Der Dortmunder Ermittler Faber muss abtauchen. Es ist die Rückkehr in seinen Urzustand des einsamen Wolfs. Wird die Figur das alles überleben?
Im Dortmunder Mordkommissariat ist der innere Konflikt seit je steil angelegt. Und mag es sich gelegentlich so anfühlen, als wäre die aufgeraute Ruhrpott-Spielart des Sonntagskrimis ein bisschen übertrieben geraten, so wirkt der Ausnahmezustand in dieser 26. Dortmunder Folge grad wieder absolut zeitgemäss – von der Realität eingeholt, wie es so schön heisst: deutsche Wirklichkeit hart, «Tatort» Dortmund hart.
Die Zeichen stehen auf Disruption. Und während der Anspruch des Krimiformates, Gegenwartsaspekte zu verhandeln, ja oft in öffentlichrechtlich moderiertem Sozialkitsch mündet, passt die miese Stimmung hier prima: Alles muss den Bach runter, damit es vielleicht irgendwann wieder aufwärtsgeht.
Peter Faber ist der Letzte aus dem Gründungsteam in Dortmund; der Rest ist (oft im Streit mit dem damaligen Hauptkommissar Faber) gegangen oder wurde im Einsatz erschossen. Nun wird Faber, der von Anfang an das Zentrum der Spannungen bildete und dementsprechend viele Feinde hat, selber zum Verdächtigen.
Hochspannend
Die Frage ist, ob es Kommissar Faber (Jörg Hartmann) am Ende dieses Falls noch geben wird. Und damit das alles auch solide auf dem bisher Geschehenen aufbaut im gepflegten horizontalen Erzählen, zeichnet der Spiritus Rector dieses Teams, Jürgen Werner, wieder fürs Drehbuch verantwortlich. «Abstellgleis» ist der fünfzehnte Fall des Dortmunder Hausautors. Es ist ein hochspannender Kriminalfilm (Regie: Torsten C. Fischer) und ein Paradebeispiel dafür, wie man einen Kommissar unter Verdacht stellt.
Ein Coup also, der mit dem üblichen Hickhack beginnt. Die neue Chefin Ira Klasnić (Alessija Lause) desavouiert und schikaniert bekanntlich gerne ihr Team. So kommandiert sie Faber und Rosa Herzog (Stefanie Reinsperger) ab zu einem Autounfall mit Todesopfer und Fahrerflucht. Das ist unter dem Niveau der Mordaufklärer, die den Fall mit einem leichten Zug der Verachtung angehen. Zumal es am Unfallort schon keine Leiche mehr zu inspizieren gibt, weil der Kriminaltechniker und Faber-Intimfeind Sebastian Haller (Tilman Strauss) die Tote flugs hat abräumen und in die Rechtsmedizin bringen lassen.
Die Erkenntnisse der Rechtsmedizin fliessen spärlich: Ein SUV-Fahrer hat offensichtlich mit hoher Geschwindigkeit eine Frau angefahren, womit ein Beziehungsdelikt naheliegt. Der Ex-Freund der Toten, ein dubioser Kunsthändler, gerät ins Visier der Kommissare. Ihm werden Kontakte zur albanischen Mafia nachgesagt. Bevor Faber und Herzog richtig warmgelaufen sind im Ermittlungs-Puzzle von Obduktionserkenntnissen, Befragungen und Indizien, gibt es ein neues Opfer in den eigenen Reihen: Sebastian Haller liegt mausetot in seiner Wohnung.
Endlich, so denkt man unweigerlich, ist es einmal gut mit dieser toxischen Männlichkeit; Haller war mit seinen Winkelzügen gegen Faber in den letzten beiden Episoden nurmehr eine Karikatur. Eine kleine Sensation, wie Jürgen Werner nun kurzen Prozess macht mit ihm. Aber in Dortmund ist die Rückkehr zur heilen Welt seit je versperrt: Alle haben mitbekommen, wie Faber, der Haller die Schuld am Tod der Kollegin Martina Bönisch gibt, am Vortag noch in der üblichen feindseligen Art mit diesem herumstritt. Nun steht Faber unter Mordverdacht.
Ausgerechnet Fabers Ex-Kollege Daniel Kossik (Stefan Konarske) wird mit dem Fall beauftragt. Er hatte schon einmal eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Faber veranlasst und wechselte dann zum LKA, weil er mit Fabers eruptiver Art nicht klarkam. Kossik will den Kommissar in die Ecke treiben, bis der «genügend Lügen erzählt» hat, damit er «aus der Sache nicht mehr rauskommt».
Fortsetzung geplant
Mag die Hydra, der sich Faber gegenübersieht, auch einen Kopf verloren haben, es wachsen ihr grad zwei neue. Faber taucht ab. Man kann hier zusehen, wie der Mordaufklärer zurückkehrt in seinen Urzustand des einsamen Wolfs.
«Abstellgleis» ist ein atemraubender Film, obwohl eigentlich gar nicht viel passiert. Es ist eine grossartige Studie über negativen Zusammenhalt, der zur individuellen Rechtfertigung des Amoralischen wird. Faber steht unter Druck wie noch nie – und mit ihm Rosa Herzog. Ausgerechnet der «Tatort»-Kommissar der miesen Tricks muss jetzt die sittliche Katastrophe abwenden. Dafür reicht eine Folge nicht. Am Ende wird ein Mörder gefunden, aber es wird eine Fortsetzung geben. Gute Aussichten.
«Tatort» Dortmund: «Abstellgleis». Sonntag, 30. März um 20.05 Uhr auf SRF 1 und um 20.15 Uhr in der ARD.