Die Uhrenindustrie sah den Wechselkurs vor 50 Jahren als Wurzel allen Übels – und täuschte sich damit gewaltig.
Das Aufwertungsgespenst wandelt wieder durch die Büroräumlichkeiten der Schweizer Wirtschaftsverbände: Weil der Franken gegen Jahresende gegenüber dem Euro stark zulegte, schrieb der Branchenverband Swissmem Ende Dezember von einem «Gift», für welches die Politik ein Heilmittel finden müsse.
Da wichtige Absatzmärkte wie Deutschland sich in einer Industrierezession befinden, verzeichnen auch Schweizer Unternehmen einen Nachfragerückgang. Der starke Franken sei in diesem Umfeld eine Zusatzbelastung, welche die Wettbewerbsfähigkeit akut gefährde.
Historisch betrachtet ist ein starker Aufwertungsdruck des Frankens allerdings keine Besonderheit: In zahlreichen Zeitabschnitten bereitete die Währung der Schweizer Exportindustrie Kopfzerbrechen. Ein Rückblick zeigt dabei, dass das Frankenargument in der Vergangenheit oft als Feigenblatt diente.
Die 1970er Jahre und die Verelendung der Uhrenbranche
Eine besonders ausgeprägte Frankenaufwertung geschah in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre: Mit voller Kraft mobilisierten damals einige Wirtschaftsvertreter gegen die Geldpolitik der Schweizerischen Nationalbank (SNB) und machten sie für die Misere verantwortlich.
«Wir verlangen vom Bundesrat, dass er die Nationalbank zu einer der Lage angemessenen Währungspolitik zwingt», schrieb etwa das Komitee für die Erhaltung der Uhren- und Exportindustrie anlässlich einer Demonstration auf dem Berner Bundesplatz im November 1978.
Noch in den 1960er Jahren war der Jurabogen das globale Uhren-Mekka, und zwar im Vergleich zu heute in sämtlichen Preissegmenten. Jede zweite Uhr der Welt kam aus der Schweiz. Anfang der 1970er Jahre waren schweizweit rund 90 000 Personen in der Uhrenindustrie beschäftigt. Knapp 15 Jahre später sollten es noch ein Drittel so viele sein.
Nationalbank wird zur Schaltzentrale
Nach dem Zweiten Weltkrieg kam der SNB in der Wirtschaftspolitik lange Zeit eine untergeordnete Rolle zu. Ihre primäre Aufgabe bestand darin, ein fix definiertes Austauschverhältnis zwischen dem Franken und dem Dollar sicherzustellen.
Das änderte sich in den frühen 1970er Jahren, als die Nationalbank mit dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems fixer Wechselkurse neue Gestaltungsfreiheit erlangte. Plötzlich konnte die SNB auf Papier andere Ziele verfolgen – etwa eine Ankurbelung der Konjunktur durch Zinssenkungen. Das Hauptgebäude der Nationalbank an der Zürcher Börsenstrasse wurde zu einer Schaltzentrale der Schweizer Wirtschaftspolitik.
Vom Gesetz her war die SNB noch nicht an das heutige Mandat der Preisstabilität gebunden. Sie war vielmehr dazu verpflichtet, «eine dem Gesamtinteresse des Landes dienende Kredit- und Währungspolitik zu führen», was dem Direktorium einen gewissen Spielraum hinsichtlich der geldpolitischen Prioritätensetzung einräumte. Weil der Ölpreisschock von 1973 weltweit zu einem sprunghaften Preisanstieg führte, machte sich die Nationalbank eine rasche Inflationsbekämpfung zum Hauptziel.
Wenn Stabilität zum Problem wird
Misst man die SNB an der Entwicklung der Inflation, so fuhr sie im neuen Regime flexibler Wechselkurse einen äusserst erfolgreichen Kurs. Lag die Teuerung 1974 noch bei knapp 10 Prozent, fiel sie zwei Jahre später auf unter 2 Prozent. Realwirtschaftlich hatte die Rosskur allerdings Folgen. Nirgendwo in Europa war der wirtschaftliche Einbruch tiefer als in der Schweiz; 1975 sank das Bruttoinlandprodukt um knapp 7 Prozent.
Für ausländische Spekulanten wurde der Schweizerfranken, gestützt durch die restriktive Geldpolitik der SNB, zum Inbegriff von Stabilität – und damit zum Problem für die Exportwirtschaft. Weil ausländische Investoren ihr Geld zunehmend in Franken anlegten, wertete die Währung auf. Schweizer Produkte verteuerten sich in der Folge auf dem Weltmarkt.
Der Bundesrat und die SNB leiteten zahlreiche Massnahmen ein, um den Devisenzufluss aus dem Ausland zu drosseln. So setzten sie beispielsweise ein Anlageverbot für Ausländer für Immobilien sowie Negativzinsen auf Bankkonti durch. Die Bestrebungen blieben aber grösstenteils erfolglos. Immer wieder kam es zu Aufwertungsschüben, am heftigsten 1978, als der Franken bis zum Herbst real um 15 Prozent gegenüber der D-Mark und um 26 Prozent im Vergleich zum Dollar erstarkte.
Uhrenbranche in tiefer Krise
Für die Demonstranten auf dem Bundesplatz war im November 1978 klar, wer für die Misere der Uhrenbranche die Verantwortung trug. Ein Betroffener aus Le Locle erklärte damals der «Basler Zeitung», dass es sich bei der rückläufigen wirtschaftlichen Entwicklung seiner Kleinstadt um ein «monetäres Problem» handle – die Nationalbank sei für die Schwäche der Uhrenhersteller verantwortlich.
Die Realität sah anders aus. So wurde die Uhrenindustrie sowohl von der Politik als auch von der SNB strukturpolitisch massiv gestützt. Die Nationalbank setzte sich dafür ein, dass Uhrenproduzenten bei Banken zu vergünstigten Konditionen Kredite bekamen. Wohl war es der SNB dabei nicht, wie aus den Protokollen einer Sitzung des Direktoriums vom 26. Februar 1976 deutlich wird. Die drei Mitglieder sind sich darin einig, «dass sich die Uhrenindustrie mit Problemen konfrontiert sieht, zu deren Lösung wir allenfalls am Rande beitragen können».
Dennoch fällte die SNB mit Blick auf die Exportindustrie Ende 1978 einen historischen Entscheid. In Absprache mit dem Bundesrat formulierte sie ein Wechselkursziel gegenüber der D-Mark. Der Wert der deutschen Währung sollte künftig «deutlich über 80 Rappen» liegen. Um dieses Ziel zu gewährleisten, kaufte die Notenbank massenweise Devisen und schwächte den Franken gegenüber den ausländischen Währungen. Die Wechselkursturbulenzen fanden ein abruptes Ende.
Die Exportwirtschaft atmete auf – doch im Falle der Uhrenindustrie zeigte sich, dass die Probleme tiefer lagen. Während andere Branchen, etwa die Textilindustrie, vom Konjunkturaufschwung und von der Normalisierung des Frankenkurses profitierten und ihre Ausfuhren wieder steigerten, erlebte die Uhrenindustrie 1979 einen nächsten Dämpfer: Trotz schwächerem Franken fielen die Exporte im Vergleich zum Vorjahr über 15 Prozent tiefer aus.
Es zeigte sich: Das Argument des starken Frankens hatte vielen Branchenvertretern als Projektionsfläche für grundsätzliche und strukturelle Probleme gedient. Die Abschwächung des Frankens änderte deshalb wenig daran, dass die Zahl der Betriebsschliessungen zu Beginn der 1980er Jahre weiter anstieg.
Frankenstärke nur ein Zusatzfaktor
Daniel Schluep ist Verwaltungsratspräsident des Grenchner Uhrenherstellers Titoni. Er führte das Familienunternehmen zwischen 1981 und 2022 in dritter Generation, übernahm also in einer Zeit, als die Schweizer Uhrenindustrie an einem dünnen Faden hing. Mit Blick auf die 1970er Jahre sagt er heute, dass sich die damalige Krise nicht allein mit der Währung erklären lasse: «Das Hauptproblem war der rasante Technologiewandel, in dem sich das Uhrengeschäft befand.»
Heutzutage sind Schweizer Uhren gut vermarktete Luxusprodukte. Sie symbolisieren Zuverlässigkeit, Qualität, sauberes Handwerk. Doch in den 1970er Jahren stand bei vielen Kunden die Funktionalität im Zentrum. Die Schweizer Uhr sollte nicht nur genau, sondern auch günstig sein.
Die Quarztechnologie, also der elektronische Antrieb von Uhren, gefährdete das Erfolgsrezept der mechanischen Schweizer Produkte. Obwohl die erste Quarzuhr 1967 in Neuenburg zum Laufen gebracht wurde, setzten vor allem Produzenten aus Japan und Hongkong auf die günstigere Antriebsform. Sie fluteten den Markt mit Billiguhren und übernahmen im Eiltempo die Marktanteile von Schweizer Herstellern.
Auch Titoni habe damals mit der Quarztechnologie experimentiert, erzählt Daniel Schluep: «Aber gegen die Konkurrenz aus Asien kamen wir nicht an, die konnten viel günstiger produzieren.» Die Grenchner Uhrenfirma habe in jener Zeit davon profitiert, dass ihre wichtigsten Ausfuhren nicht für den preisempfindlichen amerikanischen Markt vorgesehen waren. Stattdessen hatte Titoni bereits einen breiten Kundenstamm in China, wo die mechanische Uhr weiterhin beliebt war.
Damit wolle er nicht suggerieren, dass der starke Franken keinen Einfluss gehabt habe, sagt Schluep. Ein Aufwertungsdruck sei für Produzenten dann schwierig, wenn er sehr rasant ablaufe: «Manchmal bestellen Kunden ihre Uhr zu einem Frankenkurs, der beim Auslieferungstermin nicht mehr aktuell ist. Da kann es schon vorkommen, dass der Kunde den Auftrag im letzten Moment zurückzieht.»
Harmonische Gegenwart
Auch heute besteht das Risiko, dass Vertreter der Exportindustrie den Einfluss der Frankenstärke überhöhen. Real gesehen – also unter Berücksichtigung, dass in den letzten Monaten die Güterpreise im Ausland stärker gestiegen sind als in der Schweiz – ist die Frankenstärke weniger dramatisch, als es beim Blick auf den nominalen Wechselkurs erscheint.
Der Wechselkurs sei derzeit eine zusätzliche Herausforderung, aber nicht die Hauptsorge der Industrie, sagt der UBS-Ökonom Maxime Botteron: «Ohne die konjunkturelle Schwäche wichtiger Abnehmerländer würde die Wirtschaft nicht über den Franken reden.»
Ähnlich hart wie noch in den 1970er Jahren wird die Nationalbank heute nicht mehr kritisiert. Ihre Unabhängigkeit ist politisch unbestritten. Das Vertrauen der Wirtschaft ins Direktorium sei gross, sagt beispielsweise Christoph Mäder, Präsident des Dachverbandes Economiesuisse und Mitglied im Bankrat der SNB: «Ich bin überzeugt, dass die Nationalbank der Wechselkursentwicklung die nötige Portion an Aufmerksamkeit schenkt.»