Sieben Monate nach der Parlamentswahl in den Niederlanden hat der König die neue Regierung vereidigt. Schon jetzt geht das Kabinett unter dem früheren Geheimdienstler Dick Schoof auf Distanz zu Brüssel. Es könnte rau werden.
Mark Rutte erschien ein letztes Mal am Torentje, dem Sitz des niederländischen Ministerpräsidenten. Er stellte sich vor den roten Teppich, scherzte mit den Reportern und übergab seinem Nachfolger Dick Schoof den Schlüssel. Dann bestieg der Mann, der künftig Nato-Generalsekretär sein wird, fröhlich sein Velo und verschwand.
Schoof winkte ihm hinterher, dann schloss er die Tür des «Türmchens» auf. «Ministerpräsident, wie hört sich das an?», sagte der frühere Spitzenbeamte, als könne er es selbst nicht glauben. Kurz zuvor hatte König Willem-Alexander den 67-Jährigen einen Eid auf die Verfassung schwören lassen. Neben Schoof wurden am Dienstag ausserdem 15 Minister und 13 Staatssekretäre vereidigt.
Politisches Neuland
Mehr als sieben Monate nach der Parlamentswahl in den Niederlanden hat die neue Regierung in Den Haag jetzt ihre Arbeit aufgenommen. Sie betritt in mehrfacher Hinsicht politisches Neuland. Nicht nur, weil ihr mit dem langjährigen Geheimdienstchef Schoof erstmals in der Geschichte des Landes ein parteiloser Beamter vorsteht.
Das am weitesten rechts stehende Kabinett, das die Niederlande je hatten, bringt ausserdem zum ersten Mal die Partei für die Freiheit (PVV) des Nationalisten und Islam-Gegners Geert Wilders an die Macht. Zwar nicht in Gestalt von Wilders selber, der die Wahl im November klar gewonnen hatte. Damit die Koalition überhaupt zustande kam, musste er auf das Amt des Ministerpräsidenten verzichten.
Dafür aber kommen andere aus der Partei in die Regierungsverantwortung. Etwa Marjolein Faber, die bisherige PVV-Fraktionsvorsitzende im Senat. Sie hatte früher mit Sympathiebekundungen für die Theorie vom «grossen Bevölkerungsaustausch» von sich reden gemacht. Danach würden böswillige Eliten gezielt Migranten ins Land holen, um die weisse Mehrheitsbevölkerung in den westlichen Staaten zu ersetzen.
Mittlerweile distanziert sich Faber von der Theorie, die in rechtsradikalen Kreisen populär ist. Stattdessen gelobte sie bei ihrer Anhörung im Parlament, «fortan über besorgniserregende demografische Entwicklungen zu sprechen». Sie bekleidet jetzt den Posten der Ministerin für Asyl und Migration.
Die Betriebswirtin und Wilders-Getreue Reinette Klever kommt ebenfalls zum Zug. Sie hatte als Abgeordnete gefordert, keine Entwicklungsgelder mehr zu zahlen, und darf nun – als Ministerin für Aussenhandel und Entwicklungshilfe – immerhin drastische Kürzungen in ihrem Ressort in die Wege leiten.
Fleur Agema, eine scharfe Kritikerin der Corona-Massnahmen der Vorgängerregierung, ist als erste Stellvertreterin von Schoof und Ministerin für Volksgesundheit eine weitere Schlüsselperson. Sie wird Wilders direkt rapportieren. Auch das Wirtschafts- und das Infrastrukturministerium werden künftig von PVV-Leuten geleitet.
Die Anhörungen hatten nicht zum Ziel, allenfalls auch Berufungen abzulehnen. Schliesslich hatten die vier Koalitionsparteien, die über eine bequeme Mehrheit im Parlament verfügen, versprochen, sich gegenseitig nicht zu behindern. Doch eine Liebesheirat ist das Bündnis aus der PVV und den drei anderen Mitte-rechts-Parteien noch lange nicht.
Neben der PVV ist die liberal-konservative Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD) des bisherigen Ministerpräsidenten Rutte beteiligt. Sie bekam vier Ministerien zugesprochen, darunter Finanzen und Verteidigung. Das ist insofern relevant, als in den Koalitionsgesprächen auch heftig über solide Finanzen und die Unterstützung der Ukraine gestritten wurde und die regierungserfahrene VVD hier für Kontinuität steht.
Konflikte programmiert
Der frühere Christlichdemokrat Pieter Omtzigt hatte wegen der teilweise verfassungswidrigen politischen Ideen von Wilders die grössten Vorbehalte, sich auf eine Zusammenarbeit einzulassen. Seine Partei Neuer Gesellschaftsvertrag (NSC) erhielt nun vier Ministerien, darunter Inneres. Sie bestimmte auch den parteilosen Diplomaten Caspar Veldkamp, der sich selbst als begeisterten Europäer bezeichnet, als Aussenminister. Das ist auch ein Zeichen nach Brüssel, wo wegen Wilders’ Anti-EU-Agenda eine gewisse Nervosität herrscht.
Der kleinste Koalitionär, die Bauern-Bürger-Bewegung, erhielt zwei Ministerien, darunter das Ressort für Landwirtschaft, wo die Partei nun Massnahmen, die den Bauern das Leben schwermachen, revidieren will. Es sind auch deswegen Konflikte mit Brüssel programmiert. Denn obwohl der Green Deal in Brüssel ins Stocken geraten ist, haben gemeinsame Richtlinien wie die zur Begrenzung des Einsatzes von Stickstoff weiterhin ihre Gültigkeit.
Die neue Regierung von Dick Schoof hat angekündigt, weniger Geld in den EU-Haushalt zu zahlen. Sie hat sich zudem dezidiert gegen die Aufnahme gemeinschaftlicher Schulden ausgesprochen. Und sie möchte bei der EU-Kommission beantragen, aus der gemeinsamen Migrationspolitik auszusteigen.
Erst kürzlich wurde in Brüssel nach jahrelangem Streit ein Pakt für Asyl und Migration beschlossen, der vorsieht, Asylverfahren an die Aussengrenzen zu verlagern, aber auch Migranten aus den Grenzstaaten zu übernehmen oder Solidaritätsbeiträge zu bezahlen. Nach Auffassung von Wilders und seinen Partnern kann das kein Rezept im Kampf gegen die irreguläre Migration sein. Die Koalition hat sich schliesslich die «strengste Asylregelung und das umfassendste Paket zur Migrationskontrolle aller Zeiten» auf die Fahne geschrieben.







