Im Klerus gehen die Meinungen auseinander. Bei einem Besuch im Kreml hat der Patriarch nun aber ein Machtwort gesprochen.
Die Studentenproteste in Serbien sind viel mehr als nur Proteste von Studenten. Es sind Demonstrationen gegen Korruption und für einen transparenten Staat. Ihnen haben sich neben den Universitäten und ihren Rektoren auch Bauernverbände angeschlossen, Lehrergewerkschaften und ein grosser Teil der urbanen Mittelklasse.
Die einflussreiche, staatsnahe orthodoxe Kirche hingegen beteiligt sich nicht an den Protesten. Bei dem Besuch von Patriarch Porfirije im Kreml sagte das Oberhaupt der serbischen Kirche am Dienstag, in seinem Land finde eine «farbige Revolution» statt. Gemeint ist damit ein vom westlichen Ausland angezettelter und gesteuerter Aufstand, mit dem Ziel, das bestehende Regime zu stürzen.
An Putin gewandt, fuhr Porfirije laut der russischen Nachrichtenagentur Novosti fort: «Ich hoffe, wir können dieser Versuchung widerstehen.» Die Proteste gingen nämlich von «Machtzentren im Westen» aus, die verhindern wollten, dass Serbien seine Identität und Kultur erfolgreich verteidige. Der russische Präsident antwortete lediglich, er wisse, die Lage auf dem Balkan sei schwierig.
Der ebenfalls anwesende russische Patriarch Kirill wurde deutlicher: Serbien sei ein orthodoxes Land, das weit im Westen liege und dessen Einflüssen ausgesetzt sei. Davon hätten Wissenschaft und Kultur profitiert. Was jetzt aber aus dem Westen komme – moralisch und ethisch – sei Teufelswerk, so Kirill. Sein serbischer Amtsbruder habe das bestätigt, schreibt Novosti.
Uneinigkeit im Klerus über den Protest
Damit ist klar: Das Zögern der Kirchenoberen, wie der Protest der Jugend zu bewerten sei, ist vorbei. Porfirije übernimmt voll und ganz die Position von Präsident Aleksandar Vucic, der schon früher von einer «farbigen Revolution» gesprochen hatte. Gemäss dieser sind die Studentinnen und Studenten entweder naive Werkzeuge des Auslands oder dessen Agenten.
Die serbische Kirche ist gesellschaftlich einflussreich, aber weniger hierarchisch aufgebaut als die katholische. Porfirijes Worte im Kreml werden deshalb die unterschiedlichen Stimmen in der Kirche kaum zum Schweigen bringen. Denn im Klerus sind die Meinungen geteilt, wie die Kirche mit der gesellschaftlichen Krise und dem Protest gegen das Regime umgehen soll.
So liessen Priester in Nis, der drittgrössten Stadt des Landes, die Kirchenglocken zur Begrüssung der Demonstrationszüge läuten und mischten sich in ihren schwarzen Kutten unter die Studentinnen und Studenten.
Der Priester Nikola Simic aus einem Dorf in der ländlichen Sumadija soll an den Protesten teilgenommen haben und wurde deshalb von dem Bischof der Region des Amtes enthoben. Nun wird ein Kirchengericht über den Fall urteilen.
Eine Kontroverse provozierte der Metropolit (Oberbischof) der Kleinstadt Krusevac, der Ende Februar den Studenten warnend mitteilte, dass «die Revolutionen in allen Farben» am Schluss immer nur eine hätten, nämlich das Rot des Blutes. Er verglich die geschlossenen Versammlungen der Studenten mit Freimaurerlogen und soll sie – was er inzwischen bestreitet – als serbische «Ustase» beschimpft haben. Die Ustasa war eine faschistische kroatische Bewegung, die in den 1940er Jahren einen Genozid an Serben, Juden und Roma beging.
Dagegen erhob sich weiter Protest. Auch die Kirchenleitung griff bei manchen Polemiken ein, etwa als auf ihrer offiziellen Website ein Autor behauptete, die Studenten lebten in einer antichristlichen und antiserbischen Parallelwelt. Der Beitrag wurde gelöscht.
Die Proteste sind nicht antiklerikal
Sieben hochrangige Würdenträger distanzierten sich in einem offenen Schreiben vom Kurs der Kirche, wobei sechs von ihnen den Amtssitz im Ausland haben. Unter ihnen ist auch Bischof Grigorije, der zuständig ist für die serbisch-orthodoxen Gläubigen in Deutschland.
Er tritt seit Monaten öffentlich für die Studenten ein. Eine Protestgruppe, die mit ihren Velos nach Strassburg zum Europarat unterwegs war, liess er in einer seiner Kirchen in München übernachten. Manche Beobachter sagen dem charismatischen Geistlichen Ambitionen auf das Amt des Patriarchen nach.
Wichtig zu wissen ist dabei, dass dieser Protest keineswegs antikirchlich gestimmt ist. Die Studenten und ihre Sympathisanten sind politisch und weltanschaulich eine sehr heterogene Gruppe. Auf den Protestmärschen tragen sie oft die Fahne des Heiligen Sava, des serbischen Schutzpatrons der Bildung. Einige von ihnen hatten gerade das Osterfest gefeiert, als sie die Nachricht des Patriarchen Porfirije erreichte, in der er ihnen ausgerechnet aus Moskau vorwarf, im Dienst fremder Mächte zu stehen.