Gregory Germond betreibt das einzige Sportantiquariat der Schweiz. Und merkt, dass das Land keine ausgeprägte Sportkultur hat. Er sagt: «In Kanada brauchte ich mit meinen Eishockey-Schätzen eine Hochsicherheitsanlage.»
Der Ort im Zürcher Oberdorf, wo Gregory Germond seit 23 Jahren sein Sportantiquariat betreibt, hat eine bewegte Vergangenheit. Die Vormieter boten Hanfprodukte und Thai-Massagen an. Und in diesem Haus hinter dem Grossmünster soll der Universalgelehrte Conrad Gessner an Pest gestorben sein. Wer sich gerne an Kuriositäten labt, ist an der Frankengasse 6 an der richtigen Adresse.
Germonds Laden lockt Sammelwütige aus der ganzen Welt an. Aber nicht alle von seinen Schätzen sind auf den ersten Blick als solche erkennbar. An einer Bücherwand hängt ein alter, verblichener Sack, bei dem erst das Preisschild verrät, dass es sich um eine echte Rarität handelt.
Es ist die Tasche des verstorbenen Eishockey-Torhüters Martin Riesen, der von 1954 bis 1964 für den HC Davos spielte und Einsätze in der Schweizer Nationalmannschaft hatte. Aufgedruckt sind seine Nummer 1 und sein Spitzname «Martino». Mithilfe von Historikern hat Germond dieses Stück in seinen Besitz gebracht. Aber legt dafür tatsächlich jemand 750 Franken auf den Tisch?
Germond hält den Preis für angemessen, ja sogar für «einen schlechten Witz». Er sagt: «Eine Sitzplatz-Saisonkarte beim EV Zug kostet mehr. Oder wenn du an deinem Auto eine neue Stossstange brauchst, ist das teurer, und es gibt erst noch nur Blech dafür!»
Das erste Buch hat er noch immer nicht verkauft – dieser Beruf ist ein Marathon
Die meisten von Germonds Memorabilia sind im niedrigen Preissegment zu finden, etwa ein Bierdeckel des FC Lugano von zirka 1960 für 8 Franken. Oder eine Autogrammkarte des einstigen Fifa-Schiedsrichters Jean Dubach für 12 Franken.
In Germonds Sportantiquariat wimmelt es von seltenen Exemplaren: An einer Bücherwand hängt die Goalietasche von Martin Riesen, der von 1954 bis 1964 für den HC Davos spielte.
Und es stehen unzählige Bücher in den Regalen – auch jenes, welches als erstes in den Ladenbestand gelangte und in all den Jahren nie verkauft wurde: «Der Läufer von Marathon», ein in Frakturschrift publizierter Roman von Werner Scheff, der davon handelt, wie an den Olympischen Spielen 1932 in Los Angeles drei Sportler um eine hübsche Wasserspringerin buhlen.
Im Einband hat Germond einen Verkaufswert notiert, 18 Franken. «Mit Bleistift natürlich», sagt Germond, schliesslich seien Preisanpassungen in seinem Metier gang und gäbe. «Dieses Buch ist meine Bestimmung. Auch ich habe mit meinem Laden einen Marathon angefangen.»
Und diese Geschichte begann so: Germond arbeitete zuvor in einem anderen Antiquariat, welches sich nicht auf ein Genre spezialisiert hatte. Und dort habe ihm immer gefallen, wenn er auf Sportinteressierte getroffen sei, weil es mit diesen den lebhaftesten Austausch gegeben habe. «Bei dieser Klientel konnte ich mitschwatzen. Es waren keine Gelehrten, denen ich nur mit offenem Mund zuhören konnte.»
Germond, 55 Jahre alt, Sohn eines Waadtländers und einer Schottin, ist ausschweifender Konversation durchaus zugeneigt, er hat etwas Dandyhaftes. Also eröffnete er ein eigenes Antiquariat, welches sich ganz dem Sport widmete, als einziges in der Schweiz. In den Anfängen arbeitete Germond zusätzlich abends auf der Sihlpost, heute verdient er mit dem Antiquariat seinen Lebensunterhalt.
Und, wie gut läuft es? Germond sagt: «Je mehr ein Antiquar jammert, desto besser geht es ihm.» Germond jammert an diesem Tag eher selten. Gewinne müssten halt gleich wieder investiert werden.
Um in seinem Laden einen Bestand aufzubauen, klapperte er Brockenhäuser und Flohmärkte von Genf bis Romanshorn ab. Einmal fuhr er morgens mit dem TGV nach Paris, um ein paar Kisten zu durchwühlen – und abends wieder zurück. Er inspizierte Nachlässe von Verstorbenen. Oder inserierte in Publikationen, die vornehmlich von älteren Herren gelesen wurden, bei denen er am ehesten Funde von sporthistorischem Wert vermutete. Sein erster Kunde war der Archivar des TSV 1860 München, dessen Frau dem Grasshopper-Club zugeneigt war.
Wertvolle Boxheftchen – aber: «Turnen ist Horror!»
Germonds zurzeit wertvollster Besitz: «Boxiana», eine Sammlung von britischen Boxheftchen aus dem Jahr 1829. Was heute Open-Air-Konzerte seien, seien damals Boxmeetings gewesen, sagt Germond. Es sei drei Tage lang gekämpft worden, bis einer der Boxer einfach keine Kraft mehr gehabt habe. Und in den Heftchen sei sogar detailliert aufgelistet, was die Athleten gegessen hätten. Diese Sammlung sei einst in Umlauf gekommen, weil ein englischer Bierbrauer seine Bibliothek aufgelöst habe. Germond sagt: «Für vier Tonnen würde ich sie verkaufen!» Und meint damit 4000 Franken.
«Boxiana», eine Sammlung von britischen Boxheftchen aus dem Jahr 1829, ist das Wertvollste, was Germond in seinem Besitz hat. Im niedrigen Preissegment finden sich Souvenirs wie Maskottchen.
Sein bester Verkauf: eine Goldmedaille der Fussball-WM 1950, wie sie an die siegreichen Uruguayer abgegeben wurden. Eine solche habe auch der in Zürich verstorbene Fifa-Generalsekretär Ivo Schricker besessen. Und er, Germond, habe sie aus dessen Nachlass erwerben können.
Sein überraschendster Verkauf: eine Uhr eines Eishockey-Schiedsrichters, die genormt war auf die Länge eines Spieldrittels, zusammen mit einer dieser furchterregenden Masken, wie sie Eishockey-Goalies früher trugen, als spielten sie in einem Gruselfilm mit. Für diese beiden Gegenstände habe ein Kunde 500 Franken hingeblättert.
Nicht erklären kann sich Germond hingegen, weshalb er Artikel aus dem Turnen kaum unter die Leute bringt, obwohl die Sportart reich an Tradition ist. Germond sagt: «Turnen ist Horror!» Er besitze die vielleicht ältesten Sportdokumente der Schweiz, Protokolle der Turngesellschaft Zürich, verfasst vor fast zweihundert Jahren in Sütterlinschrift, doch kaum jemand interessiere sich dafür. «Präsentiere ich jedoch das komplette Panini-Sammelalbum der Fussball-WM 1970, wirft sofort jemand zweitausend Franken auf.»
Sammelbilder gab es schon 1933, auch von der Schweizer Fussball-Nationalliga. Weil in dieser damals Tabakfirmen als Sponsoren aufgetreten seien, seien die Bildchen zusammen mit Zigarettenpäckli vertrieben worden, erzählt Germond. Er kramt das Konterfei des Engländers James Townley hervor, der hierzulande als Spieler und Trainer sesshaft wurde. Als dieser dann den FC St. Gallen betreut habe, sei der grosse Chelsea FC auf die Idee gekommen, eine Tournee durch die Schweiz zu machen. Eine Geschichte zu jeder Devotionalie gibt es von Germond gratis dazu.
Er weiss auch von seltenen Exemplaren zu erzählen, die nicht in seinem Besitz sind. So gebe es im Furttal eine Fressbeiz, in der ein eingerahmtes Maillot jaune des einstigen Radstars Hugo Koblet hänge. Und in Davos sei ein Weltmeistergürtel des Ringers John Lemm ausgestellt, der sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen Namen als «Swiss Hercules» gemacht habe und später im Bündner Kurort als Marroniverkäufer bekannt gewesen sei. Für eine Gruppe Tschechen, die jedes Jahr an den Spengler-Cup komme, sei es zum Ritual geworden, den Gürtel zu besichtigen.
Dann fügt Germond mit einem Schmunzeln an: «Aber nur vom Geschichtenerzählen kann ich nicht leben. Emotionalität ist in meinem Geschäft ein Hindernis. Ich muss primär verkaufen.»
Das Rätsel um ein Handballspiel in Spanien
Hie und da steht Germond vor einem Rätsel. So bietet er einen Wimpel an von einem Handballspiel zwischen Spanien und Deutschland von anno 1965 – und ist überzeugt, dass die Partie gar nie stattgefunden hat. In den Statistiken habe er keinen Beweis für eine Austragung gefunden.
Und es gibt Vorgänge, die seine Branche betreffen, die bei Germond Entsetzen auslösen. Etwa, dass die Fussballklubs in England nicht mehr verpflichtet sind, Matchprogramme zu produzieren, mit der Begründung, die finanzielle Last sei für sie zu gross. Germond brechen dadurch Artikel weg, die er dereinst vielleicht in sein Sortiment hätte nehmen können. Der Verkauf von Matchprogrammen habe früher geboomt, sagt Germond, ja die Klubs hätten gar eine Person angestellt, die nur Matchplakate gestaltet habe. Eine Kultur, die unterdessen dem Mammon gewichen ist.
Germond hat einen Wimpel von einem Handballspiel zwischen Spanien und Deutschland im Jahr 1965, von dem er glaubt, dass es gar nie stattgefunden hat. Ein Shirt, das die kolumbianische Fussballikone Carlos Valderrama getragen hat. Und ein uraltes Abziehbild von James Townley, der den grossen Chelsea FC in die Schweiz brachte.
Manchmal geht Germond selbst ins Stadion. Er ist im Letzigrund anzutreffen und ist Mitglied im Förderverein des FCZ-Museums. Aber noch mehr fesselten ihn die Matchbesuche, als in der Saison 1990/91 in seiner Geburtsstadt Lausanne ein gewisser Stéphane Chapuisat zauberte. Germond ist überzeugt: «Hätte Chappi damals nicht in der Winterpause zu Uerdingen gewechselt, wäre Lausanne Meister geworden. Nach seinem Abgang ging ich kaum noch auf die Pontaise.» Lausanne hat zu Germonds Lebzeiten keinen einzigen Meistertitel errungen.
Germond hatte auf Amateurniveau Landhockey gespielt, in ähnlichen Gefilden wie der Medienunternehmer Roger Köppel. Und einmal habe er sich für den Zürcher Silvesterlauf angemeldet, so Germond. Als er dann ein komisches Gefühl in der Schulter verspürt habe, sei er jedoch nicht angetreten.
Was Germond irritiert: wenn ihm Leute sagen, dass Sport doch etwas sei, was man ausübe – und nicht geeignet sei als Stoff für Bücher. Da wird ihm wieder bewusst, dass vielen Schweizern nicht der Sinn nach Sportkultur steht. «In Kanada brauchte ich mit all den Eishockey-Schätzen eine Hochsicherheitsanlage für meinen Laden.»
Als der Generaldirektor des Internationalen Olympischen Komitees in den Laden platzte
Es gibt aber auch viele Leute im Ausland, die Germonds Angebot zu schätzen wissen. Einmal liess sich ein Japaner von ihm ein Buch über den Arlberger Skipionier Hannes Schneider schicken, weil dieser einst seine Skitechnik in Asien verbreitet hatte.
Und einmal rief sogar jener Mann bei Germond an, welcher weltweit als der grösste Sammler von Olympia-Souvenirs gilt, ein reicher Brasilianer aus dem Dschungel in Manaus. Nur wusste Germond damals nicht, wen er am Telefon hatte. Als er dem Brasilianer beschieden habe, dass bei ihm eine Bezahlung via Online-System nicht möglich sei, habe dieser einfach aufgelegt. Nachdem Germond später aufgeklärt worden war, ärgerte er sich noch Jahre über diese verpasste Geschäftsbeziehung.
Da sei die Begegnung mit François Carrard, dem früheren Generaldirektor des Internationalen Olympischen Komitees, glimpflicher verlaufen. Er habe Carrard, als dieser in seinen Laden gekommen sei, zunächst für jemanden gehalten, der sich in der Tür geirrt habe – und ihn schon genervt zum benachbarten Münz- und Postkartenhändler schicken wollen. Zum Glück habe er seinen Irrtum noch rechtzeitig bemerkt.
Germond könnte noch stundenlang erzählen. Aber der Hunger des Reporters nach Geschichten ist gestillt. Und der nächste Nerd steht schon bereit, mit dem Germond ausgiebig darüber debattieren kann, ob die peruanische Fussballnationalmannschaft an den Olympischen Spielen 1936 nun tatsächlich betrogen wurde.