Bis zur Hälfte der Filialen sollen in Westschweizer Kantonen geschlossen und durch Agenturen ersetzt werden. Politiker schmieden ungewöhnliche Allianzen, um in Bern den «Aderlass» zu verhindern.
So viel Einigkeit ist selten. 114 Stimmen dafür, 5 Enthaltungen, 0 Gegenstimmen. Fast einstimmig hat das Waadtländer Kantonsparlament vergangene Woche die Petition eines SVP-Abgeordneten gegen die Schliessung von Postfilialen verabschiedet. Der Grossrat bittet die Kantonsregierung, dazu alle ihr «zur Verfügung stehenden Mittel zu nutzen, potenziell gemeinsam mit anderen Kantonen». Die Regierung solle auch in Bern intervenieren.
Unterstützung bekam das Parlament umgehend von der Wirtschaftsvorsteherin Isabelle Moret von der FDP. Die ehemalige Nationalratspräsidentin versicherte den betroffenen Gemeinden, dass die Kantonsregierung an ihrer Seite stehe. Die Post will in der Waadt 19 von 77 Filialen durch Agenturen bei Einzelhändlern oder Gemeindeverwaltungen ersetzen.
Post will landesweit gut 20 Prozent der Filialen schliessen
Landesweit soll das mit rund 170 der 765 Filialen geschehen. Das hatte die Post Ende Mai bekanntgegeben, und schon damals beschlossen die Parlamente im Wallis und im Jura ähnliche Stellungnahmen wie nun die Waadt, die ihrerseits auf die Verkündung der betroffenen Filialen Ende Oktober reagierte. Ende 2028 will die Post noch 600 Filialen haben, dazu 1400 «Filialpartner».
Der Konzern begründet die erneute Ausdünnung des Filialnetzes damit, dass das Schaltergeschäft seit Jahren stark schrumpfe. So sei die Zahl der am Schalter abgegebenen Briefe seit 2010 um 39 Prozent gesunken, die der Einzahlungen um 68 Prozent. Dieser Trend werde sich in den nächsten Jahren ungebremst fortsetzen.
Die Gegner der Sparpläne argumentieren kaum mit nackten Zahlen, sondern mit grundsätzlicheren Argumenten: Der «Aderlass» im Service public müsse gestoppt werden. Nur Filialen könnten dauerhaft eine hohe Servicequalität garantieren.
Einzelhändler, die als Filialpartner infrage kämen, gebe es immer weniger, mancherorts gar nicht mehr. Filialpartner dürften manche Dienstleistungen nicht anbieten, etwa Einzahlungen über 500 Franken. Und schliesslich gehörten zu einem Dorf drei Dinge: eine Kirche, ein Bistrot – und die Post.
Die Romandie trifft es überproportional – auf den ersten Blick
Hier und da ist in der Romandie nun zu lesen, der Landesteil sei von den Filialschliessungen überproportional betroffen. Das stimmt zumindest auf den ersten Blick. Während in der Deutschschweiz lediglich knapp 18 Prozent der Filialen «umgewandelt» werden sollen, sind es nach NZZ-Berechnungen in den sechs mehrheitlich französischsprachigen Kantonen knapp 29 Prozent – und im Tessin sogar gut 34 Prozent.
Einzelne Westschweizer Kantone trifft es noch stärker. In Neuenburg und im Jura sollen fast 50 Prozent der Filialen geschlossen werden, nämlich 11 von 24 Standorten bzw. 8 von 17. Hingegen kommt zum Beispiel der Kanton Zürich scheinbar glimpflich davon, mit nur 12 Prozent betroffenen Filialen.
Auf den zweiten Blick jedoch relativieren sich diese Zahlen. «In gewissen Teilen in der Westschweiz und im Tessin haben wir ein dichteres Filialnetz als in der Deutschschweiz», schreibt die Post auf Anfrage. So kommt in der Romandie rein rechnerisch eine Filiale auf 10 089 Einwohner, in der Deutschschweiz hingegen eine auf 13 181.
Doch besonders in ländlichen Gegenden kann es künftig noch umständlicher sein, eine Postfiliale zu erreichen. Landstriche wie das jurassische Clos du Doubs um Saint-Ursanne oder das Ormonts-Tal beim Skiort Les Diablerets sollen keine eigenen Filialen mehr haben. In Westschweizer Medien ist teilweise von «Post-Wüsten» die Rede. Auch prominente Standorte wie jene am Genfer Flughafen oder am Hauptbahnhof Lausanne sind betroffen.
In der Waadt hat der Widerstand gegen diese Pläne gerade ein gewisses Momentum. Eine Online-Petition gegen die Schliessungen, lanciert von einem Verein von Nutzern des Service public und linken Gruppen, wurde nach deren Angaben von 12 000 Personen unterschrieben. Am Fuss des Juras nördlich von Morges haben sich die SP-Nationalrätin Jessica Jaccoud und der SVP-Nationalrat Sylvain Freymond zusammengetan. In gemeinsamen Interviews mit Lokalmedien sprechen sie praktisch mit einer Stimme.