In Österreichs Hauptstadt findet am Sonntag der erste Stimmungstest statt, seit die FPÖ das Kanzleramt verspielt hat. Während es intern deswegen auch Kritik gibt, scheint es der Partei an der Basis kaum zu schaden.
Trotz kühlem Wetter herrscht Volksfeststimmung in der Grossfeldsiedlung. Errichtet in den sechziger Jahren, bilden die Plattenbauten am nordöstlichen Rand von Wien bis heute die grösste kommunale Wohnanlage der Stadt: Rund 13 000 Menschen leben hier. An diesem Samstagnachmittag hat die FPÖ zum Gemeindebaufest geladen. Zwischen den Hochhäusern stehen Festbänke und ihr «Würstelwagen» mit Grill. Es gibt Spanferkel, Bier und Prosecco vom Fass, während Sänger auf der Bühne Evergreens schmettern. Einige Paare tanzen dazu auf der Wiese vor der Bühne.
Der Anlass findet regelmässig statt, aber so kurz vor der Wahl in Wien dient er vor allem dem Wahlkampf. Darum ist auch der Wiener FPÖ-Chef Dominik Nepp gekommen. Er wettert in seiner Rede über die Teuerung, die Jugendkriminalität, eine seiner Ansicht nach verfehlte Asylpolitik und vor allem über die Sozialdemokraten. Während die Partei auf Bundesebene Einschnitten für Rentner zugestimmt habe, werde Zuwanderern das Geld nachgeworfen, kritisiert er. Der Spitzenkandidat der Freiheitlichen erntet viel Zustimmung, nach seinem Auftritt verteilt er Autogramme und posiert für Selfies.
Die FPÖ dürfte ihr Rekordergebnis deutlich verpassen
Floridsdorf, wo sich die Grossfeldsiedlung befindet, ist einer der beiden grossen Wiener Bezirke jenseits der Donau, wo die Mieten etwas günstiger sind und einst hauptsächlich Arbeiter lebten. Es ist eine Hochburg der Freiheitlichen. Zwei Mal schnitten sie hier bereits stärker ab als die in der Hauptstadt seit über hundert Jahren dominierende SPÖ: Bei der Wien-Wahl 2015 und vor einem halben Jahr bei der nationalen Parlamentswahl – wenn auch nur mit einem Vorsprung von 175 Stimmen. Den Bezirk auch auf Gemeindeebene wieder blau einzufärben, ist deshalb das Ziel der FPÖ.
Es kann aber höchstens ein «Duell» um Floridsdorf geben am Sonntag und nicht um ganz Wien, wie es die Rechtspopulisten auf einem Höhepunkt ihrer Stärke 2015 noch ausgerufen hatten. Es ist so gut wie sicher, dass der populäre Amtsinhaber Michael Ludwig auch nach der Wahl im Rathaus verbleiben wird. Die SPÖ liegt in den Umfragen mit knapp 40 Prozent meilenweit vor der Konkurrenz. Die FPÖ dürfte ihr Rekordergebnis von vor zehn Jahren deutlich verfehlen. Dennoch steht schon fest, dass sie die grosse Siegerin sein wird. 2020 war die Partei nach dem Ibiza-Skandal auf nur noch 7 Prozent abgestürzt. Diesen Wert könnte sie am Sonntag verdreifachen.
Die Wahl in Wien ist schon deshalb stets relevant, weil hier mehr als 20 Prozent der österreichischen Bevölkerung leben. Dieses Jahr ist sie darüber hinaus ein wichtiger Stimmungstest, insbesondere für die FPÖ. Nach ihrem Sieg bei der Nationalratswahl vom letzten Herbst stand ihr Chef Herbert Kickl zu Jahresbeginn kurz davor, erstmals für die Partei ins Kanzleramt einzuziehen. Er scheiterte allerdings – an seiner Radikalität, wenn man der politischen Konkurrenz glaubt, oder an seiner Prinzipientreue, wie er selbst es darstellt.
Die FPÖ verpasste damit eine historische Gelegenheit, auf die sie seit gut dreissig Jahren hingearbeitet hatte. Er hätte für die Macht seine Wähler verraten müssen, erklärte Kickl, nachdem er den Auftrag zur Regierungsbildung Mitte Februar zurückgelegt hatte. Diese Darstellung hat die gesamte Parteiprominenz übernommen – auch Dominik Nepp. Man sei durchaus zu Kompromissen bereit gewesen, aber seitens der konservativen ÖVP sei nicht ehrlich verhandelt worden, erklärte er in einem ORF-Interview. «Wir sind uns selbst treu geblieben», so der Chef der Wiener Landespartei.
Hinter vorgehaltener Hand gibt es aber auch Kritik am Vorgehen Kickls, etwa aus Unternehmerkreisen oder aus den Bundesländern. Einige der damaligen Verhandlungsführer hätten gerne mit der ÖVP regiert – gerade in der Wirtschafts- und Migrationspolitik hätte die FPÖ mit den Konservativen eigene Anliegen umsetzen können. Stattdessen drohen nun weitere lange Jahre auf den Oppositionsbänken.
Kritik an der «Verlierer-Ampel»
Beim Gemeindebaufest in Floridsdorf verfängt Kickls Argumentation dagegen mehrheitlich. Es sind ohnehin oft sehr lokale Themen, die die Menschen beschäftigen. Die Bushaltestelle sei seit letztem Jahr weiter entfernt, klagt eine Frau, und die Kinder der ausländischen Nachbarn spielten zu laut im Hof. Die Pflegerin, die ihren Namen nicht nennen will, stammt aus einer roten Familie, wie sie erzählt – die Eltern waren treue Sozialdemokraten. Früher habe sie die FPÖ aus Protest gewählt, heute tue sie das aus Überzeugung. «Sie ist die einzige Partei, die für uns da ist und nicht für die Gstopftn» (Reichen), sagt sie in breitem Wiener Dialekt.
Die 52-Jährige räumt ein, dass man in der Regierung mehr erreichen könne als in der Opposition. «Kickl ist kein Messias», meint sie auch. Aber er habe sich nicht erpressen lassen. Politisches Mobbing hätten die anderen gegen ihn betrieben. So habe er eigentlich gar keine Chance gehabt.
Ähnlich sieht es auch Helmut Amtmann, der seiner Kritik wüste Schimpftiraden beifügt. Wie Kickl und Nepp nennt er die neue Regierung «Verlierer-Ampel». Die drei Parteien hätten sich zusammengetan, obwohl sie total konträre Positionen hätten – nur um die FPÖ zu verhindern. Den 71-jährigen ehemaligen Gerüstbauer stören vor allem die Kriminalität und die Messerstechereien. Eben erst sei es wieder zu einem gewaltsamen Streit zwischen Syrern gekommen bei einer nahen U-Bahn-Station, erzählt Amtmann. Ohne das Innenministerium, auf dem die ÖVP in den Verhandlungen bestanden hatte, hätte die FPÖ in diesem Bereich sowieso nichts machen können, meint der Rentner.
«Herbert Kickl hätte ganz einfach Kanzler werden können», sagt Karl Mareda, der für die FPÖ Bezirksvorsteher von Floridsdorf werden will. Aber er hätte dafür seine Wahlversprechen brechen müssen, und das wollten die Leute nicht mehr. Der jetzige SPÖ-Bezirksvorsteher habe etwa vor der Wahl 2020 versprochen, die städtische Kurzparkzone werde nicht auf Floridsdorf ausgedehnt, und das sei dann trotzdem gekommen, erzählt Mareda. Doch was die FPÖ vor der Wahl sage, das gelte auch nach der Wahl. So erkläre er jeweils die Situation. «Zum Glück verstehen das die Leute.»