Der Wohnraum in der Schweiz ist knapp, die Mieten steigen. Obwohl unbeliebt, sind Ersatzneubauten eine wichtige Form der Verdichtung.
Mit einem Ersatzneubau machen sich Wohneigentümer im Allgemeinen keine Freunde unter den Nachbarn. Bei solchen Bauprojekten werden bestehende Wohnungen oder Häuser abgerissen und durch neue ersetzt – das ist mit allerhand Lärm, Schmutz, Absperrungen und in Einzelfällen sogar Schäden an anderen Häusern verbunden.
«Zudem verschwindet bei Ersatzneubauten oftmals günstiger Wohnraum im entsprechenden Quartier», sagt Fredy Hasenmaile, Chefökonom bei Raiffeisen Schweiz. «Das findet die Bevölkerung vor Ort oft nicht gut.» Vor allem Einfamilienhäuser und kleinere Objekte mit älterem Baujahr würden abgerissen, zunehmend aber auch jüngere Gebäude aus den 1960er bis 1980er Jahren.
Aus umweltpolitischer Sicht sind Ersatzneubauten ebenfalls nicht unproblematisch. Der Bau ist mit einem erheblichen Ausstoss von CO2 verbunden. All dies mache den Ersatzneubau umstritten, sagt Hasenmaile.
Vor allem in städtischen Zentren verbreitet
Ersatzneubauten sind vor allem in städtischen Zentren in der Schweiz verbreitet. Sie sind eine Form der Verdichtung, zu der die Alternativen fehlen. Verschiedene Gründe sprechen für Ersatzneubauten:
Knapperes Angebot an Wohnraum und steigende Mieten: In der Schweiz mangele es zunehmend an Wohnraum, heisst es in einer Analyse des Beratungsunternehmens Wüest Partner von Anfang Mai dieses Jahres. Ende 2015 seien pro Quartal bei inserierten Angeboten noch 74 Wohneinheiten pro 1000 Haushalte zur Verfügung gestanden, heute seien es nur noch 43. «Das ist viel zu wenig», sagt Robert Weinert, Partner bei Wüest Partner. «Wer derzeit umziehen möchte, braucht oft viel Geduld.»
Aufgrund der robusten Zuwanderung und der schwachen Bautätigkeit sei die Nachfrage nach Mietwohnungen weiterhin sehr hoch und übersteige das Angebot, sagt Hasenmaile. Dies spiegelt sich auch in der Entwicklung der Mieten in der Schweiz. Laut einem Index des Immobilien-Beratungsunternehmens Iazi haben die Mieten im Jahr 2024 im Median um 4,5 Prozent zugelegt – dies war der stärkste Anstieg in den vergangenen 20 Jahren.
Zu wenige Neubauten: Laut einer am Donnerstag publizierten Raiffeisen-Studie zeigen Statistiken über eingereichte Baugesuche zudem deutlich, wie der Wohnungsbau in der Schweiz stockt. Besonders drastisch zeigt sich die Knappheit, wenn man die Bevölkerungsentwicklung einberechnet. Zwischen 2004 und 2017 wurden laut der Raiffeisen-Analyse pro 1000 Bewohner in der Schweiz im Durchschnitt jährlich 7,3 Wohnungen geplant, zwischen den Jahren 2020 und 2024 waren es nur noch 5,5.
Derweil waren in letzter Zeit positive Signale zu beobachten. Gemäss dem Datenanbieter Infopro Digital und Modellierungen von Wüest Partner dürfte es im vergangenen Jahr in der Schweiz Baubewilligungen für rund 49 000 neue Wohnungen gegeben haben. Dieser Wert liege 2,1 Prozent über dem Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre, sagt Weinert. Allerdings sei dazu einzuberechnen, dass die Bevölkerung der Schweiz weiterhin zunehme. «Wenn die Wirtschaft weiter wachsen soll und Fachkräfte aus dem Ausland geholt werden sollen, braucht es Zuwanderung und folglich auch Wohnraum», sagt Weinert.
Zudem ist zu berücksichtigen, dass für Ersatzneubauten bestehende Häuser und Wohnungen weichen müssen – das Plus bei den Neubauten versteht sich also brutto, nicht netto. Laut Wüest Partner fehlen für die gesamte Schweiz aussagekräftige Zahlen zu den Abbrüchen. Im Kanton Zürich wurden laut dem kantonalen Statistischen Amt im vergangenen Jahr 7500 Neubauwohnungen erstellt und 2100 abgebrochen. «Für die Gesamtschweiz kennen wir wohl nur einen Teil der Abbrüche, hier gibt es eine gewisse Intransparenz», sagt Weinert. Die Zahlen aus dem Kanton Zürich könne man nicht einfach auf die ganze Schweiz hochrechnen, zumal es sich in vielen Gebieten um einen besonders dicht bebauten Kanton handle.
Verdichtung statt Zersiedelung
Begrenztes Potenzial von Anbauten und Aufstockungen: «Sanftere Verdichtungsformen wie Umbauten und Aufstockungen reichen oft nicht aus, um die knappen Baulandflächen optimal zu nutzen», sagt Hasenmaile. Ausserdem verhindere der Ersatzneubau eine weitere Zersiedelung.
Ein kompletter Neubau ermöglicht es in der Regel, Grundstücke effizienter zu nutzen. Um- und Anbauten sind oft auch aus statischen Gründen gar nicht möglich.
Gesetzliche Vorgaben: Auch aus gesetzlichen Gründen braucht es Ersatzneubauten, um neuen Wohnraum zu schaffen. Wie Hasenmaile ausführt, schreibt das geltende Raumplanungsgesetz den haushälterischen Umgang mit dem Boden vor und lenkt die Siedlungsentwicklung nach innen. Faktisch habe dies auf nationaler Ebene zu einem Einfrieren der nutzbaren Bauzonenfläche geführt, teilt er mit.
«Wenn man Zersiedelung verhindern will, muss man Verdichtung in Kauf nehmen», sagt Weinert. «Man kann nicht alles haben.» Die Schweiz müsse beim Bauen in die Höhe mutiger werden. Dies sei meist die einzige Chance, die Ziele der Raumplanung mit der wachsenden Wirtschaft und Bevölkerung abzustimmen.
«Der Fünfer und das Weggli sind in der Wohnraumversorgung nicht zu haben», sagt auch Hasenmaile. Ein dynamisches Bevölkerungswachstum könne nicht gleichzeitig mit der Eindämmung der Zersiedelung, dem Erhalt der bestehenden Gebäudestruktur und dem Wunsch nach generell günstigem Wohnraum einhergehen. Die Widerstände gegen die Verdichtung seien bereits erheblich. Folglich sollte der Sozial- und der Umweltverträglichkeit des Ersatzneubaus Rechnung getragen werden.