die Kunst Gustave Courbets und Édouard Manets als Vorbild schätzten, vom Zeichnen und Malen unter freiem Himmel wichtige Impulse empfingen und Licht und Farbe als Primat begriffen. Der erste Salon, an dem bereits Kunst etwa von Degas, Monet, Pissarro, Renoir, Sisley und Berthe Morisot präsentiert wurde, war jener des Jahres 1865.
Damals gab es durchaus auch positive Stimmen. Zu Berthe Morisot hiess es in Rezensionen, in naher Zukunft würden Frauen wie sie zeigen, was gute Malerei sei. Monet wurde ebenfalls wohlwollend besprochen, doch 1868 drehte sich der Wind. Nun wurde er als «Exzentriker» bezeichnet, der geradezu «gewalttätig» und «exzessiv» wirke, aus einer Attitüde der «Revolte» heraus, die sich in übertrieben leuchtenden Tönen manifestiere. Auch Renoir gehöre zu den «jungen Verrückten». In dieselbe Kerbe schlugen Karikaturisten, für die solche Sensationen in Ausstellungen willkommene Vorlagen waren.
Journalisten in Verlegenheit
Angesichts schon damals refüsierter Werke und teilweise herber Kritik lag die Idee, eine freie Gruppenausstellung zu organisieren, in der Luft. Schon 1867 hatte der Maler Frédéric Bazille, ein Freund von Monet und Renoir, seiner Mutter anvertraut: «Ein Dutzend junger Leute von Talent denkt wie ich. Wir haben deshalb entschieden, jedes Jahr ein grosses Atelier zu mieten und so viel unserer Werke zu zeigen, wie wir wollen. Wir laden die Maler, die uns gefallen, ein, uns Bilder zu schicken. Ihr werdet sehen, man wird von uns sprechen.»
Als dieses Vorhaben 1874, nach Jahren des Haderns und umwälzender politischer Ereignisse – des Deutsch-Französischen Kriegs von 1870/71, des Untergangs des Second Empire und der Proklamation der Dritten Republik –, endlich umgesetzt wurde, begann für die Presse das Problem schon beim Titel ihrer Artikel. Weil die Teilnehmer ihre Schau nur «Première exposition» genannt hatten, waren Journalisten in Verlegenheit.
Die ersten Beiträge hiessen oft neutral und sachlich: «Die Ausstellung am Boulevard des Capucines». Alternativ fanden Überschriften wie «Freie Ausstellung», «Gegenausstellung» oder «Ausstellung der Revoltierenden» Verwendung. Nur eine Minderheit titelte schliesslich: «Ausstellung der Impressionisten».
Das hatte mit zwei ausgewiesenen Experten zu tun, die dem allgemeinen Bedürfnis nach einem Etikett mit ihren Wortprägungen entgegenkamen. Am 25. April 1874 benutzte der Kritiker Louis Leroy in der satirischen Zeitung «Le Charivari» erstmals die Bezeichnung «Impressionist». Die ganze Bewegung hatte Jules-Antoine Castagnary im Blick, als er am 29. April 1874 in der Zeitung «Le Siècle» erstmals vom «Impressionismus» schrieb.
Dies bedeutete allerdings nicht, dass darunter eine positive und gültige Errungenschaft verstanden wurde. Vielmehr wurde an eine Diskussion der 1860er Jahre angeknüpft, bei der es um den Unterschied zwischen vollendeten und unvollendeten Werken ging. Und es bedeutete auch nicht, dass sich der Begriff gleich durchsetzte. Der Impressionismus etablierte sich erst mit der Zeit als feste Bezeichnung für die grosse Revolution der Malerei mit Licht und Farbe.