Kulinarische Spagate wie «mare e monti» sind hierzulande mangels Meer nicht sehr naheliegend. Und doch wird er in der «Casa Alva» in der Surselva charmant und überzeugend praktiziert.
Mit der kulinarischen Paarung «mare e monti» wird, fast wie beim Wasserskifahren oder Snowboarden, der Spagat über topografische Grenzen hinweg gewagt. Es gibt gelungene Spielarten, aber auch weniger zwingende wie das amerikanische «surf and turf», dieses Rendez-vous von Rindersteak und Hummerschwanz.
Und wie sieht es in der Schweiz aus, die zwar Berge wie Sand am Meer, aber kein solches zu bieten hat? Nun, im Bündner Oberland vereint ein Wirtepaar auf gelungene Weise alpine und maritime Elemente. Saskia und Reto Gadola, Eltern dreier Kinder, führen seit fünf Jahren die «Casa Alva» in Trin, und ihr Menu «Berg und Küste» nimmt ihre beiden Ursprungsorte auf: Der Koch ist in der Region aufgewachsen, die Gastgeberin an der Ostsee. Und im mittelalterlichen Pfarr-, das seit 2009 als Gasthaus dient, finden ihre Wurzeln auf himmlischen Wegen zusammen.
Die aufgetischten Fische stammen nicht aus der nahen Rheinschlucht, in der das Bahnhöflein von Trin liegt, sondern eben vom Meer. Als Amuse-Bouches kommen ein Wolfsbarsch-Nugget auf Pastinakenpüree, ein Salsiz-Tatar auf köstlich knackigem Knäckebrot und als weiterer Gruss aus der Küche ein chüschtiger Kuss von der Küste: Buttriger Steinbutt, eingerollt in knusprigem Bündner Rohschinken, fügt sich mit Haselnusspesto auf einem Boden aus gepufften Süsskartoffeln zur gelungenen Involtini-Interpretation.
Aus einem halben Dutzend Gerichten, die nur über die Hauptzutaten definiert sind, stellt man sich sein Menu aus mindestens vier Gängen zusammen (Fr. 120–, pro weiteren Gang Fr. 20.–). Und die kulinarischen Perlen lassen uns die Phalanx amerikanischer Schnellimbisse schnell vergessen, an der uns die zwanzigminütige Anfahrt im Postauto vom Bahnhof Chur ausgangs der Kantonshauptstadt vorbeigeführt hat.
Herzhaft und al dente sind zwei auf Sauerkraut ruhende Ravioli an Portwein-Jus, gefüllt mit geschmorten Schenkeln einer Appenzeller Ente und belegt mit Tranchen von deren hausgeräucherter Brust. Krustentiere kommen als Praliné und als geschäumte Bisque, unterlegt mit Birnenwürfeln und gekrönt von einer gebratenen Specktranche mit drei Tupfern Birnen-Gel. Mit Speck fängt man Wasserratten ebenso wie Stadt- und Landmäuse! Die Komposition ist, wie alle Gerichte, auch optisch ein Genuss. Und fast jeder Gang enthält eine knusprige Komponente, wie schon Paul Bocuse es forderte.
Ein Schaumsüppchen aus Bündner Bergkäse, der zudem in gerösteter Form darüber verteilt ist, legt sich über ein Onsen-Ei (eine Spur zu lange gegart, um noch als wachsweich gelten zu dürfen). Kartoffelgratin, ein schmackhaftes Kräuterseitling-Ragout und eine buttrige Hollandaise, wie manches hier im Kisag-Bläser gefertigt, begleiten ein etwas trocken geratenes Rindshacktätschli und drei Tranchen eines aromatischen Flanksteaks. Zwei davon lässt ein lauter Unterländer, der am Nebentisch den ganzen Abend lang das Klischee vom grossmäuligen Zürcher zementiert, liegen mit der Behauptung, sie seien zäh. Das sind sie keineswegs, aber ein Second Cut ist halt nicht so zart wie ein Filet.
Das feine Kartoffelbrot, das zum Essen gereicht wird, ist im alten Backhäuschen des Dorfes gebacken – eine weitere Verneigung vor lokalen Traditionen. Der Region erweisen wir auch beim Digestif die Reverenz, mit dem Quittenbrand der Maienfelder Destillerie Lipp (Fr. 14.–) und dem klaren Kräuterdestillat Jarvas der kleinen Brennerei Dagout aus Ilanz (Fr. 13.–). Beim Rotwein allerdings sind wir, nach dem perlenden Einstieg mit dem Brut Rosé des Jeninser Guts Obrecht (Fr. 14.50 / dl), fremdgegangen: Bei den zwei offen angebotenen Tropfen ziehen wir dem Fläscher Pinot noir den Picaro del Aguila aus dem Ribera del Duero (Fr. 14.50 / dl) vor, dessen Tiefe sich in den besonders dünnwandigen Gläsern des österreichischen Labels Zalto bestens entfaltet.
Der zweigeteilte Essraum mit sechs Vierertischen scheint dem Wirtepaar vertraut wie die eigene Stube, die Gastfreundschaft ist entsprechend persönlich geprägt. Das Spiel mit den Wurzeln setzt sich auf den Namen der sechs heimeligen Hotelzimmer fort, von «Fischkutter» bis «Alp Mora». Und an manchen Daten lässt sich das Nachtessen mit einer Übernachtung und einem sorgfältig auf regionale Produkte abgestimmten Frühstück kombinieren, zum Pauschalpreis von 450 Franken pro Paar. Um Mitternacht schlägt die Glocke der Dorfkirche nebenan, ehe der Duft des Lärchenholzes an den Wänden die Gäste ins Reich der Träume führt.
Casa Alva
Via Visut 31, 7014 Trin (GR)
Dienstag und Mittwoch geschlossen.
Telefon 081 630 42 45
Für diese Kolumne wird unangemeldet und anonym getestet und am Ende die Rechnung stets beglichen. Der Fokus liegt auf Lokalen in Zürich und der Region, mit gelegentlichen Abstechern in andere Landesteile.
Die Sammlung der NZZ-Restaurantkritiken der letzten fünf Jahre finden Sie hier.