Nur knapp sei die Klimakonferenz in Baku an einem Kollaps vorbeigeschrammt, so die Schlussfolgerung vieler Kommentatoren. Aber für eine Gruppe von Verhandelnden hat die Konferenz einen grossen Erfolg gebracht.
Es war ein Ringen Mitte November in Aserbaidschans Hauptstadt Baku. Schwierige Auseinandersetzungen während der zweiwöchigen Verhandlungen und dürftige Kompromisse zum Ende der jüngsten Klimakonferenz haben die Sorge vieler bestätigt, dass die internationale Klimadiplomatie vor einer neuen Ära der Machtkämpfe stehe – zwischen den Industriestaaten, den aufstrebenden und reicher werdenden Schwellenländern wie auch den ärmeren Entwicklungsländern, die zunehmend härter von den Auswirkungen steigender Temperaturen gebeutelt werden.
Diese Zuspitzung in der Weltpolitik belastet die Erfolgsaussichten des eigentlichen Ziels der Klimaverhandlungen: notwendige Emissionsreduktionen, um die Ziele des Pariser Vertrags zu erreichen und den Temperaturanstieg auf weit unter 2 Grad zu begrenzen.
Gemäss den wissenschaftlichen Hochrechnungen sollte sich der Umstieg auf saubere und grüne Energietechnologien eigentlich noch in dieser Dekade beschleunigen. Emissionen müssten in den kommenden Jahren drastischer und schneller fallen als bisher, um den Temperaturanstieg zu bremsen. Die Daten zeigen jedoch, dass die Emissionen durch das Verbrennen fossiler Brennstoffe weiterhin steigen.
Ein neuer Markt für Emissionen
Für eine Gruppe von Diplomaten, Unternehmensvertretern, Forschern und Aktivisten brachten die Verhandlungen jedoch einen grossen Durchbruch. Nach fast 10 Jahren mühsamer und oft nächtelanger Verhandlungen gab es endlich eine Vereinbarung über die Regeln für einen neuen internationalen Emissionshandel. Dabei geht es darum, welche Projekte künftig CO2-Zertifikate verkaufen können, wie diese gehandelt werden und wie Emissionseinsparungen verrechnet werden. Es war das letzte offene und heftig umkämpfte Kapitel des Pariser Klimaabkommens.
Seit Jahren schrauben Unterhändler an den Regeln eines neuen internationalen Emissionsmarkts. Dieser zielt darauf ab, Unternehmen und Ländern weltweit zu ermöglichen, im Rahmen des Pariser Klimaabkommens mit zertifizierten CO2-Gutschriften zu handeln. Gleichzeitig sollen Regierungen auch die Möglichkeit haben, Emissionsreduktionen mithilfe bilateraler Abkommen aus anderen Ländern einkaufen zu können.
Die Schweiz ist eines der wenigen Länder, die diese Möglichkeit schon heute nutzen, unter anderem hat Bern mit Thailand ein Abkommen unterzeichnet. Befürworter sagen, der Mechanismus könne so Milliarden für den Klima- und Umweltschutz in Entwicklungsländern bereitstellen – und gleichzeitig die eigenen Klimaziele kostengünstiger voranbringen.
Kritiker, darunter zahlreiche Umweltaktivisten, meinen warnend, dass viele der Projekte, die CO2-Gutschriften verkaufen, am Ende keine zusätzlichen und verlässlichen Emissionsreduktionen garantieren würden. In den vergangenen Monaten haben Studien diese Gefahr immer wieder anschaulich analysiert und vorgerechnet.
Insbesondere Waldschutzprojekte in den Tropen sind dadurch in Verruf gekommen. Aber auch Projekte mit erneuerbaren Energien und klimafreundlichen Kochern haben laut Studien oft nicht die zusätzlichen Emissionsreduktionen gebracht, mit denen sie geworben (und Geld gemacht) haben.
Das schade nicht nur dem internationalen Klimaschutz, so Kritiker. Sondern entlasse auch Unternehmen und Regierungen aus der Verpflichtung, kostspielige und mühsame Schritte zu tätigen, um auf grüne Alternativen umzusteigen. Indem sie billige und vermeintliche Emissionseinsparungen aus dem Ausland einkauften, täten sie in Wirklichkeit nichts für das Klima. Die Schweiz steht aufgrund ihres Geschäfts mit den eingekauften CO2-Tonnen aus dem Ausland regelmässig unter Beschuss.
Die neuen Regeln versprechen Verbesserung
Inmitten der Skandale um die Klimazertifikate und Kompensationen ging die Arbeit auf Uno-Ebene in den vergangenen Jahren dennoch unbeirrt weiter. Auf den Klimaverhandlungen in Glasgow, in Sharm-al-Sheikh und in Dubai gab es zwar immer wieder Fortschritte, ein Deal blieb dennoch aus.
Innerhalb der Messehallen und Kongresszentren sind die Verhandler zu dem sogenannten «Artikel 6» des Pariser Abkommens als besonders harte Knochen bekannt. Keine Gruppe von Unterhändlern und Experten könne länger durchhalten und über hochkomplexe und technische Details verhandeln, sagen Insider. Entsprechend war die Erleichterung unter Beteiligten und Fans gross darüber, dass es im Jahr 2024 endlich so weit war.
Die Klimakonferenz in Baku werde wohl eher für die aufgeladene Atmosphäre in Erinnerung bleiben, als dass die Arbeit zu einem neuen Kohlenstoffmarkt zu Ende gebracht worden sei, schrieb etwa IETA, der grosse und einflussreiche Unternehmerverband, der sich seit Jahren für den Emissionshandel einsetzt. Das könne sich in den kommenden Jahren jedoch ändern. IETA sei «optimistisch, dass die Entscheidungen der COP29 Investitionen in Milliardenhöhe in weltweite Emissionsminderungen und -entnahmen generieren werden». Märkte seien der wirtschaftlich effizienteste Weg, um die Klimaziele zu erreichen, so der Verband.
Aserbaidschan, das in diesem Jahr die Führung der Verhandlungen übernommen hatte und von vielen für die Handhabung der Konferenz kritisiert wird, feierte das Ergebnis erwartungsgemäss enthusiastisch. «Artikel 6 ist schwer zu verstehen, aber seine Auswirkungen werden in unserem täglichen Leben deutlich spürbar sein. Er bedeutet, dass Kohlekraftwerke stillgelegt, Windparks gebaut und Wälder gepflanzt werden. Es bedeutet eine neue Welle von Investitionen in den Entwicklungsländern», so Yalchin Rafiyev, der Chefverhandler aus Aserbaidschan.
Aktivisten sind skeptisch
Viele Beobachter aus der Zivilgesellschaft sind derweil sehr viel vorsichtiger in ihrer Beurteilung der Ergebnisse. Zu schwer wiegen Sorgen, dass die jüngst beschlossenen Regeln für den internationalen Emissionshandel nicht robust genug seien, um langfristig den Klimaschutz zu stärken und gegen kriminelle Aktivitäten zu schützen.
Dabei geht es nicht nur um die Frage der Emissionseinsparungen, sondern auch um den Schutz von Menschenrechten, Fragen zur Gerechtigkeit, Umsatzverteilung und Transparenz. So beklagten Aktivisten, dass Regierungen trotz den neuen Regeln nicht ausreichend gezwungen seien, die relevanten Informationen über den geplanten Handel mit Emissionsreduktionen zeitig bereitzustellen.
Es ist nicht das erste Mal, dass die internationale Gemeinschaft auf den Handel mit CO2-Gutschriften in Entwicklungsländern setzt, um mithilfe von Marktmechanismen Emissionen zu reduzieren. Schon Anfang der 2000er Jahre wurde ein solcher Markt auf die Beine gestellt. Skandale um die Qualität vieler Projekte und Korruptionsvorwürfe zerstörten die Glaubwürdigkeit, die Preise brachen ein, der Markt war am Boden.
Nun soll alles anders werden. Firmen, Anwaltskanzleien und Beratungsunternehmen positionieren sich schon seit einiger Zeit in Erwartung darauf, dass der Handel mit den Zertifikaten endlich offiziell beginnen kann. Während die Schweiz sowie einige wenige andere reiche kleine Länder schon auf bilateraler Ebene angefangen haben, werde der international agierende und von der Uno verwaltete Markt wohl im kommenden Jahr langsam anlaufen können, sagen Beobachter.
Gleichzeitig warnen kritische Beobachter vor allzu grossen Hoffnungen. Zu viel hänge davon ab, dass Projekte künftig scharf kontrolliert werden. «Vieles liegt jetzt in den Händen der Aufsichtsbehörde», so Federica Dossi von Carbon Market Watch. Fehlendes Vertrauen in die Qualität der neuen CO2-Gutschriften würde wohl nicht nur zu sehr niedrigen Preisen führen, sondern auch die Nachfrage in die Zertifikate gering halten. «Ein solches System wäre ein Ablenkungsmanöver und eine Verschwendung von 10 Jahren Verhandlungen über den Kohlenstoffmarkt im Rahmen der [Klimarahmenkonvention] UNFCCC», so Dossi.