Je weniger einzelne Teile bei der Fertigung von Fahrzeugen benötigt werden, desto günstiger wird die Herstellung. Es ergeben sich aber auch Nebenwirkungen.
Bis ein Auto fertig vom Band läuft, müssen viele tausend Einzelteile hergestellt, gelagert, transportiert und eingebaut werden. Dass die Logistik dabei aufwendig ist, liegt auf der Hand. Doch bei Tesla, Volvo und weiteren Autoherstellern ist ein neues Zeitalter angebrochen – das des Mega-Castings.
Der Ausdruck «Casting» ist die Kurzform von «Die-Casting», dem Druckgussverfahren zur Fertigung von Teilen aus Metall. Das gibt es schon seit vielen Jahren bei der Herstellung von Komponenten wie Achselementen oder Motor- und Getriebegehäusen. Selbst der metallene Stern auf einem Mercedes wird im Druckguss hergestellt.
Beim Die-Casting wird geschmolzenes Metall unter grossem Druck in eine Form eingespritzt. Die Form wird anschliessend geöffnet, das fertige Teil lässt sich entnehmen. Das Verfahren eignet sich für Metallteile, die zum Teil auch geringe Wandstärken aufweisen und in grossen Serien hergestellt werden.
Wesentlich jünger ist das Mega-Casting, das im Prinzip auf die gleiche Weise angewendet wird, nur für deutlich grössere und meist hochkomplexe Bauteile. Man denke etwa an ein halbes Fahrzeugchassis, das per Mega-Casting hergestellt wird. Eine Vielzahl von Arbeitsgängen zum Zusammenbau verschiedener Einzelteile entfällt damit.
Um solch komplexe Teile herzustellen, benötigen die Autobauer eine riesige Metallpresse. Solche von einem italienischen Lieferanten auch Giga-Presse genannten Maschinen können bis zu 400 Tonnen schwer sein und benötigen viel Platz in der Montagehalle: Sie sind oft sechs Meter hoch und breit und bis zu zwanzig Meter lang.
Beim Zusammenpressen des Metalls in der Form mit der Presse wird eine Schliesskraft erzielt, die einem Gewicht von bis zu 9000 Tonnen entspricht. Mit diesem Verfahren lassen sich Montageroboter und menschliche Arbeitskräfte einsparen, was sich wiederum aus Sicht der Autobauer positiv auf die Marge der fertigen Fahrzeuge auswirkt. Zudem vergeht deutlich weniger Zeit bei der Herstellung der Autos.
Als erster Autohersteller ist das amerikanische Unternehmen Tesla in die Technik des Mega-Castings eingestiegen. Erste grosse Pressen wurden schon 2020 geplant, mittlerweile entstehen im deutschen Werk Grünheide mithilfe von acht Giga-Pressen des italienischen Herstellers Idra komplexe Chassisteile für den Kompakt-SUV Tesla Model Y.
Schwedische Nachahmer mit Signalwirkung für China
Auch Volvo befindet sich am schwedischen Stammwerk Torslanda im Aufbau von Mega-Casting-Maschinen. Diese stammen vom Schweizer Hersteller Bühler. Für die kommenden Elektroautomodelle von Volvo, das zum chinesischen Autokonzern Geely gehört, soll der hintere Bereich des Fahrzeugbodens als einzelnes Bauteil druckgegossen werden. Für die Herstellung eines solchen Teils vergehen nur rund zweieinhalb Minuten. Das chinesische Mutterhaus dürfte die Entwicklung des Verfahrens engmaschig verfolgen, um es auch auf andere Konzernmarken zu übertragen.
Für die Montage verschiedener kleinerer Einzelteile fallen bis jetzt deutlich mehr Zeit und Roboteraufwand an. Dies entfällt beim Einsatz eines einzelnen Gussteils. Zudem fallen die Lagerhaltung, der Metallverschnitt und die Fehleranfälligkeit bei der Montage weg. Bis zu 40 Prozent der Herstellungskosten können laut Schätzungen von Volvo so eingespart werden, wenn man die anfänglichen Investitionen in die grossen Druckgrusspressen einrechnet.
Für neue Gussteile, etwa für neue Fahrzeugmodelle, werden zudem nur neue Gussformen benötigt, die Pressen arbeiten ohne übrige Anpassungen weiter. So lassen sich neue Modellgenerationen mit geringerem Aufwand und schneller realisieren.
Neben Tesla und bald auch Volvo sind bereits weitere Autohersteller und auch Zulieferer in China inzwischen in der Lage, grosse Strukturbauteile für Fahrzeuge zu giessen. Dazu gehört etwa die Firma Duoli Technology in Chouzhou, westlich von Schanghai. Sie arbeitet für eine Vielzahl von Autoherstellern inner- und ausserhalb Chinas.
Diesem Formenwachstum sind allerdings gewisse Grenzen gesetzt. Wollte man etwa einen kompletten Unterboden eines Autos per Druckguss aus einem Stück herstellen, müssten die bereits grossen Giga-Pressen noch gigantischer und schwerer werden.
Zudem gibt es derzeit noch gewisse Probleme beim Druckgussverfahren. Bei den im Mega-Casting hergestellten Formteilen sind die Wandstärken noch deutlich grösser als bei der herkömmlichen Blechverformung mittels einfacher Pressen. Entsprechend mehr Material und Gewicht fallen pro Teil an.
Und eine zweite unangenehme Nebenwirkung zeitigt das Druckgiessen: Die in den Pressen verwendeten Formen werden je nach Bauteilgrösse immer wuchtiger und umfangreicher. Eine grosse Form kann ein Gewicht von hundert und mehr Tonnen haben. Entsprechend aufwendig wird das Installieren und Austauschen verschiedener Formen mittels Hochleistungskran.
Letztlich wird die Erfahrung mit dem Mega-Casting zu einer Güterabwägung zwischen Installationsaufwand und Kostenersparnis führen. Diese Frage bleibt noch unbeantwortet.
Lokale Netzwerke statt Kabel und Stecker
In einem anderen Bereich des Automobilbaus vereinfacht der Fortschritt die Verfahren ebenfalls. Die Versorgung der einzelnen Stromabnehmer im Fahrzeug lässt sich immer häufiger auch drahtlos darstellen. Vorreiter ist auch hier Tesla.
Die Fahrzeugarchitektur des amerikanischen Herstellers ist so ausgelegt, dass die Vernetzung von Elementen den klassischen Kabelbaum mit seinen meterlangen Drähten und einer Vielzahl von Steckverbindungen obsolet macht. Im Fahrzeug wird ein eigenes LAN-Netz (Local Area Network) aufgebaut, über das etwa der Lichtschalter und die Scheinwerfer miteinander kommunizieren. Eine Kabelleitung zwischen Blinkerhebel und Blinker ist somit nicht mehr nötig.
Immer weitere Funktionen können per LAN-Netzwerk ohne Drahtverbindung ausgeführt werden, etwa die Verriegelung der Autotüren oder des Kofferraums. Daraus ergibt sich ein deutlich geringerer Bedarf an Kabelzuleitungen. Doch auch hier gibt es eine mögliche Nebenwirkung: Drahtlose Verbindungen sind dem Risiko von Cyberangriffen ausgesetzt und müssen entsprechend verschlüsselt werden.
Durch den Einsatz von LAN-Verbindungen werden Kabelbäume aber auch weniger komplex und müssen nicht mehr aus einem zusammenhängenden, weit verästelten Teil bestehen.
So können diese simplifizierten Kabelbäume bei Tesla in Einzelteilen am Band hergestellt werden. Sie sind zudem deutlich leichter als bisher. Das Gesamtgewicht der Autos reduziert sich, die Reichweite steigt. Weitere Hersteller sind dem Beispiel von Elon Musks Elektroautofirma gefolgt. Sie haben sich auf diese Weise von den Zulieferern unabhängig machen können, von denen viele bis in den Krieg mit Russland in der Ukraine herkömmliche Kabelbäume hergestellt hatten.
Eine Einschränkung kommt hinzu: Das für die drahtlosen Funktionen nötige Kommunikationsnetz ist für Fahrzeuge mit konventionellem Verbrennungsmotor oft nicht darstellbar, weil ihnen die nötige Elektronikarchitektur fehlt. Neuentwicklungen mit LAN-Vernetzung und neuartigen Kabelverbindungen sind hier erforderlich, aber entsprechend aufwendig. Dies hat etwa den Autobauer Bentley dazu bewegt, vermehrt auf Elektroautos mit ihrer geringeren Komplexität zu setzen.
Beim britischen Luxusautobauer heisst es, man habe begonnen, stärker auf die Entwicklung eigener, vereinfachter Kabelbäume für Elektroautos zu fokussieren. Bis 2030 will Bentley nur noch batterieelektrische Fahrzeuge im Angebot haben.
Dazu ist allerdings ein fundamentales Umdenken bei der Entwicklung eines Autos nötig. Das Elektroauto wird von innen her geplant. Bisher wurden oft erst die Karosserie und das Fahrwerk entwickelt, bevor die Ingenieure sich an die Details des Innenlebens machten. Dies ist mit dem Ansatz der internen Vernetzung verschiedener Stromabnehmer heute nicht mehr opportun.