Ab 2027 könnte es schwer werden für Betriebe mit vielen leeren Betten, die nicht wirtschaftlich sind.
Wohnraum ist in der Stadt Zürich bekanntlich Mangelware. Weniger bekannt ist, dass in einer besonderen Kategorie ein eklatantes Überangebot herrscht: bei den Pflegeplätzen in Alterszentren. Es ist eine Anomalie, die in den kommenden zwei Jahren viel Konfliktpotenzial entfalten könnte.
Denn die Kantonsregierung will die Planung der Pflegebetten nicht länger allein den Gemeinden überlassen, sondern dafür sorgen, dass sich Angebot und Nachfrage die Waage halten.
Das Mittel zu diesem Zweck ist eine neue Pflegeheimliste, die die Regierung auf das Jahr 2027 hin erstmals festsetzt. Sie wird eine ähnliche Wirkung haben wie die kantonale Spitalliste: Wer nicht drauf steht, ist nicht mehr berechtigt, Leistungen über die obligatorische Krankenpflegeversicherung abzurechnen. Oft entscheidet das über Sein oder Nichtsein.
Die Liste stützt sich auf Prognosen zum Pflegebedarf in den verschiedenen Regionen des Kantons. Wie sich dieser in den kommenden Jahren voraussichtlich entwickeln wird, hat das Kompetenzzentrum Obsan im Auftrag der Zürcher Regierung errechnet.
Fazit: In den meisten Regionen dürften Pflegebetten in Heimen bis im Jahr 2035 Mangelware werden. Am ausgeprägtesten ist das Defizit in den Regionen Uster und Hinwil, wo selbst im besten Szenario jeweils mehr als 300 Plätze fehlen. Ausreichend ist das Angebot nur am unteren Zürichsee, in Winterthur und in der Region Pfäffikon Süd.
Und dann ist da noch der Sonderfall, die Stadt Zürich. Nirgends im Kanton gibt es pro Kopf so viele Pflegebetten. Laut den Berechnungen der Experten sind es heute schon 1000 bis 1300 Betten mehr, als im Jahr 2035 benötigt werden. Anders gesagt: Jedes fünfte von rund 5700 Betten ist überflüssig.
Die Stadt will ihre Bettenzahl nach langem Zögern reduzieren
Das Problem ist in der Stadt schon lange bekannt. So hatte ein Obsan-Bericht 2016 aufgezeigt, dass Zürich 1700 Pflegebetten abbauen könnte. Denn in der Stadt leben viele Menschen in einem Heim, obwohl sie nicht oder nur leicht pflegebedürftig sind. Sie könnten auch zu Hause oder in einer Alterswohnung leben – und die meisten würden dies auch bevorzugen.
Doch die Stadt ignorierte den Bericht damals und hielt eisern an ihrer Strategie fest: Für 600 Millionen Franken wollte sie 18 Altersheime sanieren und drei Ersatzneubauten erstellen. Bürgerliche Politiker kritisierten dies, Experten bezeichneten die Planung als überholt.
Noch im Januar 2018 zeigte sich das städtische Gesundheitsdepartement auf Anfrage der NZZ überzeugt: «Mit dem bestehenden Angebot ist Zürich gut unterwegs.» Eine Überarbeitung der Strategie sei nicht im Gange, die Erneuerung der Altersheime werde wie geplant fortgeführt.
Damals stand das Departement unter der Führung von SP-Stadträtin Claudia Nielsen. Doch wenige Wochen vor den Wahlen kündigte diese überraschend an, nicht mehr anzutreten. Ihr Nachfolger Andreas Hauri (GLP) ordnete, kaum im Amt, einen Marschhalt an und sistierte die laufenden Bauprojekte. Dann liess er eine neue Altersstrategie erarbeiten, die einen Abbau bei den Betten vorsieht.
Dass es überhaupt zu diesen Überkapazitäten gekommen ist, erklärt Hauris Departement heute damit, dass es früher keine kantonale Versorgungsplanung gegeben habe. Betten seien einzig aufgrund von qualitativen Anforderungen bewilligt worden. Der Bedarf spielte kaum eine Rolle.
Laut der neuen Strategie will die Stadt die Bettenzahl in ihren Heimen bis 2035 um 500 reduzieren. «Damit sind wir auf Kurs», sagt Stadtrat Hauri. Zu viele Betten will man aber nicht streichen, denn ab 2040 geht auch der Kanton wieder von einem steigenden Bedarf aus. Gleichzeitig will die Stadt 1000 zusätzliche Alterswohnungen erstellen.
Die teuersten 10 Prozent der Heime müssen zittern
Ob die städtischen Heime wirklich auf Kurs sind, wird sich ab Herbst 2025 zeigen. Dann gilt es für alle Betriebe im Kanton ernst: Sie müssen sich um Aufnahme auf die Liste bewerben.
Es folgt eine Evaluation durch den Kanton. Jeder Betrieb wird darauf überprüft, ob er die Qualitätsvorgaben erfüllt und wirtschaftlich mit den öffentlichen Geldern und jenen der Krankenversicherungen umgeht. Vor allem der zweite Punkt könnte Spannungen auslösen, denn er stützt sich auf einen direkten Vergleich aller Betriebe, die dadurch miteinander im Wettbewerb stehen.
Um die Hürde punkto Wirtschaftlichkeit zu nehmen, darf ein Pflegeheim nur in einem von drei Jahren zu den 10 Prozent der teuersten Betriebe mit den höchsten Pflegekosten gehören. Gleichzeitig darf es in zwei von drei Jahren kein Defizit erwirtschaftet haben.
Scheitert ein Heim an diesen Vorgaben, werden weitere Kriterien beurteilt, zum Beispiel die Bettenbelegung. Schliesslich kann ein Betrieb der kantonalen Gesundheitsdirektion auch noch zu erklären versuchen, weshalb er die Vorgaben nicht erfüllen kann. Leuchten seine Argumente allerdings nicht ein, ist der Listenplatz verwirkt – und es droht das Aus.
Auch jene Betriebe, die sämtliche Hürden genommen haben, sind noch nicht endgültig im Trockenen. In jeder Region, in der das Angebot die prognostizierte Nachfrage übersteigt, folgt nämlich auf die Evaluation eine zweite Phase: die Selektion.
In diesem Fall wird – unter Einbezug der betroffenen Gemeinden – entschieden, welche Betriebe es in welchem Ausmass noch braucht. Neben wirtschaftlichen Faktoren spielen dabei auch die geografische Verteilung und spezialisierte Angebote eine Rolle.
Dieser Prozess soll im Jahr 2026 stattfinden, damit die Kantonsregierung die Pflegeheimliste auf den 1. Januar 2027 festsetzen kann. Danach wird sich das Ganze alle fünf Jahre wiederholen.
Zunder für den Konflikt zwischen Öffentlichen und Privaten
Die öffentlich finanzierten Heime der Stadt Zürich werden sich alle für die Liste bewerben. Die Behörden geben sich selbstbewusst: «Die Gesundheitszentren für das Alter sind gut positioniert.»
Wie es um die privaten Institutionen steht, ist unklar – und das ist mehr als eine Randnotiz. Private Betreiber decken in der Stadt rund 50 Prozent des Marktes ab, klagen aber über einen zunehmend verzerrten Wettbewerb.
So hat der Zürcher Gemeinderat Ende 2023 entschieden, die Defizite der städtischen Heime mit Steuergeld zu decken, um die Kosten für die Bewohner zu dämpfen. Private Heime müssen ohne solche Zuschüsse auskommen. Der Gemeinderat hat zwar einen Beschluss nachgereicht, der auch ihnen Hilfe verspricht, aber das Geschäft ist noch hängig.
Dieser schwelende Konflikt bekommt neue Brisanz, wenn der direkte wirtschaftliche Vergleich zwischen öffentlichen und privaten Heimen darüber entscheidet, wer seine Betten abbauen muss.
Das Verfahren des Kantons lässt allerdings auch ein Hintertürchen offen: Pflegeheime in einer Region mit zu vielen Betten dürfen Vereinbarungen mit anderen Regionen treffen, in denen es zu wenige gibt – damit nicht am einen Ort mühsam aufgebaut werden muss, was am anderen Ort abgebaut wurde.