Nach dem Sieg gegen Arsenal treffen die Bayern im Halbfinal nun auf Real Madrid.
Wer könnte bloss auf die Idee kommen, dass mit dieser Mannschaft irgendetwas nicht stimmt? Nach einem solchen Spiel, das ihr allerhand abverlangte, aber gleichzeitig auch die Klasse eindrücklich zeigte.
Mit 1:0 durch ein Kopfballtor von Joshua Kimmich bezwangen die Bayern den englischen Tabellenzweiten Arsenal im Rückspiel des Champions-League-Viertelfinals und zogen damit in die Halbfinals ein.
Für den Augenblick wurden die Bayern von den Fans gefeiert, als hätten sie ihre zwölfte Meisterschaft in Serie gewonnen. Dabei sind sie in der Bundesliga abgeschlagen, 16 Punkte rangieren sie hinter dem neuen Champion Leverkusen. Vielleicht aber winkt ihnen in diesem Jahr der ganz grosse Triumph, wie schon 2001, 2013 und 2020: der Sieg in der Champions League.
Tuchel bedeutet der Halbfinal-Einzug «sehr viel»
Auszuschliessen ist das nicht. «Der Halbfinal bedeutet mir sehr viel. Die zweite Halbzeit war sehr stark von uns. Ich bin auf die Mannschaftsleistung stolz», sagte der Bayern-Trainer Thomas Tuchel. Die Genugtuung war ihm durchaus anzusehen.
Denn dieser Auftritt konterkarierte die Saison der Bayern. Für einen Augenblick waren sie entkräftet, das ewige Münchner Gezänk, die Übellaunigkeit, die beissende Kritik und die Unzufriedenheit im Klub, die bereits dazu geführt hat, dass Tuchel seinen Vertrag nicht erfüllen wird.
Zum Saisonende ist Schluss für ihn, ohne dass schon ein Nachfolger bestimmt worden wäre. Dass er, der die Champions League 2021 mit dem Chelsea FC gewonnen hat und im Jahr zuvor mit Paris Saint-Germain nur knapp im Final an den Bayern gescheitert ist, in München für nicht gut genug befunden wird, zählt zu den Paradoxien, die das Bild des deutschen Rekordchampions seit geraumer Zeit prägen.
Ganz gleich, wie ansprechend die Bayern gegen den englischen Spitzenklub auftraten, wie robust und entschieden: Die Gespräche werden in den kommenden Tagen und Wochen um Tuchels Nachfolger kreisen.
Allerlei Namen kursieren. Der von Ralf Rangnick, dem österreichischen Nationaltrainer, aber auch der von Zinedine Zidane, der Real Madrid dreimal in Serie zum Champions-League-Titel führte. Die Wahrscheinlichkeit einer Verpflichtung Zidanes dürfte klein sein, als favorisiert gilt ein alter Bekannter, und gerade diese Personalie käme nicht ohne eine gewisse Komik aus: Es handelt sich dem Vernehmen nach um Julian Nagelsmann – jenen Trainer, der im März vergangenen Jahres geschasst worden war und der gegenwärtig deutscher Nationaltrainer ist.
Nagelsmanns Entlassung wird seither kontrovers diskutiert. Die einen vertreten die Ansicht, es habe sich um einen grossen Fehler gehandelt, ihn zu entlassen. Uli Hoeness, der langjährige Bayern-Manager und Präsident, erzählte dies auch einmal im Bayerischen Rundfunk. Dabei soll sich Hoeness hinter den Kulissen durchaus über die Amtsführung Nagelsmanns gewundert haben.
Käme Nagelsmann, der im letzten Oktober die deutsche Nationalmannschaft übernahm, um sie auf die Europameisterschaft im eigenen Land vorzubereiten, entstünde eine Konstellation, die an Brisanz kaum zu überbieten wäre. Sie wäre in der Bundesliga auf diesem Niveau bis anhin einmalig. Noch nie ist ein Trainer der Nachfolger seines Nachfolgers geworden. Dies zeigt, wie gross die Not der Münchner ist, die sich offenbar auch um Xabi Alonso bemüht haben. Der allerdings zieht es vor, erst einmal an alter Wirkungsstätte zu bleiben.
In München kann sich ein Trainer schnell die Finger verbrennen
Verständlich ist dies. Warum sollte ein Mann, dem nach dem Bundesliga-Titel mit Leverkusen sämtliche Türen in der Fussballwelt offen stehen, sich bemüssigt fühlen, in München für Ordnung zu sorgen, wo doch die Gefahr gross ist, sich dort die Finger zu verbrennen.
Schliesslich ist die Klasse eines Trainers keine Garantie für eine gedeihliche Zusammenarbeit. Auch Tuchel und Nagelsmann fielen keineswegs in die Kategorie der Verlegenheitslösung. Sie sind Spitzentrainer, anerkannte Fachleute, und sie galten zum Zeitpunkt ihrer Verpflichtung als die bestmögliche Lösung für die Bayern.
Dass es den Münchnern allerdings gelungen ist, solche Trainer binnen kürzester Zeit zu demontieren, sagt allerhand über die Klubkultur aus. Für die Entlassung Nagelsmanns zeichnete das damalige Führungsduo Hasan Salihamidzic und Oliver Kahn verantwortlich. Die beiden sind ihren Posten los, der Vorstandschef Kahn wurde von Jan-Christian Dreesen beerbt, Salihamidzic vom ehemaligen Gladbacher und Leipziger Manager Max Eberl.
Eberl gilt als ein besonnener Geselle. Sofern er nicht gerade, wie vor zwei Jahren in Mönchengladbach, seinen Manager-Job über Nacht hinwirft und erklärt, er wolle mit dem Fussball nichts mehr zu tun haben, neigt er nicht dazu, die Dinge zu überstürzen. Hätte er mit Nagelsmann zu tun, könnte er dies unbelastet angehen.
Allerdings gibt es eben noch die Mannschaft, die Nagelsmann bereits kennt – und zwar nicht nur aus seiner vorherigen Tätigkeit in München. Einige Spieler hat er seitdem in seinem Job als Bundestrainer bei den Auftritten der Nationalmannschaft erlebt. Daraus ergibt sich eine Frage, die für ihn recht bald von Bedeutung sein könnte: Wie sollte Nagelsmann mit Nationalspielern an der Europameisterschaft umgehen, von denen er weiss, dass er sie nach dem Turnier zum Trainingsauftakt im Klub wiedersehen wird? Dass ein Trainer versucht, so unbestechlich wie möglich an eine Aufgabe heranzutreten, kann unterstellt werden. Dass er vollkommen frei von jeder Befangenheit im Handeln ist, kann meist allerdings ausgeschlossen werden.
Folgt Tuchel dem Beispiel von Jupp Heynckes?
Insofern hätte eine Rückkehr Nagelsmanns nach München durchaus ihren Reiz. Sie wäre ein hochinteressantes Experiment. Dass es so kommt, ist allerdings nicht garantiert. Der Deutsche Fussball-Bund (DFB) möchte Nagelsmann offenbar über die Europameisterschaft hinaus behalten; die Vertragsverlängerung des Volkshelden Rudi Völler als DFB-Sportdirektor wird von Beobachtern als ein Signal in Richtung Nagelsmann interpretiert. Völler schätzt den jungen Trainer.
Und Tuchel? Die unübersichtliche Gemengelage muss sich für ihn gar nicht einmal negativ auswirken. International hat er das beste Ergebnis seit 2020 erzielt. Die Diskussionen um seine Person liegen hinter ihm, nun geht es nur noch um den Champions-League-Titel, und Tuchel weiss, wie man diesen Titel gewinnt. Dass ein Trainer, dessen Tage in München gezählt sind, dennoch Bemerkenswertes erreichen kann, verdeutlicht ein Blick auf die Vereinsikone Jupp Heynckes.
Anfang 2013 eröffneten die Bayern ihrem alten Freund, dass sie nicht daran interessiert seien, den Vertrag mit ihm zu verlängern. Sie waren sich damals mit Josep Guardiola handelseinig geworden.
Für Heynckes war dies eine Enttäuschung – und ein Ansporn. Er gewann mit Bayern im selben Jahr im Londoner Wembley-Stadion die Champions League gegen Borussia Dortmund. Genau dieses Szenario ist nach dem Dortmunder Halbfinal-Einzug auch in diesem Jahr möglich: Der Final wird im englischen Nationalstadion ausgetragen.