Die Schweizer Botschaft hat während der Olympischen Spiele ihre Türen für die Öffentlichkeit geöffnet. Ein Augenschein.
Mit einem breiten Lächeln kommt Ignazio Cassis die Tartanbahn herunter. Es sind 35 Grad an diesem Dienstagabend in Paris, doch seiner guten Stimmung tut die Hitze keinen Abbruch. Beschwingt betritt der Schweizer Aussenminister die Bühne und wendet sich dem Publikum zu: «Mesdames et Messieurs, bienvenue en Suisse!»
Cassis befindet sich mitten in der französischen Hauptstadt tatsächlich auf heimischem Boden, und zwar im Garten der Schweizer Botschaft im 7. Arrondissement der Stadt. Hier hat das EDA für den Zeitraum der Spiele eine Maison Suisse eingerichtet, die als Treffpunkt und Veranstaltungsort dienen soll – aber auch als Aushängeschild für die Schweiz.
Alle können kommen und die Schweiz bestaunen
Jeder, der will, kann die Schweizer Botschaft besuchen. Andere Nationen betreiben in Paris während der Spiele ähnliche Einrichtungen, aber nur das Haus der Schweizer ist für alle frei zugänglich. Sportlerinnen, Bundesräte, Journalisten und Sportfans kommen hier zusammen.
Über eine eigens angelegte Tartanbahn betritt man das provisorische Gebäude, das im Wesentlichen ein grosses Baugerüst mit roter Verkleidung ist. An diesem Dienstagabend ehrt Cassis hier die Schützin Audrey Gogniat, die die erste Medaille für die Schweiz holte. Bei ihrem Weg über die Tartanbahn wird sie von zwei Herren in On-Shirts und mit Treicheln begleitet, später erklingt die Nationalhymne. Cassis liest der jungen Sportlerin in elegantem Französisch einen Brief von Bundespräsidentin Viola Amherd vor.
Wenn gerade keine Medaillenzeremonien laufen, kann man in der Maison Suisse den ganzen Tag in Liegestühlen lümmeln und sich die Übertragung der Wettkämpfe ansehen. Oder man nutzt den Besuch für einen Streifzug durch die Schweizer Kultur. Direkt am Hauseingang ist On als Hauptsponsor präsent, an einem anderen Stand kann man vor Ort eine Swatch kaufen. In einer Ecke präsentiert sich die Stadt Basel, das «kulturelle Zentrum der Schweiz».
Schweizerisch-französische «Liaisons»
Ziel sei es, den Besuchern neue Einblicke zu geben – und ihnen auch Seiten des Landes zu zeigen, die sie noch nicht kennen, erklärt Christian Herren. Der Kreativdirektor und Kurator hat in Zusammenarbeit mit Schweiz Tourismus die Ausstellung «Liaisons Suisses» konzipiert, die hier während der gesamten Olympischen und Paralympischen Spiele gezeigt wird. 45 Ausstellungsobjekte sollen die Besucher auf eine «Entdeckungsreise rund um die Schweizer Identität» entführen und Verbindungen zwischen der Schweiz und Frankreich aufzeigen.
Typisch schweizerisch werden die Objekte in einem Möbelbausystem von USM präsentiert, was die Ausstellung wohl zum teuersten Bereich der ganzen Maison Suisse macht. Sie stammen aus den Schweizer Regionen, die in Frankreich am bekanntesten sind: Waadt, Jura, Freiburg, Wallis, Bern, Luzern und Tessin.
Wie die Verbindungen zwischen der Schweiz und Frankreich dargestellt werden, zeigt Herren am Beispiel einiger Ausstellungsstücke. Da wären die Werke von Bruno Monguzzi: Der Tessiner Grafiker entwarf 1983 die grafische Identität des Musée d’Orsay, darunter das legendäre Logo. In Frankreich sei er ein Star, so Herren, aber kaum jemand wisse, dass er Schweizer sei. Oder die Silbermaske von Sonja Knapp aus den 1960er Jahren: Die Schweizer Grafikerin und Künstlerin war nicht nur die erste weibliche Art-Direktorin der Galeries Lafayette, sondern auch Mitbegründerin des Modehauses Ungaro.
James Bond, Rösti und Kalbsbratwurst
Eine Walliser Tschäggättä-Maske ist ebenso Teil der Ausstellung wie das von Forschern der Universität Bern entwickelte Sonnenwindsegel, das bei der ersten Mondlandung dabei war – und von Buzz Aldrin noch vor der amerikanischen Flagge aufgestellt wurde. Auch popkulturelle Schweizer Höhenflüge sind zu sehen, wie das Abendkleid des ersten Bond-Girls, der Berner Schauspielerin Ursula Andress. Dazu passen (nicht modisch, aber thematisch) die Schuhe des Schweizer Herstellers Kandahar, die Charlie Chaplin einst trug.
In der Maison Suisse gibt es keine Probleme, keine politischen Konflikte, keinen Streit. Hier gibt es nur Höchstleistungen, sei es im sportlichen, künstlerischen oder wissenschaftlichen Bereich.
Wer bei all diesen Eindrücken hungrig wird, findet natürlich auch typisch schweizerische Verpflegung. Es gibt Rösti, Apéro-Plättli mit Gruyère und Kalbsbratwürste – wobei Letztgenannte ziemlich unschweizerisch als Hotdog im Laugenbrötli serviert werden. «Dä isch na nie ame Grill gstande», kommentiert ein Besucher die Leistung des französischen Grillmeisters, der sich mit den Würsten schwerzutun scheint.
Wichtig ist, bescheiden zu bleiben
Bei der interkulturellen Verständigung gibt es wohl doch noch ein paar Dinge zu tun. Gleichzeitig muss man aufpassen, vor lauter Selbstlob nicht eingebildet zu wirken. Zum Glück ist Cassis vor Ort, um die Schweizer an ihre Bescheidenheit zu erinnern. Auf einer Pressekonferenz am Mittwoch lobt der Aussenminister das Auftreten von Audrey Gogniat: «Die junge Dame hat ihre Medaille so bescheiden und demütig entgegengenommen. Das ist für mich die Schweiz.»
Cassis, so scheint es, bringt den Schweizer Sportlerinnen Glück. Kaum ist er in Paris angekommen, gewinnt Julie Derron Silber im Triathlon. Jeder Schweizer Olympia-Erfolg sei ein Motor für den Zusammenhalt des Landes, erklärt der Aussenminister. Auch Derron wird in der Maison Suisse geehrt, ebenso wie alle Medaillenträger, die nach ihr kommen. Ihre Namen werden auf Plaketten an einer dafür vorgesehenen Wand verewigt.
Die Athletinnen und Athleten «gehören zu unseren besten Botschaftern», so Cassis. Da hält er sich als Aussenminister zurück und beschränkt sich auf eine erfrischend kurze Rede. Die Maison Suisse soll den Sportfans gehören – die vielleicht auch bald Schweiz-Fans sind.