Die Opposition wollte baldige Neuwahlen, Bundeskanzler Olaf Scholz hatte sich dagegen gesträubt. Jetzt gibt es einen Kompromiss, der aber seine Tücken hat.
Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz wollte eigentlich bis Ende März weiterregieren, nachdem seine Koalition vergangene Woche zerbrochen war. Der christlichdemokratische Oppositionsführer Friedrich Merz drängte auf Neuwahlen Mitte Januar. Nun hat man sich in der Mitte geeinigt: Am 23. Februar 2025 soll gewählt werden. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier stimmte dem Zeitplan am Dienstagabend zu.
Scholz hatte Merz und den SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich gebeten, sich auf einen Wahltermin zu einigen. Merz hat erst durch die Medien von der Bitte des Kanzlers erfahren. Dass sich die Fraktionsspitzen auf das Prozedere zur Neuwahl einigen, ist ungewöhnlich. Nach der deutschen Verfassung gibt hier eigentlich der Kanzler den Kurs vor.
Laut Merz waren nicht nur er und Mützenich in die Verhandlungen involviert. Er habe auch mit den Grünen und der FDP gesprochen. Nachdem die Grünen zunächst den Kurs des Kanzlers unterstützt hatten, drängte ihr Kanzlerkandidat Robert Habeck ebenfalls auf einen früheren Wahltermin. Die FDP warf dem Kanzler «politische Insolvenzverschleppung» vor.
CDU und CSU drohten mit Blockade – dann kam die Einigung
Zunächst hatte die Fraktion aus CDU und CSU gedroht, alle Abstimmungen im deutschen Parlament zu blockieren. Merz verlangte, Scholz solle sich noch an diesem Mittwoch im Bundestag dem Votum der Parlamentarier stellen. Die widersprüchlichen Aussagen der Wahlleiterin Ruth Brand, die daran zweifelt, dass die Wahl im Januar sicher durchgeführt werden kann, heizten die Debatte weiter an.
Doch nach der Anhörung der Wahlleiterin im Wahlprüfungsausschuss des Bundestags schwenkte Merz um. Er sagte, ein Wahlkampf im Winter sei «mit einer ganzen Reihe von Schwierigkeiten verbunden». Er halte es für «vertretbar», dass Deutschland mit diesem Zeitplan «rund einen Monat für die Wahl zum nächsten Bundestag» verliert.
Man wolle zunächst den Nachtragshaushalt verabschieden. Anschliessend will Scholz am 16. Dezember die sogenannte Vertrauensfrage stellen. Falls Scholz diese Abstimmung über seine Eignung als Kanzler verliert, wäre der Weg für Neuwahlen frei.
Der Sinneswandel des Oppositionsführers Merz hat nicht nur mit den Bedenken der Wahlleiterin zu tun. CDU und CSU wollen vor der Neuwahl mit den Parteien der ehemaligen Regierungskoalition ein Gesetz zum Schutz des Bundesverfassungsgerichts verabschieden. Dafür braucht es einen Kompromiss mit der Kanzlerpartei SPD, die derzeit die stärkste Fraktion im Bundestag stellt.
«Der nächste Messermord geht auf das Ticket der Union»
Merz sagte am Dienstag, er wolle nur noch Themen auf die Tagesordnung setzen, bei denen es vorher einen Konsens mit der «restlichen Regierung» gebe. Er wolle damit die Regierung und die Opposition davor bewahren, «Zufallsmehrheiten» mit der AfD oder der Linkspartei zu haben.
Eine harsche Reaktion kam von Alice Weidel, der Co-Vorsitzenden der AfD: Sie zeigte sich verärgert darüber, dass die Tagesordnung des Bundestags ausgedünnt wurde. Weidel monierte, das deutsche Parlament sei damit nicht mehr arbeitsfähig. Dies habe vor allem mit der Angst von Merz zu tun, dass die AfD Anträgen von CDU und CSU zustimmen könnte.
Weil die FDP nicht mehr Teil der Bundesregierung ist, könnte sich im Parlament leicht eine Mehrheit gegen die verbliebenen Regierungsparteien SPD und Grüne bilden. Massgeblich dafür wären die Stimmen der AfD. Die Unionsparteien CDU und CSU sowie die FDP wollen aber auf keinen Fall zusammen mit der AfD Gesetze durchs Parlament bringen. Dies würde ihre Blockadestrategie gegenüber der in Teilen rechtsradikalen Partei unterlaufen.
Daher möchte die Union offenbar auch ihren Antrag zur Begrenzung der illegalen Migration nicht mehr einbringen. Weidel sagte dazu: «Der nächste Messermord geht auf das Ticket der Union.» Sie spielte damit auf die zahlreichen Messerattacken an, die in Deutschland von Asylmigranten begangen wurden.
Die AfD hat für Mittwochabend eine sogenannte aktuelle Stunde beantragt. Titel: «Kein Stillstand im Parlament – Sachbezogene Mehrheiten nutzen». Auch SPD und Grüne wollen noch zahlreiche Vorhaben verabschieden – zusammen mit der Union. Merz signalisierte seine Bereitschaft zur Kooperation bei bestimmten Themen, allerdings erst nachdem Scholz Mitte Dezember die Vertrauensfrage gestellt habe.